Sprengungen von Geldautomaten auf RekordniveauObwohl Banken mehr für den Schutz tun, sind die Täter bislang so erfolgeich wie im Rekordjahr 2022. Ein Umstand macht Deutschland für sie besonders attraktiv.
Elisabeth Atzler
29.11.2023 - 14:41 Uhr aktualisiert
Frankfurt. Obwohl die deutschen Banken Geld in die Sicherung und den Schutz von Geldautomaten stecken, bleibt die Zahl der Sprengangriffe in diesem Jahr hoch: Bis zum 23. November zählten 15 der 16 Landeskriminalämter (LKA) 413 Sprengungen und Sprengversuche, wie eine Abfrage des Handelsblatts ergab. Das sind im Schnitt 1,26 pro Tag und nur fünf weniger als im selben Zeitraum des Rekordjahres 2022.
Im gesamten vergangenen Jahr gab es knapp 500 Angriffe auf Geldautomaten, so viele wie nie zuvor. Laut Bundeskriminalamt (BKA) erbeuteten die Täter, die meist nachts zuschlugen, fast 30 Millionen Euro. Die Sachschäden, die durch die Explosionen entstanden, lagen deutlich höher.
In diesem Jahr könnte es noch schlimmer kommen. So stieg der Anteil der vollendeten Diebstähle bis Ende September um etwa sechs Prozent, wie es in einer vom Bundesinnenministerium (BMI) veröffentlichten Analyse heißt. Je Tat werde zudem im Schnitt mehr Bargeld erbeutet, auch weil häufiger gleich mehrere Geldautomaten in einer Filiale gesprengt würden.
Zum aktuellen Zeitpunkt sei eine „Trendwende aufgrund zusätzlicher Präventionsmaßnahmen noch nicht erkennbar“, heißt es weiter. Vertreter und Vertreterinnen von Innenministerium, Bundeskriminalamt sowie Banken- und Versicherungsbranche waren mehrfach bei einem „runden Tisch“ zusammengekommen und hatten sich auf mehr Schutzmaßnahmen verständigt. Auch eine Reihe von Festnahmen hat die Zahl der Sprengungen bisher nicht gedrückt.
Kein Gesetz für Sicherheitsmaßnahmen
Insgesamt gelten Tausende Geldautomaten als gefährdet. Dem BMI-Bericht zufolge befinden sich fast 17.500 Geldautomaten an Risikostandorten, die als gefährdeter gelten als andere, das sind mehr als ein Drittel aller Geräte. Basis für diese Einstufung ist ein bundesweit einheitliches Raster für die Risikoanalyse.
Ein Grund für die zahlreichen Attacken: Mit 50.000 Geräten verfügt Deutschland über eine hohe Zahl von Geldautomaten, unter anderem weil Verbraucherinnen und Verbraucher nach wie vor häufig mit Bargeld zahlen. Knapp 60 Prozent aller Einkäufe an der Ladenkasse wurden 2022 in bar beglichen, wie das Forschungsinstitut des Handels, EHI, ermittelte.
Ein Gesetz, das sie zu bestimmten Sicherungsmaßnahmen verpflichtet, müssen die Banken vorerst dennoch nicht fürchten. Das Innenministerium gesteht ihnen mehr Zeit zu.
„Der Austausch im BMI hat deutlich gemacht, dass die Kreditwirtschaft sich in einem umfangreichen Umsetzungsprozess befindet und durch Präventionsmaßnahmen deutliche Fortschritte bei der Sicherstellung eines Mindestschutzniveaus an Risikostandorten von Geldautomaten erzielt“, teilt das Innenministerium auf Anfrage mit.
Niederländische Täter selbst in Sachsen aktiv
Die Polizei geht davon aus, dass die meisten Taten eine kriminelle Szene aus den Niederlanden verübt, die aus mehreren Hundert Personen besteht und deren Mitglieder häufig einen marokkanischen Migrationshintergrund haben. In den Niederlanden ereigneten sich vor einigen Jahren ebenfalls zahlreiche Sprengungen, ihre Zahl wurde durch größere Sicherheitsmaßnahmen stark eingedämmt.
Objekte in Nordrhein-Westfalen werden dabei aufgrund der räumlichen Nähe besonders oft als Ziel ausgewählt. Auch Niedersachsen ist stark betroffen, dieses Jahr sanken die Fallzahlen aber um 40 Prozent auf 35.
In anderen Bundesländern – beispielsweise in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz – stiegen die Fallzahlen teils deutlich. Die niederländischen Täter legen also immer weitere Strecken zurück. Selbst in Sachsen und Bayern sind sie aktiv.
Die Täter sprengen die Tresore in den Geldautomaten innerhalb weniger Minuten und fliehen dann mit bis zu 300 Stundenkilometern über die Autobahn. Bei solchen Geschwindigkeiten können weder Streifenwagen noch bei Dunkelheit Polizeihubschrauber mithalten. Zudem agieren die Täter höchst rücksichtslos.
Millionenschäden an Gebäuden
Die Gebäude, in denen sich Filialen und Geldautomatenstandorte befinden, werden durch die Explosionen schwer beschädigt. Dass bei den Attacken trotz umherfliegender Trümmerteile und Splitter bisher kein Unbeteiligter ernsthaft verletzt wurde, halten Experten für einen glücklichen Zufall.
Die Banken wehren sich gegen gesetzliche Vorgaben zur Geldautomatensicherung. Sie setzen darauf, dass sich ihre Präventionsmaßnahmen „zeitlich versetzt auch bundesweit deutlich zeigen“, wie die Deutsche Kreditwirtschaft, die gemeinsame Interessenvertretung der Branche, betont.
Für die Geldinstitute haben Sprengungen zur Folge, dass sie Geschäftsstellen teils monatelang nicht nutzen können. Häufig haben sie aber Versicherungen abgeschlossen, die auch Geldautomatensprengungen umfassen.
Verschiedene Schutzmaßnahmen
„Es gibt zwei Arten von Schutzmaßnahmen. Erstens können die Banken versuchen, die Tat bestmöglich zu verzögern, indem sie die Geschäftsstelle und die Geldautomaten besser schützen“, erklärt Stefan Leßmann, Sicherheitsexperte beim in Deutschland führenden Geldautomatenhersteller Diebold Nixdorf. Ziel dabei ist, die Täter bis zum Eintreffen der Polizei aufzuhalten.
Das gehe zum Beispiel durch die Absicherung der Zugangstüren, durch den Einsatz von Nebelsystemen und auch durch spezielle Rollläden oder Rolltore am Eingang oder direkt vor den Geldautomaten. „Manche Banken setzen auch auf Juweliergitter als Schutz“, sagt Leßmann.
Zweitens sei Abschreckung wichtig. Nach Einschätzung von Diebold Nixdorf haben Verfärbetechniken, durch die bei einer Explosion Tinte auf den Geldscheinen verteilt wird, die sich nicht beseitigen lässt, in den Niederlanden sowie in Belgien, Frankreich und Portugal zu einem deutlichen Rückgang der Sprengungen geführt.
Allerdings werden laut dem BMI-Bericht bis Jahresende nur 43 Prozent der 17.500 Risiko-Geldautomaten mit Verfärbesystemen ausgestattet sein. Insider berichten angesichts der zahlreichen Bestellungen über lange Lieferfristen von vier bis sechs Monaten.
Eine neue Technik, bei der Geldscheine im Fall einer Sprengung zu einem festen Klumpen verkleben, wird derzeit geprüft. Noch fehlen spezielle Genehmigungen dafür. In den Niederlanden wird die Verklebetechnik bereits eingesetzt.
https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/bargeld-sprengungen-von-geldautomaten-auf-rekordniveau/100001129.htmlhttps://www.ardmediathek.de/video/ard-crime-time/folge-1-jeden-tag-eine-sprengung-s24-e01/mdr-fernsehen/Y3JpZDovL21kci5kZS9zZW5kdW5nLzI4MjA0MS8yMDIzMTExNzAwMDAvbWRycGx1cy1zZW5kdW5nLTc2NTA