Das persönliche Wissen darum, soll 1990 einem gewissen Schalck- Golodkowski Pass und faktische Straffreiheit beschert haben, zu dem Thema auch noch der
Spoiler
SPIONAGE
„Ein ausgemachter Konformist“
Bislang war unklar, was Wladimir Putin als KGB-Offizier in Dresden tat. Nun plaudert sein Schreibtischnachbar über die gemeinsame Spionagezeit: In einem Buch entwirft er ein Psychogramm des früheren Kollegen, der es inzwischen zum russischen Präsidenten gebracht hat.
Wer sagt denn, dass Geheimdienstler - östliche allzumal - Männer ohne Emotionen sind?
Es ist der 10. März 1985. In der KGB-Villa in Dresden klingelt das Direkttelefon. Die Zentrale in Berlin-Karlshorst teilt den Genossen in der Provinz eine betrübliche Neuigkeit mit: Daheim in Moskau sei Konstantin Tschernenko verstorben, KPdSU-Generalsekretär und oberster Hüter des Sowjetreichs. Der gesamte Agentur-Apparat müsse sofort angeworfen werden, damit der Kreml die Reaktion der DDR-Bevölkerung erfahre.
Doch die Kollegen in Dresden haben erst mal anderes zu tun. Ihr Chef ist abwesend, auf der Frühjahrsmesse in Leipzig, und so holen sie den versteckten Krimsekt hervor. "Voller Freude leerten wir die Flasche aus - und voller Dankbarkeit gegenüber Konstantin Ustinowitsch: Er hatte uns nicht so lange mit seinem permanenten Sterben gequält wie seine Vorgänger Breschnew und Andropow."
So keck ging es beim sowjetischen Geheimdienst zu? "Ja", sagt Wladimir Ussolzew, der sich jenes Tages so gut erinnert: "Wir waren die junge Generation der Staatssicherheit. Uns war völlig klar, dass die Sowjetmacht unaufhaltsam Richtung Abgrund marschiert."
Ussolzew war 37 und Major des KGB. In Sibirien geboren, hatte er Physik studiert, war vom Geheimdienst angeworben worden, diente in Krasnojarsk und Minsk und wurde schließlich auf den Außenposten DDR versetzt. Kein sonderlich aufregender Job, sagt er, "aber im März 1985 kam Gorbatschow, die Wende begann".
Sein zweites einschneidendes Erlebnis in Tschernenkos Todesjahr datiert vom August: Es gibt einen Wachwechsel, ein Neuer zieht in sein Dienstzimmer ein: Putin, Wladimir Wladimirowitsch. Gleicher Vorname, gleicher Dienstgrad, nur - der andere wird 15 Jahre später Russlands Präsident.
"Sosluschiwez" nennt der heute 56-Jährige sein Manuskript über den Weggefährten jener Jahre, das demnächst in Russland als Buch erscheinen soll. Das heißt so viel wie "Berufskollege" oder "Kamerad" und klingt nach Nähe. Tatsächlich war Ussolzew über längere Zeit hinweg so etwas wie Putins Counterpart: Der Mann aus Leningrad, in Dresden der "kleine Wolodja" genannt, saß ihm im Zwei-Mann-Zimmer in der Angelikastraße 4 gegenüber; Ussolzew hat ihn Tag für Tag, von Schreibtisch zu Schreibtisch, beobachten können.
Mit seinem Buch will er nun einiges zurechtrücken, was Putin-Biografen in den vergangenen Jahren an Erdachtem und Erdichtetem zu Papier gebracht haben. Vor allem die These des deutschen Autors Alexander Rahr, Putins Schwindel erregende Karriere sei gar nicht so überraschend, weil von langer Hand geplant.
Tatsächlich sind zwei Fragen noch immer nicht wirklich geklärt: Wer eigentlich ist dieser Wladimir Putin, der sich nach außen so charmant wie undurchsichtig gibt, und was hat der heutige Präsident in Dresden wirklich gemacht? Insider Ussolzew liefert Antworten, indem er die kleine Welt jener sechs Offiziere beleuchtet, die für das KGB Wacht im DDR-Bezirk Dresden halten - 100 Meter vom Sitz der örtlichen Stasi entfernt. Es ist ein Leben abgeschottet wie in einem Raumschiff, das auf Langzeitflug ist. Ein Mikrokosmos, in dem Absolventen der Geheimdienstschule auf verbissene Alt-Tschekisten treffen. Eine Welt mit stupider Aktenarbeit, belehrenden Parteizirkeln und menschlichen Intrigen.
Dresden war kein Traumjob; wer hierher kam, hatte die gut dotierten Posten an den KGB-Residenturen in Bonn und Hamburg verpasst. Der musste sich mit 1800 Ostmark begnügen (wobei daheim noch einiges auf ein Rubelkonto kam), der Warenwelt des Militärladens in der 1. Garde-Panzer-Armee (wo es mitunter Bananen gab) und dem Blick in die Otto-, Neckermann- und Quelle-Kataloge, die unter der Hand zwischen den KGB-Büros zirkulierten. Putin, erinnert sich Ussolzew, habe durch gute Beziehungen die meisten herbeigeschafft. Immerhin gab es später als Draufgabe monatlich rund hundert Dollar in bar, einzulösen im Diplomaten-Shop in Berlin-Marzahn.
Für Moskau war selbst die entlegenste DDR-Provinz vorderste Klassenkampf-Front, die Nato demzufolge auch in Dresden allererstes Zielobjekt - vor allem die Green Berets, Special Forces der US-Armee, die im bayerischen Bad Tölz lagen, und die Truppenübungsplätze Wildflecken sowie Munster. Zuständig dafür in den KGB-Filialen waren die Vertreter der dritten Abteilung ("illegale Aufklärung"). In Dresden: Wladimir Putin.
Wirklich ergiebige Agenten in der Nähe dieser Basen zu stationieren gelang dem DDR-KGB allerdings nicht, beteuert Ussolzew. Obwohl die Stasi ihnen sämtliche Anträge weiterreichte, mit denen Dresdner um Genehmigung von Verwandtenbesuchen aus dem Westen nachsuchten. Zehntausende dieser Papiere habe Putin durchgewühlt, um Bezugspersonen aus der Gegend jener US-Basen zu finden. Mehr Erfolg brachte die Werbung unter ausreisewilligen DDR-Bürgern. Die seien zwar gegen Honecker gewesen, aber nicht unbedingt gegen Gorbatschow; es war Perestroika-Zeit. Ussolzew: "Wir haben sie mit dem Argument geködert, wenn die Amerikaner Westdeutschland verließen, zögen sich auch die Russen aus dem Osten zurück." Die westdeutschen Neubürger hätten immerhin wichtige US-Truppenbewegungen in den Osten gemeldet.
Wie viele Agenten das DDR-KGB darüber hinaus in der Bundesrepublik gehabt habe? "Kaum mehr als 20", sagt der Ex-Geheimdienstmann. "Wir haben sie mies bezahlt, mitunter mit nur 50 Mark." Manchmal seien es abgelegte Stasi-Informanten gewesen, Leute aus zweiter Hand, die nicht wussten, dass sie plötzlich für das KGB arbeiteten. "Viele wurden zugleich von BND oder Verfassungsschutz geführt", ist sich Ussolzew sicher. "Wir standen unter wahnsinnigem Erfolgsdruck, jede Neuanwerbung versprach Beförderung."
Das Aufspüren potenzieller KGB-Agenten unter den ausländischen Studenten der Technischen Universität war Putins eigentlicher Job. Er suchte Leute, deren Familien daheim zur politischen Elite gehörten und die nach ihrer Rückkehr wertvolle Informanten werden konnten. Kontaktaufnahme und Personenführung übernahmen zwei der vier Dresdner KGB-Residenten: operative Mitarbeiter der DDR- Kriminalpolizei, die in Wirklichkeit ausschließlich für die Sowjets arbeiteten. Die Treffs mit Putin fanden im Auto und in der weitläufigen Dresdner Heide statt.
Einer von ihnen, Rainer M., zu dem Putin ein "fast verwandtschaftliches Verhältnis" hatte, saß nach dem Ende der DDR wegen Spionageverdachts in Haft. M. hatte vor allem lateinamerikanische Studenten angesprochen - die Dresdner KGB-Filiale soll dadurch später "äußerst nützliche" Informationen aus dem Umfeld Fidel Castros erlangt haben.
War Putin auch in die Geheimoperation "Lutsch" (der Strahl) eingebunden, mit der das KGB die eigenen Freunde observierte, nämlich die Führung der DDR? Ja, sagt Ussolzew. Aber weder sei "Lutsch" eine "Elitespionagegruppe" gewesen, wie es Putin-Biograf Rahr beschreibt, noch war ihr Ziel die Ablösung von SED-Generalsekretär Erich Honecker. Für "Lutsch" hätten alle arbeiten müssen, denn Moskau habe regelmäßig Informationen über die innenpolitische Lage in der DDR verlangt. Abgeschöpft wurden unzufriedene Parteifunktionäre, kritische Mitarbeiter der Stasi-Bezirksverwaltung und Kirchenleute.
Gewicht erhielt die Operation, als Honecker auf Distanz zu Moskau ging. So zeigte sich der Kreml irritiert, als der SED-Chef im Februar 1985 die im Krieg zerstörte Dresdner Semperoper einweihen wollte: Denn zur Zeremonie hatte Honecker auch ehemalige amerikanische und britische Flieger eingeladen, die die Elbestadt 40 Jahre zuvor bombardiert hatten.
Aus Moskauer Sicht sah das nach unerwünschter Versöhnung aus und nach Aufwertung der früheren anglo-amerikanischen Kriegsalliierten. Das KGB postierte deswegen seine mit Mikrofonen ausgerüsteten Männer auf dem Theaterplatz und gab Honeckers Rede sofort an den Kreml weiter. "Es war ein eher lächerliches Spiel", sagt Ussolzew heute.
Der Bazillus des Misstrauens machte sich auch in der Dresdner Stasi-Verwaltung breit, an deren Spitze General Horst Böhm stand, ein besonders eifriger Parteigänger Honeckers. Der "große Heuchler" (Ussolzew) unterband den früher üblichen freien Zugang der KGB-Leute zum Stasi-Komplex in der Bautzner Straße. "Das MfS erschien selbst uns wie ein Produkt der Orwellschen Phantasiewelt, wie ein Überbleibsel aus der Stalin-Zeit", so der Putin-Kollege: Allein im Bezirk Dresden habe die Stasi mehr Mitarbeiter als das gesamte weißrussische KGB gehabt.
Vieles in der Filiale Angelikastraße war Routine und oft Zuarbeit für Putins Abteilung 3: Beschaffung von Deckadressen für Auslandsagenten, Passfälschungen mit Hilfe von Vertrauten in den Dresdner Meldestellen, aber auch ausgiebiger "Wissenschaftsklau". Westdeutsche Dissertationen, die auf dem Postweg DDR-Wissenschaftler erreichen sollten, wurden vom Zollamt kassiert und nicht den eigentlichen Adressaten zugestellt, sondern der Stasi und dem KGB. Ussolzew: "Alles, was Computer- oder Lasertechnik betraf, wurde für Moskau kopiert und dort vom KGB zur Auswertung an sowjetische Wissenschaftler weitergegeben - die die Daten nicht selten einfach in ihre Dissertationen einbauten."
Wie aber hat der Geheimdienstmann Ussolzew seinen Kollegen Putin erlebt? "Als Pragmatiker", sagt der Ex-KGB-Offizier, "als einen, der das eine denkt und das andere sagt." Als einen "ausgemachten Konformisten", der an keinerlei Veränderung in seinem Heimatland glaubt, nach außen hin aber den überzeugten Kommunisten mimt - und seinen Kollegen als "Dummkopf" rüffelt, wegen dessen "provinzieller Offenheit": Er solle sich mit Kritik an den sowjetischen Zuständen zurückhalten und an die eigene Familie denken.
Aber da sind auch die Vier-Augen-Gespräche im Dienstzimmer und die Saunaabende jeden Freitag im Keller der KGB-Villa. "Im kleinen Kreis", sagt Ussolzew, "hat uns Putin mit seinen politischen Ansichten überrascht."
Einerseits habe er nicht wahrhaben wollen, dass der Geheimdienst unter Stalin mitunter wahllos Leute erschoss, nur um einen von Moskau vorgegebenen Plan zu erfüllen. Andererseits habe sich Jurist Putin über den Missbrauch der Justiz in der Sowjetunion erregt und Verständnis für den wichtigsten Gegenspieler des Kreml, den Dissidenten Andrej Sacharow, gezeigt - er hielt dessen Kurs für konsequent.
Noch verblüffender sei die Toleranz des kleinen KGB-Majors gegenüber Juden gewesen - in einer Organisation, die zutiefst antisemitisch war, die hinter allem, was sie für antisowjetisch hielt, jüdische Wurzeln sah und sowjetische Juden als Sicherheitsrisiko beobachten ließ. Putin habe nie in diesen Tenor eingestimmt - Juden, so erklärte er Ussolzew, seien für ihn "ganz normale Leute". Tatsächlich war er unter ihnen aufgewachsen, in den Sportclubs von Leningrad, wo viele der Trainer und Spitzensportler Juden waren.
Doch Ussolzew räumt zugleich mit mancher Legende auf: dass Putin perfekt Deutsch gesprochen habe, ja sogar in mehreren Dialekten ("Er sprach frei, aber einfach"), und dass seine große Zukunft schon damals abzusehen gewesen sei ("Seine intellektuellen Fähigkeiten waren gut, aber nicht herausragend, kein großer Redner").
Aber er war hartnäckig, ein "Natschalnik"-Typ, sagt der Kampfgefährte. Er hat seine Agenten straff geführt und wollte Aktionen selbst dann weitertreiben, wenn sie aussichtslos geworden waren. Sein Gesellenstück sei die Rettung jener Kartei gewesen, in der alle KGB-Kontaktpersonen festgehalten waren. Sie lagerte als Kopie in der Dresdner Stasi-Verwaltung. Putin holte sie im letzten Moment heraus - nach dem Mauerfall im November 1989.
Putin habe seine Energie hinter ausgesuchter Höflichkeit und Zuvorkommenheit versteckt, meint Ussolzew. Gegenüber seinen Chefs sei er als überaus gehorsam, ja fast schon hörig erschienen. Das habe ihn stets zum Liebling der Vorgesetzten gemacht: in Dresden, bei der Zentrale in Karlshorst und wohl später bei seinem politischen Ziehvater Boris Jelzin.
Aber dass er zum Staatsmann taugte? Nie habe das jemand der Dresdner Kollegen gedacht. Auch mit dem KGB schien Putin zum Schluss nicht mehr viel am Hut zu haben; er hatte sich 1990, zum Abgesang der Sowjetunion, auf eine Taxifahrer-Karriere in Leningrad eingestellt.
Dann tauchte er plötzlich als rechte Hand des dortigen Bürgermeisters wieder auf. Als Offizier im besonderen Einsatz, wie sich Ussolzew heute sicher ist. Und jetzt, als Präsident? Jetzt habe er wie keiner seiner Vorgänger einen Großteil der Kreml-Macht auf die Schultern von Geheimdienstlern gelegt. "Das", sagt Ussolzew, "ist das größte Rätsel für mich. Das ist seine Tragödie." CHRISTIAN NEEF
* Bei einem Besuch in Wernigerode 1986.
Von Neef, Christian
Und über die Hintergründe und Art und Weise der teilweise doch bemerkenswerten Endstationen sämtlicher Reformen und Reformer bzw. das allgemeine Ende der Vernunft in der DDR gibt es im Prinzip auch noch viel noch vie unbearbeitete Forschungsthemen für Historiker, kleiner Einstieg:
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