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Selbstgemachte Ausweise bei Polizeikontrollen
Obendrein behaupten sie, die Tschechische Republik sei kein Staat, sondern lediglich eine private Firma (gelegentlich sogar: eine Mafia). Deshalb weigern sie sich unter anderem, Strafen für Verkehrsdelikte wie Falschparken und Überschreiten des Tempolimits zu bezahlen, den Betrag für die Autobahn-Vignette zu entrichten, Amtsschreiben entgegenzunehmen oder zu Gerichtsterminen zu erscheinen.
treifenpolizisten machen des Öfteren die Erfahrung, dass Bürger ihre Autorität anzweifeln. Bei Personenkontrollen bekommen die Uniformierten beispielsweise zu hören, dass die Dokumente, die sie kontrollieren wollen, also Personalausweise oder Führerscheine, ungültig sind, weil sie von einem illegitimen Staat, der eigentlich nicht existiere, herausgegeben wurden. Dabei berufen sie sich auf ihre angebliche Staatsbürgerschaft der Tschechoslowakei.
Manche gehen sogar so weit, sich selbst "tschechoslowakische" Ausweispapiere auszustellen, und dem heutigen tschechischen Staat zu kündigen – laut einer Analyse des tschechischen Innenministeriums treffen seit Herbst 2022 bei den Behörden verstärkt Schreiben von Bürgern ein, in denen sie erklären, ihre rechtlichen Verbindungen zur "Firma Tschechische Republik" aufzulösen.
Ähnlichkeiten mit der Reichsbürger-Szene
Eine Ähnlichkeit mit der Bewegung der sogenannten Reichsbürger in Deutschland, aber auch mit den US-amerikanischen "Souveränen Bürgern" ist nicht von der Hand zu weisen, meint die tschechische Extremismus-Forscherin Petra Mlejnková von der Masaryk-Universität in Brünn.
Angetrieben werde die Bewegung von den aktuellen weltweiten Krisen, beginnend mit der Flüchtlingskrise, über Covid bis zum Ukraine-Krieg, so Mlejnková weiter.
Auslöser: private Fehde mit dem Staat
Gründer der Bewegung mit dem vollen Namen "Legitime Gläubiger der Tschechischen Republik" ist der mittlerweile von der Polizei gesuchte 60-jährige Jan Macháček, der möglicherweise irgendwo in Deutschland untergetaucht ist. Der frühere Inhaber einer kleinen Baufirma aus Ostböhmen führt seit den 1990er Jahren einen juristischen Streit mit dem Staat, der in eine Art Krieg ausgeufert ist. Wegen des Verdachts auf Betrug saß er in Untersuchungshaft. Dies war jedoch rechtswidrig, wie sich im Nachhinein herausstellte, und Macháček klagte auf Entschädigung.
Die vier Millionen Kronen (umgerechnet rund 166.000 Euro), die ihm zugestanden wurden, betrachtet er als zu gering. Gegenwärtig beziffert er seine Forderungen gegen die Tschechische Republik auf sechs Milliarden Kronen (fast 250 Millionen Euro). Dieses ihm angeblich vorenthaltene Geld will sich Macháček, der die Tschechische Republik nicht anerkennt und sich für einen Bürger der Tschechoslowakei hält, vom Staat zurückholen.
Mit der Zeit fing Macháček an, Gleichgesinnte um sich zu scharen, die in ihm mittlerweile eine Art Guru sehen. Er hat ferner damit begonnen, seinen Anhängern Schuldbriefe auszustellen, die es ihnen ermöglichen sollen, Eigentum des Staates einzufordern – daher der Name der Bewegung, die bis vor Kurzem aber nicht sonderlich stark wahrnehmbar war.
"Sie waren eigentlich nie sonderlich präsent im öffentlichen Raum, mit Ausnahme der Fälle, wo sie versuchten Institutionen zu besetzen. Niemand hat dem allerdings große Aufmerksamkeit geschenkt", erklärt Extremismus-Forscherin Mlejnková. Die öffentlichkeitswirksamen Gerichtsbesetzungen werden ihnen nun einen gewissen weiteren Zulauf bescheren, glaubt sie. Die Zahl der angeblichen "Gläubiger" schätzt Mlejnková auf einige Hundert Personen. Das tschechische Innenministerium geht von einigen Tausend aus.
"Tschechoslowaken" besetzen Behörden
Die "Gläubiger" verlangen, dass die Tschechische Republik ihnen Geld zurückzahlt, das sie ihnen angeblich schuldet. In den letzten Wochen begannen sie mit der sogenannten "Übernahme" staatlichen Eigentums, was immer nach dem gleichen Muster verläuft: Entweder schicken sie an einzelne Behörden, zum Beispiel Ministerien, entsprechende Erklärungen über die Beschlagnahmung von Werten "im Namen der Tschechoslowakischen Republik".
Oder aber: Sie versuchen, in die betreffende Institution einzudringen und sie als Eigentum der in ihren Augen fortbestehenden Tschechoslowakei zu übernehmen. Dabei wird vom Blatt oft folgende Erklärung verlesen:
„Als Bürger der Tschechoslowakei sind wir verpflichtet, die Kontrolle über das gesamte Eigentum des Landes zu übernehmen. Wir wollen jene Aktivposten übernehmen, die gestohlen wurden und zwar im Namen der Mitglieder der Übergangsregierung der Tschechischen Republik.“
Wenn die "Übernahme" aufgrund von Gegenwehr nicht klappt, ist die ganze Aktion wenigstens für ein Gruppenfoto mit Fahne und dem alten tschechoslowakischen Wappen gut. Das Ganze wird zudem auf Video dokumentiert und ins Netz gestellt. Oft sind im Hintergrund auch die völlig verdutzten Angestellten der jeweiligen Behörde zu sehen, die das Prozedere regungslos über sich ergehen lassen.
Konfllikte unter tschechischen "Reichsbürgern"
Allerdings sind die "Gläubiger" keine homogene Gruppe. Das zeigte sich in letzter Zeit, als vermehrt Anhänger der Ex-Journalistin Peterková dazustießen. Die Neuankömmlinge werden vom ursprünglichen Aktivisten-Kern rund um Macháček mit Argwohn betrachtet, wie die Extremismus-Forscherin Petra Mlejnková erklärt: "Die Leute aus dem Umfeld von Frau Peterková hängen mit Macháčeks Gruppierung nicht zusammen, im Gegenteil. Letztere distanzieren sich von ersteren, kritisieren sie, sie würden sie der ursprünglichen Idee berauben und es angeblich nicht ernst meinen. In Peterková sehen sie in erster Line eine pragmatisch agierende Person, die etwas missbraucht, woran sie ganz fest glauben."
Die tschechische "Gläubiger"-Bewegung ist noch relativ jung und nach Einschätzung der Extremismus-Forscherin Mlejnková noch nicht so gefährlich wie ihre Entsprechungen in Deutschland und den USA, die "bereit sind, fast alles zu tun, um das verhasste System zu zerstören." Auch in den regelmäßig erscheinenden Jahresberichten des tschechischen Inlandsgeheimdienstes BIS fanden sie bislang keine explizite Erwähnung. Doch das wird sich wohl schon bald ändern – nicht zuletzt wegen der beiden Attacken auf tschechische Gerichte.