Urteil gegen Holocaustleugnerin
Und Ursula Haverbeck sonnt sich im Applaus
Ursula Haverbeck leugnet, dass in Auschwitz massenhaft Menschen ermordet wurden. Nun soll die 95-Jährige erneut wegen Volksverhetzung ins Gefängnis. Im Prozess steht das Publikum hinter ihr, die Wachtmeister müssen eingreifen.
Von Julia Jüttner
26.06.2024, 17.48 Uhr
Ursula Haverbeck ist in erstaunlich guter Verfassung. Zu ihrem Leidwesen. Wäre ihr Gesundheitszustand schlechter, könnte ihr keine Reise aus Herford in Nordrhein-Westfalen ins Landgericht Hamburg zugemutet werden – und erst recht keine Freiheitsstrafe.
Ob sie sitzen bleiben dürfe, fragt die 95-Jährige im Rollstuhl. »Ich rede lieber im Stehen, aber das fällt mir gerade schwer.« Sie darf. Wortgewandt, mit bemerkenswert fester, klarer Stimme hält sie daraufhin eine euphorische Verteidigungsrede, blickt dabei aufmerksam zur Richterin, zur Staatsanwältin und zu ihrem Verteidiger Wolfram Nahrath, einem ehemaligen NPD-Funktionär.
»Ich flehe Sie an!«
Ursula Haverbeck leugnet seit Jahrzehnten die Schoa. Der millionenfache Massenmord an Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten sei nicht bewiesen, behauptet sie und wird dafür in rechtsextremen Kreisen gefeiert. 2018 wählte sie die rechtsextreme Partei »Die Rechte« zur Spitzenkandidatin für die Europawahl 2019.
Staatsanwältin Friederike Brümmer wirft ihr Volksverhetzung in zwei Fällen vor: Am 21. April 2015, am Rande des Prozesses gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning in Lüneburg, soll Haverbeck vor Journalisten gesagt haben, Auschwitz sei ein Arbeitslager, kein Vernichtungslager gewesen. In einem Fernsehinterview für das NDR-Magazin »Panorama« verneinte sie zudem, dass es dort eine Massenvernichtung von Menschen gab.
Das Amtsgericht Hamburg verurteilte sie 2015 zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten ohne Bewährung, Haverbeck legte Berufung ein. Deshalb nun dieser erneute Prozess vor dem Landgericht – neun Jahre später. Die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, unter anderem wegen der Coronapandemie, wird Haverbeck bei der Urteilsfindung später zugutekommen.
In der Naziszene wie eine Ikone verehrt
Haverbeck sagt, was sie immer vor Gericht sagt: Sie habe nie den Holocaust geleugnet, sie habe nur Zweifel und lediglich Fragen gestellt, für die sie seit Jahrzehnten verfolgt werde. »Ich flehe Sie an!«, ruft sie zur Richterbank. »Hören Sie auf mit dem Lügen! Erkundigen Sie sich bei der Wissenschaft. (…) Nehmen Sie auch die Argumente von Kritikern ernst!«
Sie verliert sich in Details, schwärmt vom rechtsextremen Schulungszentrum »Collegium Humanum«, das sie leitete, und von ihrem Ehemann, einem früheren NSDAP-Funktionär. Eine unbelehrbare, eigenwillige Frau, die es zu genießen scheint, in der Naziszene wie eine Ikone verehrt zu werden.
Nach mehr als 20 Minuten endet Haverbeck mit einem lauten »Danke!«, strahlt und sonnt sich anschließend im anhaltenden Applaus der mehr als 100 Zuschauerinnen und Zuschauer.
Richterin Judith Riede, die schon an den vorangegangenen Verhandlungstagen Meinungsäußerungen aus dem Publikum untersagen musste, haut auf den Tisch: »Alle, die geklatscht haben, verlassen nun den Saal!« Nur Einzelne stehen auf, alle anderen bleiben grinsend sitzen.
Das ändert sich, als Riede 40 Minuten später das Urteil verkündet: Wegen Volksverhetzung in zwei Fällen wird Ursula Haverbeck zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt; vier Monate gelten allerdings wegen Verfahrensverzögerung als bereits vollstreckt. Wütend verlassen Zuschauer den Saal: »Schande über das Gericht!« »Das ist kein Rechtsstaat!« »Pfui!« »Verbrecher!« Die Wachtmeister, die in der Pause Verstärkung angefordert hatten, haben alle Hände voll zu tun.
»Was Sie verbreiten, Frau Haverbeck, sind Unwahrheiten.«
»Sie sind mittlerweile 95 Jahre alt, und das Verfahren fällt in eine Zeit, in der Antisemitismus auf dem Vormarsch ist«, sagt Riede in der Urteilsbegründung. Auschwitz sei ein Vernichtungslager und viele Tausende hätten nur deshalb nicht so alt werden dürfen wie Haverbeck, weil Auschwitz ein zentraler Ort für Genozid, für ein unvorstellbares Verbrechen gewesen sei. »Was Sie verbreiten, Frau Haverbeck, sind Unwahrheiten«, sagt Riede.
Mehrfach wurde Haverbeck wegen Volksverhetzung verurteilt und saß dafür auch von 2018 bis 2020 bereits im Gefängnis in Bielefeld. Zuletzt wurde sie 2022 in Berlin zu einem Jahr Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt, ebenfalls wegen Volksverhetzung. Das Urteil ist rechtskräftig, angetreten hat Haverbeck die Haft bislang nicht. Dieses Urteil werde in das heutige miteinbezogen, sagt die Richterin.
Er habe Haverbeck in vielen Verfahren vertreten, hatte ihr Anwalt Wolfram Nahrath in seinem Plädoyer vor der Verkündung noch gesagt. Haverbeck sei nie in Auschwitz gewesen, aber sie habe sich »geistig damit auseinandergesetzt«. Sie sei »verzweifelt«, dass sie »auf so viel Unverständnis« stoße. Haverbeck unterbrach ihn mehrfach, nur um ihre Zustimmung mitzuteilen.
Nahrath plädiert an diesem Mittwoch darauf, das Urteil gegen Ursula Haverbeck aufzuheben und sie freizusprechen. Sie habe nicht vorsätzlich gelogen, betont er. Vielmehr gehe sie aus »tiefster Überzeugung« von einer Fehleinschätzung aus. Außerdem halte er die 95-Jährige nach wie vor für verhandlungsunfähig. Seinen Antrag, die gesamte bisherige Beweisaufnahme solle wiederholt werden, weil Haverbeck ihr wegen Hörproblemen nicht richtig habe folgen können, hatte Richterin Riede abgelehnt. Wie all seine anderen Anträge auch.
Das Urteil gegen Ursula Haverbeck sei ein wichtiges Signal, sagt Riede am Ende dieses Verhandlungstages und wendet sich der 95-Jährigen ein letztes Mal zu. »Gerade, wenn man sieht, wie viele Anhänger und Fans Sie haben.«
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