Oberlandesgericht Hamm, 3 RVs 19/21
Datum:
01.06.2021
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 RVs 19/21
ECLI:
ECLI:DE:OLGHAM:2021:0601.3RVS19.21.00
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 05 Ns 68/19
Tenor:
Die Revision wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.
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Gründe:
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I.
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Auf den Einspruch des Angeklagten gegen einen Strafbefehl verurteilte ihn das Amtsgericht Bielefeld am 20. August 2019 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Gegen das Urteil legte der Angeklagte Berufung ein, die das Landgericht Bielefeld mit Urteil vom 5. Oktober 2020 verworfen hat.
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Nach den Feststellungen der kleinen Strafkammer nahm der Angeklagte am 00.00.0000 in C an einer von Mitgliedern der Partei „Die Rechte“ aus E angemeldeten Veranstaltung teil, die zum 00. Geburtstag der bekannten und mehrfach verurteilten Holocaust-Leugnerin V, mit der der Angeklagte befreundet ist, stattfand. Auf der Veranstaltung trat er als Redner auf und hielt eine etwa neunminütige Rede, die noch heute bei „youtube“ abrufbar ist. In dieser – in dem angefochtenen Urteil im vollständigen Wortlaut mitgeteilten – Rede äußerte er u. a.: „Die Juden haben Christus verworfen, haben ihn kreuzigen lassen, sie haben sein Opfer für sich in Anspruch genommen und brauchten einen anderen Mythos. Den haben sie geschaffen und der findet auch seinen Niederschlag in § 130 Strafgesetzbuch.“ Durch diese Passage, so das Landgericht, habe der Angeklagte bewusst und gewollt den Holocaust als Erfindung der Juden dargestellt, wobei ihm bewusst gewesen sei, dass dies von Dritten, insbesondere Teilnehmern der Veranstaltung, auch entsprechend verstanden werden würde.
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Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner rechtzeitig durch seinen Verteidiger eingelegten und rechtzeitig mit der jeweils näher ausgeführten Verfahrensrüge und der Sachrüge begründeten Revision. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
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II.
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Die Revision ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
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1.
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Die Verfahrensrüge ist unbegründet. Zu Unrecht beanstandet der Angeklagte die Ablehnung seines Antrags auf Erhebung des Sachverständigenbeweises „zum Beweis der Tatsache, dass von verschiedenen Strömungen der jüdischen Religion die im christlichen Glauben als Voraussage des Erscheinens Jesu Christi verstandenen Texte im Kapitel 53 des Buches Jesaja dahingehend interpretiert werden, dass ein erheblicher Teil des jüdischen Volkes als Opfer sterben müsse und diese Lehre bereits vor 1933 vertreten wurde“. Das Landgericht hat die beantragte Beweiserhebung zutreffend gem. § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO als bedeutungslos abgelehnt.
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Bei der unter Beweis gestellten Behauptung handelt es sich um eine Hilfstatsache. Der Antrag betrifft nicht die dem Angeklagten als strafbar vorgeworfene Äußerung als solche, sondern hat angebliche religiöse Ansichten zum Gegenstand, aus deren Existenz aus Sicht des Angeklagten der Schluss zu ziehen sei, dass es sich bei der ihm vorgeworfenen Äußerung nicht um ein Leugnen von Tatsachen, sondern um eine theologische Meinungsäußerung handele.
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Diese Hilfstatsache war aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung bedeutungslos. Denn sie hätte auch im Falle ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die tatrichterliche Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt gehabt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1999 – 1 StR 122/99 –; Beschluss vom 15. Oktober 2013 – 3 StR 154/13 –, beide juris; Julius in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 244, Rn. 30; Trüg/Habetha, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 244, Rn. 240; Meyer-Goßner, StPO, 63. Auflage 2020, § 244, Rn. 56). Zutreffend ist das Landgericht in seinem die Beweiserhebung ablehnenden Beschluss davon ausgegangen, dass die Bewertung der dem Angeklagten vorgeworfenen Äußerung als strafbar nicht davon abhängt, ob es die unter Beweis gestellten Strömungen in der jüdischen Religion tatsächlich gibt.
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Denn „Leugnen“ im Sinne von § 130 Abs. 3 StGB ist u. a. das Bestreiten des nationalsozialistischen Völkermordes an den europäischen Juden. Ob es sich bei einer Äußerung um ein solches Bestreiten handelt, hat das Tatgericht durch Auslegung der Äußerung auf ihren tatsächlichen Gehalt hin zu ermitteln. Als Kriterien dieser Auslegung sind der Wortlaut der Äußerung, ihr sprachlicher Kontext, die nach außen hervortretenden Begleitumstände sowie die nach dem objektiven Empfängerhorizont deutlich werdende Einstellung des sich Äußernden heranzuziehen (BGH, Beschluss vom 3. Mai 2016 – 3 StR 449/15 –, juris). Darauf hat auch das Landgericht zutreffend abgestellt.
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Es lag auf der Hand, dass die beantragte Beweiserhebung für die Aufklärung dieser entscheidenden Gesichtspunkte nicht von Belang war. Denn auch, wenn die behaupteten theologischen Ansichten tatsächlich wissenschaftlich vertreten würden, wäre die Äußerung des Angeklagten nicht als Beitrag zu einem theologischen Diskurs zu verstehen gewesen. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zu Recht ausgeführt hat, ist die fragliche Äußerung nicht bei einem Symposium von Religionswissenschaftlern, sondern auf einer Sympathiekundgebung für eine Holocaustleugnerin gefallen. Vor diesem Hintergrund war auch eine weitergehende Würdigung der Beweislage in dem die Beweiserhebung ablehnenden Beschluss ausnahmsweise entbehrlich (vgl. BGH, Urteil vom 5. Januar 1982 – 5 StR 567/81 –; Beschluss vom 24. August 1999 – 1 StR 672/98 –; beide juris).
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2.
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Auch die auf die Sachrüge vorzunehmende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils deckt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf.
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Namentlich verhilft es der Revision nicht zum Erfolg, dass sie – im Sinne des unter dem Begriff der „dog whistle politics“ beschriebenen politischen Phänomens des strategischen Spiels mit der Mehrdeutigkeit von Sprache (vgl. Hasnain Kazim, Politik mit der Hundepfeife,
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-12/demokratie-gefaehrdung-rechte-politik-sebastian-kurz-friedrich-merz; Stephan Packard, Dog Whistling. Weiße Flecken zwischen Technokratie und Demokratie,
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/medien-und-macht-hundepfeifen-in-der-politik; beide abgerufen am 1. Juni 2021) – auf „andere Auslegungsmöglichkeiten“ der vorgeworfenen Äußerung hinweist. Denn bei mehrdeutigen Äußerungen gebietet es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nur dann, die dem Angeklagten günstigere Deutung zugrunde zu legen, wenn diese nicht ausgeschlossen ist (BVerfG, Beschluss vom 25. August 1994 – 1 BvR 1423/92 –; BGH, Beschluss vom 3. Mai 2016– 3 StR 449/15 –, beide juris).
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Im hier zu beurteilenden Fall ist das Landgericht indes anhand der bereits genannten Kriterien in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Überzeugung gelangt, dass eine Deutung der Äußerung des Angeklagten im Sinne einer religiösen Meinungsäußerung ausgeschlossen ist. Es enthält weder Lücken noch Wertungswidersprüche noch verstößt es gegen Denkgesetze, dass das Landgericht schon den Wortlaut der Äußerung als Leugnung des Holocaust gewertet hat. Denn das Landgericht hat dies damit begründet, dass der Angeklagte in seiner Äußerung das angebliche „Schaffen eines Mythos durch die Juden“ in Bezug zu § 130 StGB gesetzt hat, der seinerseits das Leugnen des Holocaust unter Strafe stellt. Schon deshalb konnte und durfte ein objektiver Empfänger die Äußerung dahingehend verstehen, beim Holocaust handele es sich um eine Erfindung der Juden. Eine derartige Interpretation des Begriffes „Mythos“ ist in diesem Zusammenhang rechtlich unbedenklich (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 1994 – 1 StR 179/93 –, juris).
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Ebenso wenig ist es revisionsrechtlich zu beanstanden, dass das Landgericht – auch unter Berücksichtigung der Einlassung des Angeklagten – dem sprachlichen Kontext der Äußerung und den Begleitumständen keine andere Bedeutung als die eines Leugnen des nationalsozialistischen Völkermordes an den europäischen Juden beizumessen vermochte.
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Anhand des vom Landgericht im Einzelnen festgestellten Wortlauts der Rede hat der Senat nachvollziehen können, dass das Landgericht zu Recht eine theologische Aussage der Rede und der dem Angeklagten vorgeworfenen Äußerung auch unter Berücksichtigung der Einlassung des Angeklagten ausgeschlossen hat. Denn zutreffend hat das Landgericht auf die Vielzahl politischer Kundgaben in der Rede hingewiesen (u. a. das System müsse überwunden werden; „BRD ist, wenn 00jährige für ein abweichendes Geschichtsbild im Gefängnis sitzen“; V und alle anderen politischen Gefangenen müssten freigelassen werden), denen neben einem kurzen Segenswunsch lediglich ein einziger religiöser Bezug gegenübersteht, nämlich ein knappes Zitat aus dem Thessalonicherbrief. Insofern kann der Senat auch einen Eingriff in das Grundrecht der Religionsfreiheit des Angeklagten gem. Art. 4 Abs. 1 GG durch das Urteil ausschließen.
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Zusätzlich hat sich das Landgericht darauf stützen können, dass sich das Bibelzitat seinerseits überwiegend in antijüdischen Ausführungen erschöpft („Sie [die Juden] haben den Herrn Jesus getötet und die Propheten, und haben uns verfolgt, und gefallen Gott nicht und sind allen Menschen Feind. … Aber Zorn Gottes ist schon im vollen Maß über sie gekommen.“). Nachdem der Angeklagte selbst ebenfalls dem politisch rechtsextremen Spektrum angehört, die Äußerung des Angeklagten in einer Solidaritätsveranstaltung für V gefallen ist, die nach mehrfacher Verurteilung wegen Leugnens des Holocausts inhaftiert war, die Veranstaltung nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen in erster Linie von Sympathiekundgebungen für V geprägt war und die Teilnehmer überwiegend Angehörige des politisch rechtsextremen Spektrums waren, konnte und durfte das Landgericht es unter dem Maßstab eines objektiven Empfängerhorizontes als sicher ausschließen, dass es dem Angeklagten mit seiner Äußerung um etwas anderes ging als eine Leugnung des Holocaust.
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Nach alledem schränkt die Verurteilung den Angeklagten auch nicht in unzulässiger Weise in seiner Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ein. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift zu Recht darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht die Regelung des § 130 Abs. 3 StGB als verfassungskonform beurteilt hat (BVerfG, Beschlüsse vom 22. Jun 2018 – 1 BvR 2083/15 u. 1 BvR 673/18 –, juris). Im Übrigen entspricht es auch internationalem Recht, dass die Darbietung von Hass, Antisemitismus und die Leugnung des Holocaust nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung vom 20. Oktober 2015 – 25239/13 –, juris).
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Gegen die Verhängung und Bemessung der im Verhältnis zum Maß der Schuld des Angeklagten recht moderaten Geldstrafe ist ebenfalls nichts zu erinnern.
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3.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.