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In der aktuelle Ausgabe der rechtsextremen österreichischen Zeitschrift „Die Neue Ordnung“ (III/2019) aus dem Ares Verlag von Wolfang Dvorak-Stocker ist ein Interview mit Götz Kubitschek, Verleger das Antaios-Verlags, Leiter des „Instituts für Staatspolitik (IfS)“ in Schnellroda und Herausgeber und Autor der „Sezession“ (nicht online, nur Print). Größere Teile des Interviews können als „Märchenstunde mit Onkel Götz“ durchgehen, in denen er vor allem an seiner eigenen Legende strickt („Wir haben unseren Verlag aufgebaut und hätten einfach weitergemacht, selbst wenn er klein und fein geblieben wäre – aber dann kam es eben zum Erfolg. (…) Die Ruhe ist zwar abhanden gekommen, aber es geht ums Vaterland!“) und eine sehr eigene und selbstbewusste Sicht auf die Lage der Welt präsentiert: „Wir erreichen mit unserer Reichweite keine Wählermassen, aber wir erreichen wohl jeden, wirklich jeden Kopf, der irgendwie mit uns oder gegen uns liest, denkt, formuliert, argumentiert.“
Vom Mentor zum Kritiker
Ob dies mit Kubitscheks eher unangenehm zu lesenden Publikationen der Fall ist, sei dahingestellt – aber das „Institut für Staatspolitik“ und die von Kubitschek mit begründete Initiative „Ein Prozent für unser Land“ sind zentrale Vernetzungsorte für verschiedene Teile der rechtspopulistischen bis rechtsextremen Szene im deutschsprachigen Raum. Hier treffen und vernetzen sich seit 19 Jahren Akteur*innen von NPD bis AfD, von Pegida bis zur „Identitären Bewegung“ und planen Strategien und Methoden, um rechtsextreme Ideologie in Deutschland bis zur Wählbarkeit zu normalisieren. Vor allem in den „Sommer-“ und „Winter-Akademien“, die sich an Menschen unter 35 Jahren wenden, werden die neurechten Kader von morgen ideologisch und kommunikativ geschult. Hier lernen sie, was Kubitschek schon predigte, bevor AfD und IB seine Ideen umsetzten: etwa Provokation als Aufmerksamkeitsgenerator und Mittel zur Verschiebung von Sagbarkeitsgrenzen oder die Idee der Agitation in der „Metapolitik“, also der rechtsextremen Stimmungsmache im „vorpolitischen Raum“. Seit Jahren prominent in Schnellroda vertreten: Aktivist*innen der „Identitären Bewegung“.
Bisher war Kubitschek ein Fan der IB. 2012, so berichtet der Tagesspiegel 2018, lernte Kubitschek Martin Sellner kennen, Kopf der deutschen und österreichischen IB, und wurde für ihn eine Art Mentor. Der Tagesspiegel schreibt: „Kubitschek sagt, es habe ihn stolz gemacht, dass sein Bändchen ‚Provokation’ bei Protestaktionen [der IB] in die Kamera gehalten wurde.“ Martin Sellner und andere IBler wie Tim-Lucas Wessels oder Jonas Schick publizieren bisher regelmäßig in Kubitscheks „Sezession“. Kubitschek selbst schreibt dort über Sellner: „Ich bin nicht mit jedem meiner Autoren befreundet – mit Martin aus Wien aber schon.“
„Es wird nichts Großes mehr daraus“
Im Interview mit der „Neuen Ordnung“ sind von Kubitschek nun aber ganz andere – und szenepassend harte – Töne zu hören. Deren Autor Bernd Kallina will von Kubitschek eine Einschätzung bekommen zur Einstufung der IB als rechtsextrem durch den Verfassungsschutz in Deutschland. Kubitschek sagt: „Manche Leute und Gruppierungen werden zu ‚weißen Billiardkugeln’ gemacht, mit denen dann andere Kugeln ins Loch gestoßen werden sollen – Sie kennen das Spiel, nehme ich an. Mit Blick auf die Identitären war das zu erwarten, es war ziemlich bald klar, dass diese Rolle genau dieser Bewegung zugedacht wäre. Jung, aktivistisch, die eine oder andere einschlägige Biographie von rechtsextremistisch zu identitär (…): Das sind die Zutaten für einen miesen Cocktail, und alle Beteuerungen und Alltagsbeweise für die völlige Friedfertigkeit haben nichts mehr retten können.“
Die „IB“ also nur als eine Art Durchlauferhitzer für kommende Aktivitäten, weil mit zu rechtsextremem Personal bestückt? Interviewer Kallina fragt nach. Kubitschek führt aus: „Zum einen ist dieser wirklich gute Ansatz einer patriotischen, nicht-extremen und sehr kreativen Jugendbewegung nun bis zur Unberührbarkeit kontaminiert. Das bedeutet: Es wird nichts Großes mehr daraus. Zum anderen hat sich der Gegner durch diesen Umgang mit der IB ‚bis zur Kenntlichkeit entstellt’ – ein lehrreicher Vorgang.‘“
Mit letzterem Satz meint Kubitschek wohl, dass selbst eine „friedfertige“ rechtsextreme Jugendbewegung als rechtsextreme Bestrebung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung erkannt und bekämpft wird. Er ärgert sich im Interview mehrfach über die deutsche Gesellschaft, die nicht so will, wie er („‚Mit Rechten reden‘ war die Parole im Herbst 2017, da stand dieser Dammbruch unmittelbar bevor. Es kam dann doch nicht dazu, denn die ‚Zivilgesellschaft’ mauerte.“ oder „An Spekulationen darüber, ob der ‚Flügel’ im Westen vermittelbar sei oder nicht, beteilige ich mich nicht, denn die Vermittelbarkeit stünde außer Frage, wenn unsere Medienlandschaft nicht so denunziatorisch wäre.“)
Abstieg der „Identitären Bewegung“
Aber wie geht es der IB, die hier verbal abgewickelt wird? Tatsächlich ist es um die selbsternannte „Bewegung“ mit rund 500 Aktivist*innen im Jahr 2019 bemerkenswert ruhig geworden. Spektakuläre, öffentlichkeitswirksame Aktionen, die zuvor zum Markenkern der IB gehörten, blieben aus. Kleinere, lokale Aktionen, die noch stattfinden, finden keine (Presse-)Öffentlichkeit mehr – und auch die zuvor für die Selbstinszenierung gern genutzten Kommunikationsmöglichkeiten im Internet werden immer begrenzter, seit die „Identitäre Bewegung“ und ihre Aktivist*innen auf Plattformen wie Facebook und Instagram gesperrt werden und auch auf den großen Plattformen, wo sie noch aktiv sind (Twitter, YouTube) des öfteren sanktioniert werden. Provokation ohne Resonanzraum ist eben nur noch der halbe Spaß, wenn sich der „Aktivismus“ wie Plakataktionen nur noch in IB-eigenen, geschlossenen Telegram-Kanälen verbreitet.
Verfolgungsdruck nach dem Attentat von Christchurch
Schwer wiegt allerdings auch der erhöhte Verfolgungsdruck auf die „IB“ – in Deutschland wird die Gruppe seit 2018 als rechtsextrem vom Verfassungsschutz beobachtet. In Österreich und international ist dieser Eindruck ebenfalls dominant, seit sich der Christchurch-Attentäter, der im März 51 Menschen ermordete, sich nicht nur in der Ideologie des „Großen Austausches“, sondern auch durch Spende an und Kontakt mit Martin Sellner als „IB“-Fan herausgestellt hat. Bei Sellner selbst gab es Polizeirazzien wegen des Christchurch-Attentäter-Kontakts (Standard) und ein Einreiseverbot in die USA (NZZ), die österreichische ÖVP strebt derzeit ein Verbot der „Identitären“ an (Wiener Zeitung). Zuletzt machte die österreichische IB dadurch Schlagzeilen, dass der „IB“-eigene Versandhandel „Phalanx Europa“ (von Martin Sellner und Patrick Lenart) in Österreich schließt und von zwei nicht näher benannten Aktivisten in Deutschland weitergeführt werden soll (Standard). Hintergrund sind Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung gegen die Betreiber.
Eine neue Bewegung?
Interessant ist da eine Umfrage, die der langjährige IB-Aktivist Dorian Schubert aus Halle, einer der Gründer des „Flamberg e.V.“ in einer Story auf Instagram postete. Er fragt: „Sehnt ihr euch nach einer neuen authentischen und professionellen Bewegung der radikalen Rechten?“ 73 % der abstimmenden 200 Menschen sagen: Ja. Schubert möchte dann wissen, was diese neue Bewegung besser machen solle. „Distanz zum NS“, wie sie ja auch die sogenannte „Neue Rechte“ zumindest nominell pflegt, wird gewünscht, aber auch: „Die leitenden Personen sollen keine Selbstdarsteller sein, wie die Meisten der neuen Rechten“ [Rechtschreibung wie im Post]. Das geht dann wohl sowohl gegen Sellner als auch gegen Kubitschek.
Aber die Kritik ist wohl in erster Linie strategischer Natur und wird ja fragend angedeutet ob nicht eine neue Bewegung in den Startlöchern steht.