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Bei Youtube tummeln sich die Verschwörungsprediger
Alexander Raue meint, bei den Demos gegen Rechts seien Schauspieler unterwegs gewesen.
Ein Medienjournalist informiert Youtube über einen Kanalbetreiber, der mit falschen Behauptungen große Reichweite erzielt. Statt des Youtubers wird der Kritiker sanktioniert. Ein Lehrstück.
Youtube feiert im kommenden Jahr seinen 20. Geburtstag. Die Euphorie aus den Gründerjahren ist nicht verflogen, auf der eigenen Seite heißt es immer noch: „Wir glauben, dass jeder eine Stimme verdient, und dass die Welt ein besserer Ort sein wird, wenn wir diesen Stimmen zuhören, sie teilen und eine Gemeinschaft durch unsere Geschichten bilden.“ Aber: Wer glaubt das heute noch? Die großen digitalen Plattformen sind Biotope für Hass und Hetze, Propaganda und Desinformation.
Daran ändert auch der Digital Services Act (DSA) nichts, der vor einem Jahr in Kraft getreten ist, um EU-weit dieses Biotop trockenzulegen. Schaut man in die Transparenzberichte, die Youtube seither veröffentlichen muss, dann ist die Plattform selbst ein großer Teil des Problems. Allein im ersten Quartal 2024 erreichten Youtube weltweit 46 Millionen Meldungen zu irreführenden oder hasserfüllten Inhalten. Im Zuge seiner Recherchen hat der Medienjournalist Mats Schönauer (ehemals „BILDblog“) eine Vielzahl von Kanälen entdeckt, die politische Desinformation betreiben, ohne dass die Plattform sie sanktioniert. Sein Fazit, zugleich Titel eines Videos auf seinem Kanal „Topfvollgold“: „Youtube hat ein Problem.“
Im Mai 2024 veröffentlichte Schönauer ein Video, in dem es vordergründig um den Youtuber Alexander Raue und dessen Kanal „Vermietertagebuch“ geht. Raue, ein ehemaliger SAP-Entwickler mit Wohnsitz Costa Rica, gilt als einer der schärfsten rechten Meinungsmacher unter den deutschen Polit-Youtubern. Er hat den Kanal vor fünf Jahren als „Immobilienexperte“ gestartet, daher der Name, im Sommer 2022 sattelte er auf politische Themen um – mit Erfolg: Aktuell hat Raue 340.000 Abonnenten, er verdient, das sagt er selbst ganz offen, mit seinem Kanal heute mehr als 500.000 Euro pro Jahr.
Politikerbeschimpfung und Apokalypse
Das war zu Beginn anders: Seine ersten Videos über Handwerkerrechnungen, Zinsbindung oder Hausfinanzierung waren mit vier- bis fünfstelligen Aufrufzahlen keine Hits. Eines seiner ersten Politvideos im August 2022 setzte den Ton: „WIR HABEN DIE DÜMMSTE REGIERUNG“. Das Thumbnail-Design: ein grinsender Robert Habeck. Die Überschrift in Versalien, schwarz auf weiß, „DÜMMSTE“ rot unterlegt. Aufrufe: über 100.000. Seitdem herrscht bei Raue der kontinuierliche Ausnahmezustand. Signalwörter wie „zerstört“, „demütigt“, „zerlegt“ sind rot in den Vorschaubildchen unterlegt. Will man Raues Themen clustern, dann gibt es im Wesentlichen drei Narrative: das Totalversagen der aktuellen Regierung, die drohende wirtschaftliche Apokalypse des Landes und die nahende Rettung durch die AfD. Die Videos sind immer tendenziös, manche einfach falsch.
Wenn Raue über Politik spricht, klingt das so: „Enteignung: So zerstört Habeck unser Land“; „Unglaublich: Baerbock will totale Diktatur“; „Jetzt ist Pistorius komplett irre“; „Muss Scholz dafür ins Gefängnis?“ Gerade für Habeck und Baerbock gibt es regelmäßig „einen nächsten Supergau“, „einen neuen Tiefpunkt“, „eine volle Klatsche“, „ein neues Desaster“. Einmal finanziert Baerbock angeblich einen Militärputsch, ein andermal verhindert sie angeblich die Waffenruhe in Gaza, ein Video trägt den Titel: „Desaster: War Baerbock besoffen?“ – 730.000 Aufrufe.
Was mit dem Youtube-Algorithmus noch besser funktioniert als Politikerbeschimpfung, ist die Apokalypse. Raues mit 1,9 Millionen Aufrufen erfolgreichstes Video trägt den Titel: „ENTEIGNUNG BEGINNT“. Auf dem Vorschaubildchen ist ein streng blickender Markus Söder zu sehen, daneben ein rot durchgestrichenes Haus. Unterzeile: „Skandal: Erstes Bundesland enteignet Immobilien“. Raues These: Der Freistaat Bayern enteigne Hausbesitzer, um Flüchtlinge unterzubringen. Das ist zwar Nonsens, stört aber Youtube und seine Werbepartner nicht, die Reichweite des Videos ist zu verlockend. Als die F.A.Z. das Video anklickt, kommt ein Werbespot, in dem die Gründer von der „PJM Investment Akademie“ (O-Ton: „die Multimillionäre Kevin und Philipp“) mit Workshops werben für die beste aller Anlagenoptionen: Aktien oder Haus. So perfekt korrespondiert Verschwörung à la Raue mit dem Algorithmus von Youtube. Auch das ist eine Erfolgsstrategie: Der Werbeumsatz von Youtube lag 2023 bei 31,5 Milliarden Euro.
Hohe Reichweite
Andere Videos aus Raues Welt tragen Titel wie: „Kein Strom im Winter“, „Du darfst nicht mehr alleine Auto fahren“, „Du darfst nicht mehr grillen und rasenmähen“, „Offiziell: Deutschland am Ende“, „Achtung: Weltkrieg hat gerade begonnen“, gepostet am 14. April 2024. Der hat zum Glück nicht stattgefunden, weil Rettung in Form der AfD naht, der Raue mit etlichen Videos zum Sieg verhelfen will. Das klingt dann so: „Die AfD gewinnt“, „AfD gewinnt: Altparteien kochen vor Wut“, „AfD doch nicht rechtsextrem“, „AfD-Verbot: Jetzt raste ich aus“, „So wird Höcke doch Ministerpräsident“.
Das Logo des Video-Portals YouTube wird auf dem Display eines Smartphones angezeigt.
Das Logo des Video-Portals YouTube wird auf dem Display eines Smartphones angezeigt.dpa
Bei Raue verschwimmt der Unterschied zwischen Meinungsäußerung und falscher Tatsachenbehauptung. Das gilt für eine ganze Reihe von politischen Youtubern. Die Kanäle heißen „Aktien mit Kopf“, „Politik mit Kopf“, „Steuern mit Kopf“, „Oli investiert“, „Demokratisch Denken“ oder „Kettner Edelmetalle“. Der Informationswissenschaftler Lukas Schneider hat sich im Auftrag der F.A.Z. 20 der reichweitenstärksten politischen Neo-Meinungsmacher auf der Plattform angesehen. Nimmt man die Kanäle zusammen, kommt man auf weit über vier Millionen Abonnenten und zwei Milliarden Aufrufe.
Auffallend viele dieser Polit-Influencer haben mit einem Beratungskanal für Aktien, Steuern, Immobilien oder Edelmetalle angefangen und dann – ganz plötzlich – auf Politik umgeschwenkt. Seitdem wirken diese Kanäle in ihrer Themensetzung, Tonalität und dem Design ihrer Vorschaubildchen wie synchronisiert. Wer gedacht hat, dass das Internet eine Vielfalt an Stimmen hervorbrächte, sieht sich auf Plattformen wie Youtube einer Homogenität der politischen Meinungsmache ausgesetzt. Das Narrativ ist wie fest gezimmert: Die Ampel führt uns in den Untergang, vor dem uns nur die AfD bewahren kann. Eine andere Lesart von politischer Wirklichkeit kommt auf diesen Kanälen nicht vor. Tobias Schmid, Direktor der Landesmedienanstalten NRW, einer der Vorkämpfer gegen Desinformation hierzulande, nennt das „Coordinated Inauthentic Behaviour“, kurz CIB, und meint: mittels Manipulation von Reichweite wird eine Mehrheitsmeinung suggeriert, die es so gar nicht gibt.
Kein Interesse an journalistischen Standards
Genau da setzte Lukas Schneider mit seiner Recherche an. Sehen die Kanäle nur zufällig so ähnlich aus, oder gibt ob es Hinweise auf ein Netzwerk, eine orchestrierte Einflussnahme von außen? Für diesen Zweck hat er die Daten von über 10.000 Videos, mehr als 400.000 Kommentatoren und knapp vier Millionen Kommentaren auf 20 Kanälen untersucht. Im Ergebnis zeigte sich, dass 78 der 100 aktivsten Kommentatoren in der Stichprobe ein auffällig gleich verteiltes, koordiniertes Kommentarverhalten auf den untersuchten Kanälen zeigen. „Ein Indiz dafür, bestimmte Videos und Kanäle im Youtube-Algorithmus relevanter erscheinen zu lassen. Format und Verteilung der Kommentare legen Trollfabriken, Bots oder gekaufte Kommentare nahe“, so Schneider. Und: „Das täuscht nicht nur den Algorithmus, der viel kommentierte Videos besser rankt als andere, es täuscht auch die Nutzer der Plattform, denen suggeriert wird, dass viele Menschen diese Narrative teilen und unterstützen.“ CIB also.
In den USA ist der Fall von „Tenet Media“ bekannt geworden, hinter der in Wahrheit Mitarbeiter von Russia Today steckten, die mit Millionenbudget reichweitenstarke Influencer anwarben, die vor der US-Wahl ihre Kanäle mit russischer Propaganda und Desinformation fluten sollten. Es wäre naiv zu glauben, so etwas könne in Deutschland nicht passieren. Da passt es ins Bild, dass Wolfgang Holzhauser aka Youtuber „HeyWolfi“ kürzlich nachweisen konnte, dass über 12 Prozent (oder über 40.000 Abonnenten) und damit weit mehr als üblich beim „Vermietertagebuch“ russische oder englische Sprachvoreinstellungen haben. Bisher sind das nur Indizien, Fakt ist: Auf Youtube ist in Deutschland eine mediale Gegenöffentlichkeit mit einem Millionenpublikum entstanden, die sich für journalistische Standards nicht interessiert und – befördert durch den Algorithmus – mit Desinformation und Propaganda wachsende Reichweiten und Profite erzielt.
Versucht man, mit den Meinungsmachern ins Gespräch zu kommen, wird schnell klar, dass sie ihr Verhalten als alles andere als „inauthentic“, also unglaubwürdig, empfinden. Auch Alexander Raue vom „Vermietertagebuch“ gibt der F.A.Z. überraschend Antworten, obwohl er mit „öffentlichen Medien“ normalerweise nicht spricht. Er könne „komplett frei berichten“, schreibt er, es gebe „keine Brandmauer und keine Tabus“: „Ich bin deutlich unabhängiger als alle Journalisten bei den öffentlichen Medien. Und genau deswegen ist der Kanal so erfolgreich.“ Raue spricht von „Zensur durch Politik und Medienhäuser“ und davon, dass er sich im Gegensatz zu den öffentlichen Medien „nicht mit Geld schmieren“ lasse. Er meint die „GEZ-Zwangsgebühr“.
Wert auf „Unabhängigkeit“ legen
Deutlich konzilianter im Ton gibt sich Kolja Barghoorn von „Aktien mit Kopf“, mit 566.000 Abonnenten noch erfolgreicher als Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt mit seinem Youtube-Kanal („Achtung Reichelt“, 506.000). Auch Barghoorn sitzt im Ausland (Mallorca), auch er ist nach eigener Auskunft finanziell unabhängig, auch seine tägliche Weltsicht ist einseitig („Scholz nicht tragbar“, „Klatsche für Baerbock“, „AfD gewinnt“, so die Titel seiner Videos). Ihn sorge „die politische Situation in und rund um Deutschland als Unternehmer, weswegen ich es wichtig finde, meine politischen Meinungen offen zu kommunizieren“, sagt Barghoorn. Als Beispiel nennt er die Eröffnung eines Firmendepots bei einer Onlinebank, die heute wegen unzähliger Dokumente sieben Wochen dauern könne statt sieben Tage wie noch vor zehn Jahren. „Diese Missstände zu kommunizieren halte ich für sehr wichtig“, sagt Barghoorn. Er kenne etliche der anderen Kanalbetreiber, mit einigen von ihnen arbeite er zusammen, etwa mit dem Regensburger Steuerberater Roland Elias von „Steuern mit Kopf“. Aber: Es gebe „keine Interessengruppen, die Einfluss auf meine Inhalte nehmen, die gebe ich zu 100 Prozent selbst vor“.
Auf seine Unabhängigkeit legt auch Dominik Kettner von „Kettner Edelmetalle“ (375.000 Abonnenten) großen Wert. Laut seiner Website zählt das familiengeführte Handelshaus „Kettner Edelmetalle“ zu den „Pionieren des Onlinehandels“ mit Gold und Silber. Auf Youtube bricht sich auch hier die Apokalypse Bahn, wie man sie von Raue kennt. Die Videos tragen Titel wie „Immobilien-Enteignung?“, „Weltsystemcrash ist da!“ und „Nächster Supergau“, gemeint ist, na klar, Annalena Baerbock. Auf F.A.Z.-Anfrage erteilt der „Medienschaffende“ Dominik Kettner Nachhilfeunterricht in puncto „seriöser Journalismus“. Er verweist auf ein vierköpfiges Redaktionsteam für den eigenen Youtube-Kanal. „Als erfahrener Journalist wissen Sie sicher, wie entscheidend gründliche Recherche für die Qualität der Berichterstattung ist.“ Die Frage nach seinen publizistischen Kriterien als Goldhändler findet Kettner „kurios“. „Es wäre ja noch immer schöner, wenn man sich am Diskurs nur beteiligen dürfte, wenn man – von wem eigentlich? – eine journalistische Unbedenklichkeitsbescheinigung vorlegen kann.“ Bezogen auf die von Lukas Schneider untersuchten Kanäle schreibt Kettner, er halte es für „übertrieben, uns eine enorme publizistische Macht zu attestieren“. Die Verpflichtung zur Wahrheit könne sich nur auf wahre oder falsche Tatsachenbehauptungen beziehen, so Kettner, allein Letztere seien justiziabel, selbstverständlich würden Fehler umgehend korrigiert.
Keine Korrekturen
So selbstverständlich ist das gar nicht, zumindest nicht bei Alexander Raue, der im Gros der begutachteten Kanäle noch einmal eine Sonderrolle einnimmt. Tatsächlich gibt es auf Raues Kanal unter 1600 Videos zwei Korrekturvideos, eines davon zu seiner These, wonach der Anschlag auf das World Trade Center vom 9. September 2001 niemals stattgefunden habe (Titel des Videos: „Offiziell: 9/11 Anschlag ist gelogen“). In seiner Korrektur erklärt er, er sei auf ein „geschickt verkürztes“ Video von Donald Trump hereingefallen. Tatsächlich ist auch nach Ansicht des gekürzten Trump-Videos offensichtlich, dass „Nine Eleven“ kein Fake ist. Raue musste reagieren, er suggeriert, er habe das Video von der Plattform genommen. Tenor seiner Follower in den Kommentaren der Gegendarstellung: „Wer macht denn keine Fehler!“
Ob Youtube Alexander Raue und Co. als Problem erkannt hat, darf man nach den Erfahrungen des Medienkritikers Mats Schönauer mit der Plattform bezweifeln. Schönauer meldete im Zuge seiner Recherchen ein Raue-Video mit dem Titel „DEMO GEGEN RECHTS WAREN SCHAUSPIELER“ vom Januar 2024 als „Fehlinformation“. Raue behauptet darin, dass die Hunderttausende, die im Herbst 2023 bei den Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus auf die Straßen gegangen sind, in Wahrheit größtenteils von der Regierung bezahlte Schauspieler waren. Als Beleg nutzt er eine Stellenanzeige als „Demoteilnehmer“ für Statisten beim Film. Das ist grotesker Unfug, die Anzeige stammte aus dem Jahr 2022 und hatte keinen Bezug dazu.
Als die F.A.Z. Anfang Oktober mit Raue korrespondierte, erklärte er noch vollmundig, „im Gegensatz zu den Politikern berichte ich immer die Wahrheit“. Würden ihm Fehler unterlaufen, würde er diese Videos sofort löschen und ein neues Video mit einer Gegendarstellung machen. So was würde er sich auch von Politikern wünschen. Tatsächlich hat er das Schauspieler-Video nie korrigiert. Auf Nachfrage, warum er das Video nicht herunternehme, kommt keine Antwort mehr. Und auch Youtube selbst hat keinerlei Probleme damit. Die Plattform teilte Raue-Kritiker Mats Schönauer mit, dass das Video nach einer automatischen Überprüfung nicht gegen die „Community-Richtlinien“ verstoße und deshalb weiter online bleibe.
Aber erst jetzt wird es wirklich interessant: Kurz darauf wurde nämlich Schönauers Enthüllungsvideo („Youtube hat ein Problem“), in dem er den Umgang der Plattform mit Raue kritisierte, im Zuge einer „automatischen Überprüfung“ entmonetarisiert. Begründung: Es verstoße gegen die „Richtlinie für werbefreundliche Inhalte“. Youtube schaltete keine Werbung mehr, Schönauer verdiente kein Geld mehr damit. Schönauer verlangte eine manuelle Überprüfung des Videos durch einen Mitarbeiter, welche zum selben Ergebnis kam. Als letzte Option wandte sich Schönauer an die Youtube-Pressestelle. Die erklärte, dass die Plattform Fehlinformationen nicht zulasse, „wenn sie reale schädliche Folgen haben können, ... und demokratische Prozesse behindern.“
Fehlende juristische Grundlage
Eine Märchenerzählung wie die über angeblich von der Regierung bezahlte Schauspieler auf Großdemos wertet Youtube offenbar nicht als Schaden für den demokratischen Prozess, denn das über 220.000-mal aufgerufene Video steht bis heute im Netz, und Raue verdient damit Geld. Inzwischen darf das auch Schönauer wieder mit seinem inkriminierten Video.
Die F.A.Z. informierte Landesmediendirektor Tobias Schmid, der in Deutschland die Arbeit der nationalen Aufsichtsbehörde für den DSA, die Bundesnetzagentur, im Kampf gegen Desinformation koordinieren soll, über den Umgang Youtubes mit Raue. Schmid spricht von einem „eindeutigen Beispiel für eine offensichtliche Lüge. Hier versagt offenbar die Content-Moderation von Youtube.“ Grundsätzlich könne man Youtube zwingen, Inhalte offline zu nehmen, da Raue aber aus dem Ausland sendet, fehle die juristische Grundlage, das durchzusetzen. Das sei „widersinnig“ und: „Da muss der Gesetzgeber schnellstmöglich nachbessern.“
Auf der Seite der Bundesnetzagentur, die das Digitalgesetz der EU hierzulande umsetzen soll, findet man indes zwar Meldeformulare gegen Telefonwerbung, wenn die Post nicht pünktlich kommt oder der Internetanbieter Probleme macht, ein Meldeformular in Sachen Desinformation gibt es nicht. Dafür hat die BNetzA Anfang Oktober 2024 die Meldestelle „REspect!“ der Stiftung zur Förderung der Jugend in Baden-Württemberg zu einem ersten „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“, einem sogenannten „Trusted Flagger“, benannt.
Ein Chatbot antwortet
Tobias Schmid hält den Digital Services Act für einen „Meilenstein“, da Hassbotschaften auch dann verfolgt werden können, „wenn der Anbieter zwar seinen Sitz im Ausland hat, das Angebot aber auf den deutschen Markt ausgerichtet ist“. Bei der Bekämpfung von Desinformation gilt das nicht im gleichen Maß. Auch deshalb können die Landesmedienanstalten wenig ausrichten, deren rechtliche Grundlage – Paragraph 19 des Medienstaatsvertrags – die Einhaltung journalistischer Sorgfaltspflichten vorschreibt, die nur für in Deutschland zugelassene Anbieter gilt. Raues Desinformationsangebot „Vermietertagebuch“ aus Costa Rica (Raue O-Ton: „Hier hat Pura Vida immer Vorrang! Hier lässt man sich nicht stressen.“) fällt nicht darunter.
Über diesen exemplarischen Fall wollte die F.A.Z. mit Youtube reden und schickte dem Pressesprecher für Deutschland einen Fragenkatalog: Warum ist Raues „Schauspieler“-Video noch auf der Plattform? Wie ist zu erklären, dass Youtube Desinformation auf der Plattform nicht sanktioniert, die Aufklärung über Desinformation aber schon? Wie muss man sich den Kampf von Youtube gegen Desinformation vorstellen, wenn das Abschalten von Videos mit großer Reichweite und einem hohen Werbeaufkommen gleichzeitig den eigenen Geschäftsinteressen schadet? Kennt Youtube die demokratiegefährdende Gegenöffentlichkeit auf seiner Plattform? Die Antwort ist ernüchternd: Die Probleme mit der Monetarisierung von Schönauers Video „wurden mit dem Creator direkt behoben“, hieß es. Als die F.A.Z. monierte, dass Youtube offenbar kein Interesse an Aufklärung habe, kam Tage später der Hinweis, dass man noch mal etwas nachreichen könne. Über eine Woche und mehrere Fristverlängerungen später („Wir arbeiten nicht übers Wochenende“) kam als Antwort ein Chatbot, der aus den Community-Richtlinien zitierte. Wieder wurde keine der spezifischen Fragen beantwortet, und doch enthielt die Mail eine Neuigkeit zu zwei Kanälen, die wir ebenfalls als problematisch gemeldet hatten. Youtube erklärte, man habe „Politik Puls“ von der Plattform genommen und „Andi wacht auf“ aus dem Youtube-Partnerprogramm gestrichen, sprich entmonetarisiert. Beide wegen „irreführender Praktiken“, genauer wird es nicht erklärt.
Fünf Tage später startet „PolitikPuls“ (diesmal ohne Leerzeichen) seinen irreführenden Sendebetrieb. Zum beanstandeten Video vom „Vermietertagebuch“ kein Wort. Am Ende entschuldigte sich der Pressesprecher für die entstandene „Verwirrung“, es sei „eine riesen Datenmenge“ gewesen, die man zu bearbeiten hatte. Das klingt nicht wirklich vertrauenerweckend, wenn man weiß, dass bei Youtube jede Minute 500 Stunden Videos hochgeladen werden. Die Plattform bleibt eine Antwort schuldig, wie sie angesichts der schieren Masse einen effektiven Kampf gegen Desinformation sicherstellt, wenn sie es denn will. Man könnte auch sagen: Youtube hat ein Riesenproblem.
*Das* ist ja bei unserer Kundschaft wirklich überraschend.