Man könnte es auch unter "sächsische Verhältnisse" einordnen.
Spoiler
Sechs Jahre Pegida in Dresden„In anderen Städten würden die Leute sich das nicht bieten lassen“
Von Alexander Moritz
Lange Zeit haben CDU und FDP in Dresden den Rechtsdrall von Pegida nicht wahrhaben wollen. Das hat sich geändert. Längst finde man dort Gedankengut wie bei Rechtsterroristen, sagen Gegenaktivisten. Doch Sachsens Verfassungsschutz ignoriere dies.
Der Neumarkt in Dresden dieser Tage: Vor der Frauenkirche stehen sie Schlange, der Martin-Luther-Statue scheint fototauglich die Sonne aufs Haupt und das Pferdegespann klappert durch die barocken Altstadtsträßchen. Die Dresdener Innenstadt – fest in der Hand des Tourismus.
Kaum zu glauben, dass an diesem selben Ort nach wie vor montags ganz andere Töne erklingen – regelmäßig seit nunmehr sechs Jahren:
„Volksverräter“ – „Herzlich Willkommen in der Hauptstadt des Widerstands“ – „Lügenpresse“ – „Erklären wir doch den deutschen Schuldkomplex der zwölfjährigen Naziherrschaft offiziell für beendet“ – „Widerstand“.
„Kein Mensch in Deutschland hat das noch auf dem Schirm, dass bei uns jeden zweiten Montag zweitausend Rechtsradikale durch die Stadt laufen“, sagt Michal Tomaszewski. Der Dresdner Musiker spielt regelmäßig Konzerte gegen Rechtsextremismus und Rassismus – erst gegen Neonazisaufmärsche, dann gegen Pegida.
„In einer anderen Stadt dieser Größe, Bremen oder so, das würden sich die Leute da nicht bieten lassen, dass da ständig Rechtsradikale durch die Stadt laufen. So einfach, Punkt, fertig!“
Menschenverachtende Sprechchöre
In Dresden dagegen will Pegida im großen Stil das sechsjährige Bestehen zelebrieren. „Ich fand diesen Chor damals, wo die Absaufen gebrüllt haben, das war für mich so unvorstellbar. Wir haben auch mit dem Gesicht zu denen gestanden“, erinnert sich Tomaszewski. „Und dann die Ansage von der Polizei: ‚Also, wir haben nichts gehört.‘ Das war für mich so der Keller.“
Die flüchtlingsfeindlichen Sprechchöre haben sich eingebrannt bei Rita Kuhnert. Die engagierte Linke ist seit sechs Jahren eines der Gesichter des Widerstands gegen Pegida. Dass das Bündnis nach wie vor durch Dresden zieht, lastet sie vor allem CDU und FDP an.
„Hier ist ja nie wirklich etwas dagegen unternommen worden. Das wurde immer toleriert als: ‚Na ja, man muss ja seine Meinung noch sagen dürfen. Mit Rassisten muss man sprechen. Ihre Sorgen muss man ernst nehmen.‘ Das war so die Schiene, die gefahren wurde, und das ist halt das Ergebnis.“
Auch für diesen Sonntag koordiniert sie wieder die vielen unterschiedlichen Initiativen der Dresdener Zivilgesellschaft, die für ein offenes, demokratisches Dresden auf die Straße gehen. Ein Bündnis von über 50 Vereinigungen – Gewerkschaften, Kirchen, die TU Dresden und linken Parteien.
Auch Michal Tomaszewski wird wieder dabei sein. „Man kann das nicht unkommentiert stehen lassen. Und es ist schade, dass der Ministerpräsident und der Oberbürgermeister das sehr oft stehen lassen.“
Mit einer Petition gegen Pegida
Mit einer Petition wollte er die Stadtverwaltung dazu bewegen, Pegida zumindest aus der Innenstadt zu verbannen. Über 20.000 Menschen haben seit dem Frühjahr unterschrieben.
„Dass auch die Behörde es denen so schwermacht, wie es nur geht. Und das ist, finde ich, die Pflicht des Staates, Rassisten so schwer zu machen, wie es nur geht im Rahmen aller Möglichkeiten, – zivilgesellschaftlicher, juristischer – dass sie einfach keine Lust mehr haben.“
Den Rechten die Kulisse von Frauenkirche oder Semperoper entziehen – aus Sicht des Ordnungsamtes gibt es dafür rechtlich keine Handhabe. Und auch Oberbürgermeister Dirk Hilbert scheut davor zurück: „Ich wünsche mir, dass Pegida der Vergangenheit angehört. Aber das Versammlungsrecht ist ein hohes Gut in unserer Verfasstheit. Das ist ja ein völlig anderer Staat, als wir hier gerade im Osten Deutschlands eben erlebt haben. Und deswegen ist es auch so wichtig, dass wir ihn verteidigen und auch dazu demonstrieren: Das ist die Mehrheit, und nicht einige, die diese Werte mit Füßen tritt.“
Die Stadtgesellschaft hat dazugelernt
Auch Hilbert ruft für diesen Sonntag die Bürger der Stadt auf zu demonstrieren – nicht bei einer bestimmten Kundgebung, sondern allgemein. Für ein weltoffenes Dresden. Pegida, darin sieht der FDP-Politiker kein spezifisches Dresdener Phänomen. Nur zeigten sich hier eben die gesellschaftlichen Konflikte deutlicher als in Westdeutschland.
Die Stadtgesellschaft habe dazugelernt, es gebe mehr Diskussionen, sagt Hilbert. „Viele Jahre haben wir beklagt, dass wir immer weniger Wahlbeteiligung haben. Plötzlich haben wir erlebt in den letzten Jahren, dass sich viel mehr wieder in die gesellschaftlichen Prozesse eingebracht haben. Das ist erst mal ein toller Sieg für die Demokratie. Und das hat natürlich auch das etablierte System aufgeweckt, sich wieder stärker dem Bürger zuzuwenden. Und das ist erst mal gut so.“
Aber Pegida gibt es immer noch. Wenn auch in kleinerer Form. Das habe aber nichts mit einem Gesinnungswandel zu tun, sondern mit dem Erstarken der AfD, erklärt der Extremismusforscher Steffen Kailitz von der TU Dresden.
„Wir haben ja sehr starke Übereinstimmung von der ideologischen Ausrichtung von Pegida und dem Flügel in der AfD gerade. Mit den Wahlerfolgen war es natürlich auch weniger notwendig, auf die Straße zu gehen, weil man ja in den Parlamenten dann entsprechend vertreten war. Und wir haben hier schon eine Art Nostalgietreffen, eine Mythologisierung auch der eigenen Bedeutung dieser Pegida-Demonstration.“
Botschaften, die sich bei Terroristen wiederfinden
Inzwischen beurteilen Außenstehende quer durch das politische Spektrum Pegida einhellig als rechtsextrem. Die Zahl der Pegida-Demonstranten hat zwar deutlich abgenommen. Aber die Videos der Versammlungen im Internet werden weiterhin tausendfach angesehen. Auch das sei problematisch, sagt der Dresdener Musiker und Pegida-Gegner Michal Tomaszewski.
„Jeden zweiten Montag werden Botschaften im Livestream gesendet, die dann fast wortwörtlich sich bei den Terroristen aus Halle, Hanau und Kassel wiederfinden. Das sind für mich Legitimationsbrücken für das, was dann dort passiert. Verbal vorbereitet in Dresden seit sechs Jahren.“
Pegida distanziert sich zwar offiziell von Gewalt, gleichzeitig zelebrieren sie einen Geist des Widerstands. Extremismusforscher Steffen Kailitz: „Im Grunde liefern sie ja durch die Normalisierung, Bagatellisierung von rechtsextremistischer Ideologie, der identitären Ideologie ein Milieu, in dem diese rechtsextremen Gewalttaten natürlich auch zunehmen.“
Beispiel Nino Köhler. Er ist verantwortlich für Sprengstoffanschläge am 26. September 2016, unter anderem auf eine Dresdener Moschee, bei der nur durch Glück niemand verletzt wurde. Ein Jahr zuvor stand er als Redner bei Pegida auf der Bühne: „Wenn Sie wollen, dass es in Deutschland und in Europa zum Bürgerkrieg kommt, dann machen Sie nur so weiter. Aber dann gnade Ihnen Gott! Denn von uns werden Sie keine Gnade erhalten!“
Der sächsische Verfassungsschutz sieht es anders
Köhler sitzt inzwischen in Haft: Neun Jahre und acht Monate wegen versuchten Mordes. Da wirken die mehrfachen Urteile gegen Pegida-Gründer Lutz Bachmann wegen Volksverhetzung fast schon harmlos.
Dennoch ist es erstaunlich, dass der sächsische Verfassungsschutz Pegida in seinem letzten Bericht von 2018 durchgängig und explizit als „nichtextremistisch“ einstuft.
Auch Teile der Politik haben sich lange schwer damit getan, eine eindeutige Haltung zu Pegida zu finden. Zwar gab es von Anfang an Gegendemonstrationen, vor allem getragen von Menschen aus dem linken Spektrum und studentischen Milieu, auch der Antifa. Und eher misstrauisch beäugt vom konservativen Bürgertum.
Sinneswandel bei CDU und FDP
Die Dresdener CDU und FDP haben ihre Haltung inzwischen geändert. Beide Parteien rufen für Sonntag zur Demonstration gegen Pegida auf. Das hatte es bisher nur einmal im Frühjahr gegeben, als Björn Höcke bei Pegida sprach.
Markus Reichel, Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes: „Wir als CDU sind grundsätzlich keine Demo-Partei und wir sind keine Kundgebungspartei. Wir werden das auch sicherlich nur in Ausnahmefällen entsprechend tun. Ich denke, es ist eher ein Beispiel für die Buntheit dieser Stadt, dass es verschiedene entsprechende Strömungen gibt. Und der Oberbürgermeister wird ja auf all diesen Veranstaltungen sein.“
Klare Abgrenzung gegen Rechtsextreme einerseits, Dialogangebot andererseits – so will Reichel verlorengegangene Wähler zurückholen ins bürgerliche Lager.
„Ich sehe es auch als wirklich eine Aufgabe für uns als CDU an, als maßgebliche bürgerliche Partei, hier dafür zu sorgen, dass dieser Spalt auch tatsächlich kleiner wird. Das kann man nur im Dialog und in der Zusammenarbeit. Ich denke, wir sind hier weiter auch als Bürgerschaft. Sehe das auch in denen am Ende doch immer kleiner gewordenen Zusprüchen für Pegida, dass das nur eine radikalisierte Minderheit ist.“
Pegida sieht sich im Aufwind
Mit den Pegida-Organisatoren darüber zu sprechen, war leider nicht möglich. Auf eine schriftliche Interviewanfrage von Deutschlandfunk Kultur kommt eine kurze E-Mail zurück. Darin heißt es, es gebe keinen wachsenden Widerstand gegen Pegida: „Im Gegenteil, es werden wieder mehr bei Pegida. Schließlich repräsentieren wir die Stadtgesellschaft und die bürgerliche Mitte.“
Die sächsische AfD hat auf eine Anfrage nach ihrem Verhältnis zu Pegida gar nicht erst geantwortet. Doch spätestens seit Jörg Urban vor zwei Jahren den Parteivorsitz in Sachsen übernommen hat, ist die Zeit der Abgrenzung vorbei. Vertreter des inzwischen offiziell aufgelösten „Flügel“ sprechen regelmäßig bei Pegida: die Bundestagsabgeordneten Jens Maier und Heiko Hessenkemper ebenso wie der thüringische Parteichef Björn Höcke.
Angst schüren in den Netzwerken
Wann und wie Pegida das nächste Mal demonstrieren wird, ist ungewiss. Die ursprünglich für Sonntag angesetzte Veranstaltung zum sechsjährigen Bestehen hat Pegida auf nächste Woche verschoben. Eine Demonstration in der Innenstadt war wegen der Corona-Auflagen nicht genehmigt worden.
Für unverhofften Zulauf für Pegida könnte der Mord an einem Touristen sorgen. Nachdem die Polizei am Dienstag einen mutmaßlichen Islamisten als dringend tatverdächtig festnahm, schürt Pegida in sozialen Netzwerken wieder Angst vor Muslimen. Spontankundgebungen am Wochenende nicht ausgeschlossen. Die Gegendemonstrationen sollen auf jeden Fall stattfinden.