Samstag, 09.01.2016
Gute Laune, böse AbsichtAntänzer gehen seit Jahren in der Dresdner Neustadt auf Raubzug. Um sexuelle Belästigung geht es dabei aber fast nie.
Von Alexander Schneider
Spaß und ausgelassene Stimmung wie hier beim Stadtteilfest „Bunte Republik Neustadt“ ist das Umfeld, in dem Banden mit der Antänzer-Masche in Dresdens Szeneviertel ihre Opfer bestehlen.
Spaß und ausgelassene Stimmung wie hier beim Stadtteilfest „Bunte Republik Neustadt“ ist das Umfeld, in dem Banden mit der Antänzer-Masche in Dresdens Szeneviertel ihre Opfer bestehlen.
© dpa
Sie sind fröhlich, stecken Nachtschwärmer mit ihrer guten Laune an, klatschen und tanzen vor Bars und Kneipen. Die jungen Männer sind sympathisch, wohl auch ein bisschen exotisch, sie lachen viel und unternehmen einiges, um anderen möglichst nahe zu kommen. Ihren Opfern. Denn die wahren Absichten der Stimmungskanonen sind kriminell.
Ihre unbedarfte Offenheit hat Methode. Es sind Trickdiebe, die Handys und Geldbörsen stehlen. Antänzer werden diese Täter von der Polizei genannt, weil sie oft das erlebnishungrige Partyvolk auf den Straßen des Dresdner Szeneviertels mit Musik, Klatschen und guter Stimmung ablenken. Sie haken sich unter, es gibt Umarmungen, und ehe man sich‘s versieht, verschwindet das Handy aus der Tasche, wird von einem Komplizen übernommen, schnell sind die lustigen Männer verschwunden.
Das Phänomen ist nicht neu. Schon seit einigen Jahren sind diese Trickdiebe mit der Masche in deutschen Großstädten unterwegs. Es sind Nordafrikaner, meist aus Tunesien, Libyen oder Marokko. In der Äußeren Neustadt in Dresden fanden die Antänzer ideale Bedingungen, ein Biotop. Gerade dort fallen die fremdländischen Kleingruppen nicht auf. In den engen, verwinkelten und dicht bevölkerten Straßenzügen können sie schnell untertauchen. Ihre meist alkoholisierten Opfer bemerken den Diebstahl nicht sofort. Später haben sie Schwierigkeiten, Verdächtige zu beschreiben oder gar zu identifizieren.
Musik und Trallala
Thomas Geithner, der Sprecher der Dresdner Polizei, erklärt den Trick, wie es Antänzern gelingt, ihre Opfer abzulenken, mit einfachen Worten: „Gute Laune, Musik und Trallala.“ Schon vor drei Jahren gründete die Polizei eine Ermittlungsgruppe, nachdem es jahrelang nicht gelungen war, den Banden anders beizukommen. Beamte in Zivil und Uniform legten sich nachts in der Neustadt auf die Lauer, um schnell am Tatort zu sein oder Täter auf frischer Tat zu erwischen. Das hat ein Stück weit funktioniert, die Zahl der Vorfälle ging zurück.
Doch bis heute treiben Antänzer in Dresden ihr Unwesen. „In der Hochzeit haben täglich drei bis vier Geschädigte Anzeigen erstattet“, sagt Geithner. Inzwischen komme es nicht mehr so oft zu solchen Übergriffen. Geithner spricht von „Wellenbewegungen“, monatlich etwa einem Dutzend Trickdiebstähle dieser Art.
Seit etwa zwei Jahren kommt es auch zu Raubüberfällen und Erpressungen, Faustschlägen und dem Einsatz von Messern, nachdem Bestohlene die Täter verfolgt oder festgehalten hatten. Erst Anfang Dezember hatten Antänzer ihre Opfer mit Reizgas besprüht. Auch Polizisten wurden schon angegriffen.
Die Leipziger Polizei hat erst seit etwa einem Jahr mit der Antänzer-Masche zu tun, in Chemnitz ist sie nicht wirklich ein Thema. Anders in westdeutschen Großstädten wie Köln, Hamburg oder Berlin – auch dort bedrängen und beklauen Antänzer Nachtschwärmer. Sie spielen ihren Opfern einen Ball zu oder, – besonders beliebt in Köln – rufen „Podolski, Podolski!“ Wer mitdribbelt, wird schnell umarmt und von seinem Geld getrennt.
Der Trick funktioniert vor allem bei Männern, weil sich Frauen von Fremden nicht so leicht umarmen lassen, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung schon vor eineinhalb Jahren in einer Analyse dieser Masche. In Dresden wurden auch Frauen schon auf diese Art bestohlen. Sie seien jedoch nicht begrapscht worden. „Dass sie von den Tätern als Lustobjekt behandelt worden wären, gab es bislang nicht“, sagt Geithner. „Das Anfassen stand immer im Zusammenhang mit den Diebstählen.“ Auch in der Silvesternacht sei es in Dresden nicht zu solchen Vorfällen gekommen, wie sie nun aus Köln bekannt geworden sind. Er könne aber nicht ausschließen, dass sich das ändert.
Erwischt mit vier Handys
Auch am Dresdner Amtsgericht finden regelmäßig Prozesse gegen Antänzer statt. Erst im Herbst wurde ein 28-jähriger Libyer zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er war am Neujahrstag 2015 mit vier Handys und Mitte des vergangenen Jahres mit sechs Handys erwischt worden. Alle Geräte waren unmittelbar zuvor gestohlen worden. Drei Tunesier Anfang 20 wurden wegen Raubes und Diebstahls zu Bewährungsstrafen von zwölf bis 20 Monaten verurteilt. Nachdem sie bereits sieben Monate in Untersuchungshaft gesessen hatten, kamen sie nach dem Prozess auf freien Fuß. Die Auflage der Richterin: Das Trio durfte sich ein Jahr lang nachts nicht im Dresdner Szeneviertel blicken lassen.
Quelle:
http://www.sz-online.de/sachsen/gute-laune-boese-absicht-3293666.html