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Wer zum „König von Deutschland“ möchte, muss erst einmal an seiner Gulaschkanone vorbei. In Wolfsgrün im Erzgebirge thront die schlossähnliche Fabrikantenvilla Bretschneider auf einem Felsen über der Zwickauer Mulde. Unten an der Bundesstraße gibt es beim Imbiss Erbsensuppe mit Knacker an Holztischen – und unmissverständliche Ratschläge: „Der Peter“, sagt die freundliche Betreiberin zum Reporter, „sieht es nicht so gern, wenn dort oben geraucht wird. Setz dich besser hierhin.“ Ob man denn auch dazugehöre zum Königreich, fragt sie nicht ohne Neugier, ob man vielleicht aus Wittenberg angereist sei?
In der Lutherstadt Wittenberg krönte sich der gelernte Koch Peter Fitzek (57) vor zehn Jahren zum „König von Deutschland“. Am Rand der Stadt in einem früheren Sägewerk befindet sich immer noch offiziell das Hauptquartier seines Fantasiereichs. Fitzek bezeichnet die Bundesrepublik als „Sklavenstaat“ und will sein eigenes Reich aufbauen, in dem niemand Steuern zahlen muss – jedenfalls wenn er dem König vorher Tausende Euro überwiesen hat. Und Fitzek expandiert. Zurzeit hat er besonders Sachsen im Blick.
Sachsen ist in den vergangenen Jahren ein unter Rechtsextremen beliebter Zuzugsort – auf der Suche nach vor allem repräsentativen Immobilien, wie Schlössern oder alten Gutshäusern, haben sich auch die Aktivitäten des „Königreichs Deutschland“ verstärkt. Nicht nur die rechtsextremen Freien Sachsen werben hier mit separatistischen Träumen vom „Säxit“ und treten bei „Reichsbürger“-Zusammenkünften auf. Auch Fitzek sieht hier fruchtbares geistiges Terrain – und günstigen Grund und Boden. Das erste Mal warnte der Verfassungsschutz im Frühjahr vergangenen Jahres Landräte und Oberbürgermeister vor den Siedlungsprojekten der „Reichsbürger“ – nur wenige Monate später wurde bekannt, dass Fitzek in Sachsen zwei herrschaftliche Anwesen gekauft hatte: Schloss Boxberg in der Oberlausitz und eben Wolfsgrün im Erzgebirge für 2,3 Millionen Euro.
Jetzt kam das dritte hinzu: Für 5,5 Millionen Euro, so Fitzek gegenüber „Bild“, verleibte sich das „Königreich“ das Kanzleilehngut Halsbrücke im Landkreis Mittelsachsen bei Freiberg ein. Das Geld stamme wie bei den anderen Käufen von seinen Untertanen, die Fitzek gegen Wohnrecht im „Königreich“ zum Teil sogar ihre Eigentumswohnungen überschreiben.
Das sächsische Innenministerium teilt auf Anfrage mit: „Uns ist bekannt, dass es den notariellen Erwerb in der vergangenen Woche gegeben haben soll.
In einem Werbevideo auf der Website des „Königreichs“ nimmt Fitzek seinen neuesten Erwerb bereits ausführlich in Beschlag und lobt den „königlichen Standard“ des von einem Dresdner Architekten aufwendig renovierten Haupthauses. Interessanter für seine Pläne eines „Autarkieprojekts“ aber sind die 121 Hektar Land mit Wald, Steinbruch, Molkerei, Käserei, Kühen, Schafen und Schweinestall. „Wir werden hier auch Alpakas halten“, kündigt Fitzek an.
Eine Gefahr für die sächsische Provinz?
Das ist keine schlechte Strategie: Die wolligen, langhalsigen Tiere sind der Sympathieträger überhaupt. Überträgt sich das auch auf ihren Herrscher? Können Menschen, die auf ihren Weiden Alpakas grasen lassen, böse „Reichsbürger“ sein? Ist ein König, der sich im Imagefilm rührend um das Tierwohl sorgt, eine Gefahr für die sächsische Provinz?"
Der Verfassungsschutz jedenfalls lässt sich von den Werbevideos nicht blenden. In mehreren Bundesländern sind die Behörden alarmiert von Fitzeks Expansionsdrang – und ordnen ihn eindeutig als Feind der Demokratie ein. „Fitzek gilt innerhalb der extremistischen Reichsbürgerszene als besonders umtriebiger Milieumanager“, ist im aktuellen Brandenburger Verfassungsschutzbericht zu lesen. „Er zeigt sich offen im Umgang mit rechtsextremistischen Akteuren, ist antisemitischen Verschwörungserzählungen zugeneigt und sehr am Geld seiner Anhänger interessiert.“ Ähnlich wie bei sektenähnlichen Organisationen wie Scientology würden „nicht unerhebliche Einnahmen über Seminar.gebühren erzielt.
Die verschiedenen „Module“ des „Systemausstieg-Seminars“ kosten jeweils mehrere Hundert „E‑Mark“, das ist die Fantasiewährung des „Königreichs“. Lange galt Parität zum Euro, wegen der Inflation wurde der Wechselkurs im Februar auf 1,10 Euro pro „E-Mark“ festgesetzt. „Im Königreich ist Inflation verboten“ sagt Fitzek in einem zweistündigen Interview, das er im Mai in Wolfsgrün einem rechtsradikalen Youtuber und AfD-Kreisrat gegeben hat und in dem er kräftig Werbung für sein Geschäftsmodell machen darf.
Erst im Februar schloss die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) die „Gemeinwohlkasse“ des „Königreichs“, mit der Fitzek ohne Lizenz Bankgeschäfte betreiben wollte. Die Struktur bestehe weiter, aber „außerhalb der Öffentlichkeit“, sagte er jetzt in dem Interview.
Das „Königreich“ sei keine Sekte, meint Fitzek, „bei uns kommt man schwer rein und einfach wieder raus.“ Auf 5500 „Staatszugehörige“ schätzt er seine Gefolgschaft, das „Kernteam“ aber umfasse unter 100 Personen.
Je mehr sich Fitzek in Rage redet, umso offensichtlicher wird sein Antisemitismus. „Rothschilds“, „Satanisten“, „globales Finanzsystem“, immer wieder kommt er auf die bekannten Schlagwörter zurück. Er sieht sich auf der Höhe seiner Konjunktur: Die Corona-Jahre, dann der Krieg in der Ukraine hätten ihm und seinem „Königreich“ ungeahnten Zulauf verschafft.
Eine Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) lässt Fitzeks Pressesprecher unbeantwortet. Oben vor der Villa in Wolfsgrün wird der Reporter ebenfalls höflich, aber bestimmt abgewimmelt. Wohnmobile stehen auf der Freifläche verteilt, Kleinkinder tapsen über den Vorplatz, im Sonnenschein wirkt alles wie in einer etwas verpeilten Landkommune.
Dann fährt ein weißer BMW-Kombi mit Wittenberger Kennzeichen den Pfad zur Bundesstraße hinunter, ein schlanker Mann mit Pferdeschwanz sitzt am Steuer. Der „König“ bevorzuge offensichtlich teure Autos und sei unter anderem wegen Fahrens ohne Führerschein bereits verurteilt, steht im Brandenburger Verfassungsschutzbericht.
Die Kollegen in Sachsen warnten das erste Mal im Frühjahr vergangenen Jahres Landräte und Oberbürgermeister vor den Siedlungsprojekten der königlichen „Reichsbürger“ – nur wenige Monate später wurde bekannt, dass Fitzek die beiden Anwesen im Freistaat gekauft hat. Der Käufer aber war nicht Peter Fitzek selbst, sondern ein unverdächtiger Strohmann. „Das hat uns getroffen wie ein Schlag“, sagt Uwe Staab (CDU). Er ist Bürgermeister in Eibenstock und eigentlich froh über jeden, der in den Ort mit knapp 6000 Einwohnerinnen und Einwohnern ziehen möchte. Doch jetzt hat er es mit Menschen zu tun, die die Bundesrepublik ablehnen – und damit auch ihn. Staab und der Landkreis haben sich an den Freistaat gewandt, in der Hoffnung auf Unterstützung.
Um der Landnahme durch Rechtsextreme und „Reichsbürger“ entgegenzuwirken, gibt es in Sachsen ein Expertennetzwerk, das derzeit personell aufgestockt wird. Verantwortlich ist das Innenministerium – die Koordinierung übernimmt jedoch die Landesdirektion. Denn dort kennt man sich mit Bereichen bestens aus, die relevant sein können, wenn Rechtsextreme Kampfsportveranstaltungen anmelden oder „Reichsbürger“ denkmalgeschützte Schlösser übernehmen: etwa dem Gewerbe-, Brandschutz- oder Baurecht. Das Expertennetzwerk hat bereits einige Erfolge vorzuweisen: Mit Alkoholverbot und strengen Kontrollen vermieste man die Stimmung beim Neonazi-Festival „Schild Schwert“. Weil er gegen Auflagen verstieß, darf der Besitzer eines Gasthofs in Staupitz keine Konzerte mehr veranstalten. Ein deutschlandweit bekannter Neonazi-Hotspot ist damit dicht.
Strategie der Nadelstiche nennt das Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU). Auch wegen Wolfsgrün gab es Gespräche zwischen Landkreis und Expertennetzwerk – was aber tun mit Menschen, denen Regeln und Gesetze ziemlich egal sind? Bürgermeister Staab berichtet, dass die Bewohner angefangen haben, ein Gebäude auf dem Grundstück abzureißen, außerdem würde die Gulaschkanone im Tal nach einem Betreiberwechsel ohne Genehmigung und Gewerbeanmeldung betrieben werden. Die Post mit entsprechendem Hinweis ist bereits rausgegangen. „Wir haben dadurch ganz schön Mehrarbeit“, sagt Staab. Aber aufgeben werde man nicht.
Auch in Halsbrücke war das Expertennetzwerk involviert - und letztlich machtlos. Das sächsische Innenministerium teilt mit: „Das Expertennetzwerk hatte Kenntnis von dem sich anbahnenden Verkauf, hat verwaltungsbehördliche Eingriffsmöglichkeiten im Zusammenwirken der verschiedenen behördlichen Zuständigkeiten geprüft und diese im Ergebnis jedoch nicht feststellen können. Das Expertennetzwerk wird die Entwicklung vor Ort kritisch begleiten, denn der rechtlich nicht verhinderbare Erwerb eines Grundstücks ist das Eine, nicht minder wichtig ist auch das Andere, dass sich die Akteure vor Ort an das Recht halten.
Im benachbarten Freiberg gibt es nun ersten Widerstand gegen die Landnahme des „Königs“ im Lehngut Halsbrücke. Ganz vorne ist dabei das Demokratiebündnis „Freiberg für alle“, das sich 2021 mit einem offenen Brief gegen die Corona-Maßnahmen-Proteste wandte, die von den rechtsextremen Freien Sachsen befeuert wurden. Der Freiberger Pfarrer Michael Stahl sagt dem RND: „Wir wollen über Fitzek und das ‚Königreich Deutschland‘ aufklären und informieren. Die meisten Menschen wissen gar nicht, wer das ist und welche Gefahr davon ausgeht.“ Auf Facebook kritisiert das Bündnis: „Die Gemeinde könne ihr Vorkaufsrecht mangels finanzieller Mittel nicht ausüben. Daran zweifeln wir nicht. Aber was uns auch sprachlos macht: Die Gemeinde weiß schon länger von den Plänen und hat es nicht für nötig gehalten, hier alle Hebel in Bewegung zu setzen und die Menschen vor Ort zu informieren.
Pfarrer Stahl sucht zudem Rat in der brandenburgischen Uckermark. In dem 180-Einwohner-Örtchen Rutenberg kämpft ein Demokratiebündnis gegen die Landnahme durch Fitzeks Truppen. Eine landwirtschaftliche Genossenschaft mit 40 Hektar Land und dem großen Gebäude der „Naturscheune“ hatten Fitzeks Anhänger schon übernommen. Weitere Häuser hatten sie im Visier. Würde Rutenberg zum „Gemeinwohldorf“ des „Königs“ werden? Dorfbewohner und Behörden setzten alle Hebel in Bewegung, konnten den Verkauf weiterer Gebäude verhindern. Slogans wie „Kein Reich, kein König, keine Sekte“ hängen im ganzen Ort. Der Landkreis und die Stadt Lychen, zu der Rutenberg gehört, achten verstärkt auf die Durchsetzung von Gesetzen von Baurecht bis Schulpflicht.
Kürzlich hing ein Aushang der „Naturscheune“-Macher im Dorf, die jetzt unter dem Namen WaGaBundt auftritt. Sie hätten sich entschieden, die „bisherige Zusammenarbeit mit dem KRD auszusetzen“, um sich „neu zu orientieren“. Das sei nur eine Finte, um das Dorf zu spalten, glauben die Akteure vom Demokratiebündnis, weder die Ankündigung noch der neue Name würden irgendetwas ändern. Im Hintergrund zögen weitere Fitzek-Leute die Fäden, nur jetzt besser verborgen. „Der Einfluss des ‚KRD‘ in der Naturscheune wird auch nicht durch Umbenennungen oder Gründungen neuer Vereine oder Organisationen beseitigt“, schreiben sie in einem Brief an alle Dorfbewohner und ‑bewohnerinnen. „Eine Basis für einen Dialog entsteht so nicht.“