Ein mutmasslicher Reichsbürger aus dem Kanton Zug ruft deutsche Ermittler auf den Plan – doch sie werden von der Schweizer Justiz ausgebremstErstmals befasste sich das Bundesstrafgericht mit einem Reichsbürger-Fall. Staatsverweigerer sind in auch in der Schweiz aktiv – oft mit Verbindungen nach Deutschland. Der Fall zeigt: Das Schweizer Waffenrecht könnte ein Grund dafür sein.
Daniel Gerny 10.03.2023, 11.59 Uhr
Polizeieinsatz im Kanton Zug: Die Beamten gehen bei der Durchsuchung laut Aussagen des Beschuldigten äusserst rabiat vor.
Am 9. Juni 2022 kommt es im Kanton Zug zu einem bemerkenswerten Polizeieinsatz: Auf Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Stuttgart durchkämmt die Kantonspolizei die Wohn- und Geschäftsräume eines deutschen Staatsbürgers. Sie stellt dabei umfangreiches Material sicher – Laptops, Mobiltelefone, Festplatten, zahlreiche handschriftliche Notizen und Halterungen für Jagdmunition.
Die Beamten gehen bei der Durchsuchung laut Aussagen des Mannes äusserst rabiat vor: Er sei von maskierten Polizisten «wie ein Schwerverbrecher» geknebelt worden, wobei auch Blendgranaten zum Einsatz gekommen seien, behauptet er. Seine beiden Töchter, beide im schulpflichtigen Alter, hätten den Einsatz hautnah miterleben müssen.
Gleichentags kommt es in Baden-Württemberg zu einem ähnlichen Einsatz in derselben Sache. Zum Hintergrund der grenzüberschreitend koordinierten Aktion macht die zuständige Staatsanwaltschaft Stuttgart auf Anfrage der NZZ «aus ermittlungstaktischen Gründen» keine näheren Angaben.
Zwei Stuttgarter Ermittler reisen an
Doch ein neuer Entscheid der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichtes in Bellinzona bringt etwas Licht in den Fall: Der in Zug wohnhafte Deutsche soll dem Reichsbürger-Milieu angehören und gegen das deutsche Waffengesetz verstossen haben. Die Stuttgarter Ermittler schätzen den Fall offenbar als schwerwiegend ein: Sie entsandten eigens zwei Kommissare aus Baden-Württemberg in die Schweiz, um am 9. Juni bei der Hausdurchsuchung und der Einvernahme vor Ort dabei zu sein.
Doch wie weitreichend sind die Verbindungen dieses Milieus in die Schweiz? Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln gehören in Deutschland rund 23 000 Personen dem Umfeld der Reichsbürger und Selbstverwalter an. Die Szene ist äusserst heterogen zusammengesetzt. Es finden sich dort Menschen aus allen Schichten, Bildungsniveaus und Altersklassen. Es existieren zahlreiche Gruppierungen, die jeweils ihre eigenen Verschwörungstheorien, Strategien und Ziele verfolgen. Der Verfassungsschutz schätzt einen Teil der Szene als gewaltbereit und gefährlich ein, nicht zuletzt wegen der verbreiteten Affinität zu Waffen.
Beim bisher grössten Einsatz im Dezember stürmten deutsche Spezialkräfte in einem grossangelegten Anti-Terror-Einsatz 130 Wohnungen in elf Bundesländern und verhafteten zahlreiche Personen. Im Visier hatten die Ermittler ein Netzwerk, das die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland angeblich überwinden und durch eine eigene Staatsform ersetzen wollte. Die Behörden sprachen damals sogar von Plänen für einen bewaffneten Angriff auf den Deutschen Bundestag. An der Spitze der Bewegung: Ein prozessfreudiger Verschwörungstheoretiker im Rentenalter, der dem deutschen Adel entstammt.
Ein selbsternannter Monarch und sein Netz in der Schweiz
Dabei gibt es durchaus Verbindungen der Szene in die Schweiz. Der Fall von Peter Fitzek und seinem «Königreich Deutschland» zeigt dies beispielhaft. Die NZZ hat kürzlich ausführlich über den selbsternannten Monarchen und sein Phantasiereich berichtet: Zwei Schlösser hat Fitzek in Deutschland bereits gekauft und dort seinen eigenen Staat ausgerufen. Doch Justiz und Behörden können ihn nicht stoppen. Im Gegenteil – Fitzek streckt seine Fühler weiter aus.
So luden seine Anhänger im vergangenen Winter im Toggenburg zu einem Seminar für Systemaussteiger ein. Fitzek selber hatte im September einen Auftritt an der Luzerner Esoterikmesse «Wohlfühltage» geplant, der dann aber platzte. Doch seine Anhänger bleiben höchst aktiv: Gemäss Recherchen des «St. Galler Tagblatts» hat einer von ihnen eine Liegenschaft in Appenzell Ausserrhoden gekauft. Möglicherweise sei gar ein Ableger in der Schweiz geplant, spekulierte die Zeitung.
Die Schweizer Verbindungen zur Reichsbürger-Bewegung würden vornehmlich durch aus Deutschland eingewanderte Personen aufrechterhalten, erklärt Dirk Baier vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft (ZHAW). Gleichzeitig bilde sich hierzulande aber eine eigenständige, nur locker verbundene Staatsverweigerer-Szene heraus, die stark von Querulanten besetzt sei.
So beklagen Behörden seit Corona, dass Staatsverweigerer zunehmend aktiv würden. Besonders stark betroffen ist der Kanton Thurgau, wo es wiederholt zu Eskalationen und Drohungen gekommen ist. Roger Wiesendanger, Amtsleiter der kantonalen Bezirksbetreibungs-, Konkurs- und Friedensrichterämter, erklärt gegenüber der NZZ, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten inzwischen wöchentlich mit Staatsverweigerern zu tun. Er sieht in der Nähe zur deutschen Grenze eine der Hauptursachen.
Pfefferspray-Angriff auf Polizisten
Mittlerweile ist die Welle auch auf den Kanton Zürich übergeschwappt, wie Thomas Winkler, Präsident des kantonalen Berufsverbandes der Gemeindeammänner und Betreibungsbeamten (VGBZ), auf Anfrage bestätigt. Der Umgang mit Staatsverweigerern wurde deshalb im Rahmen des Gewaltschutzes und Bedrohungsmanagements gezielt geschult – mit gutem Grund: So ist im Kanton Baselland derzeit ein deutscher Staatsbürger angeklagt, dem über zwei Dutzend Delikte vorgeworfen werden, darunter ein Angriff mit Pfefferspray auf einen Polizisten.
Der Mann anerkennt die Legitimation des Gerichtes nicht und machte schon im Vorfeld klar, dass er nicht zur Verhandlung erscheinen würde. Vorgeladen sei die Person, mit der er aber als Mensch nichts gemein habe, erklärte er – ein wirres, aber für Staatsverweigerer typisches Argumentationsmuster. Vor dem Verhandlungstermin wurden in einschlägigen Telegram-Chats während Tagen Anhänger mobilisiert, um vor Ort Stimmung zu machen. Schliesslich musste die Verhandlung verschoben werden.
Auch im Falle des Beschuldigten aus Zug ist es bisher nicht zu einem Abschluss gekommen. Polizeilich war der Mann gemäss Angaben im Beschwerdeentscheid zwar bereits bekannt. Die Ermittlungen gegen ihn seien aber noch im Gange, erklärt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegenüber der NZZ. Der Fall bleibt deshalb vorerst schemenhaft.
Eher Querulanten als konspiratives Kollektiv
Klar ist nur: Den entscheidenden Hinweis auf den Beschuldigten erhielten die Ermittler von einer Person, «der seitens der Staatsanwaltschaft Vertraulichkeit zugesichert» worden sei. So steht es im Entscheid der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichtes. Ob der Beschuldigte Anhänger einer grösseren Organisation ist, geht aus dem Entscheid jedoch nicht hervor.
Baier von der ZHAW warnt aber davor, die Szene in der Schweiz zu überschätzen. Im Gegensatz zu Deutschland gebe es hier weder einen von ehemaliger Grösse träumenden Adel noch durch AfD-Erfolge motivierte Eliten oder rechtsextrem denkende ehemalige Offiziere, erklärt er gegenüber der NZZ: Es handle sich bei den Staatsverweigerern in der Schweiz eher um einzelne Personen als um ein konspiratives Kollektiv.
Ausserdem sei die Zustimmung zur gelebten Demokratie in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland sehr hoch. So ist es nicht überraschend, dass auch das Bundesamt für Polizei (Fedpol) und der Nachrichtendienst (NDB) bis anhin nur einzelne Aktivitäten von Staatsverweigerern verzeichnen.
Schweiz gewährt vorerst keine Rechtshilfe
Einzelne Beobachter vermuten jedoch, dass die Schweiz für Reichsbürger nicht zuletzt wegen ihrer liberalen Waffengesetzgebung besonders attraktiv sei. Darauf könnte auch der Entscheid des Bundesstrafgerichtes hindeuten: Weil die Vorschriften über den Waffenbesitz in Deutschland strenger sind als in der Schweiz, beisst die Stuttgarter Staatsanwaltschaft im Zuger Fall vorerst nämlich auf Granit.
Es sei nicht klar, ob das dem Beschuldigten vorgeworfene Verhalten nach Schweizer Recht überhaupt strafbar sei, erklärt das Bundesstrafgericht in seinem Entscheid. Während zum Beispiel der Besitz von mehrschüssigen Kleinkaliberkurzwaffen in Deutschland verboten sei, fehlen diese in der entsprechenden Aufzählung im schweizerischen Waffengesetz. Aus diesem Grund wird vorerst keine Rechtshilfe gewährt.
Die sichergestellten Unterlagen und Vernehmungsprotokolle werden nicht an die deutschen Behörden herausgegeben. Die Beschwerdekammer räumen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft aber eine dreimonatige Frist ein, um das Rechtshilfegesuch nachzubessern und aufzuzeigen, ob ein Tatbestand des Schweizer Strafrechts vorliegt.
Der Entscheid ist somit auch eine Rüge an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, die Deutschland bei Ermittlungen auf einem aufsehenerregenden Gebiet grosszügig Unterstützung zugesagt hatte. Das Staatsverweigerer-Milieu in der Schweiz – es bleibt eine geheimnisumwitterte, kaum fassbare Szene. Gut möglich, dass auch der Fall, der im letzten Sommer mit dem aussergewöhnlichen Polizeieinsatz begonnen hatte, nie gelöst wird.
https://www.nzz.ch/schweiz/ein-mutmasslicher-reichsbuerger-aus-dem-kanton-zug-ruft-deutsche-ermittler-auf-den-plan-doch-sie-werden-von-der-schweizer-justiz-ausgebremst-ld.1729284