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Christian Hinterberger, Gemeindepräsident von Zihlschlacht-Sitterdorf, ist zur Haft ausgeschrieben. So steht es zumindest in einem zweifelhaften Dokument, das über die Website «We the People Switzerland» aufrufbar ist. Zu den Anklagepunkten gegen ihn gehören Amtsanmassung (Betrug), Personenstandsfälschungen, Verwendung eines fiktiven Namens, Missachtung der Naturrechte und Missachtung der Menschenrechte. Es ist der erste Fall im Oberthurgau, in dem ein Gemeindepräsident in dieser Art persönlich angegriffen wird.
«Der Haftbefehl macht mir wenig Eindruck», sagt Hinterberger. «Für mich war von Anfang an klar, dass er null Konsequenzen haben wird.» Als erste Reaktion darauf habe er sich gar ein Lachen nicht verkneifen können. Er frage sich aber, was in den Köpfen der Verfasser von solchen Dokumenten vorgehe.
Die Gruppierung «We the People»
Auf der Seite «We the People Switzerland» tauscht sich eine Gruppe von Staatsverweigerern aus, die daran glaubt, die Schweiz sei eine «illegale und ausländische» Firma. Sie folgert daraus unter anderem, dass Steuern oder Bussen nicht bezahlt werden müssen. Wie auf der Seite steht, haben sich die Gründer der Website in einem Telegram-Kanal der kanadischen Verschwörungstheoretikerin Didulo Romana kennengelernt. (shi)
«Königin Didulo» und Weltraumstreitkräfte sind mit von der Partie
Auf den ersten Blick mag das Dokument einen offiziellen Eindruck erwecken. Auf den zweiten eher nicht. Abgesehen von den Anklagepunkten ist es in Englisch verfasst und richtet sich an neun Personen oder Organisationen.
Als erstes aufgeführt ist die «Königin und Oberbefehlshaberin Romana Didulo», eine kanadische Verschwörungstheoretikerin und eine der prominentesten Vertreterinnen der QAnon-Bewegung. Sich ebenfalls um die Verhaftung von Christian Hinterberger kümmern sollen sich die «Global Special Forces und die Allied Special Forces der Schweiz-Nation». Wäre das noch nicht genug, kommen auch noch die «Allied Space Forces» dazu, also übersetzt so etwas wie die alliierten Weltraumstreitkräfte.
Neben Hinterberger sollen auch noch weitere Personen hinter Gitter gebracht werden, ginge es nach der Verfasserin der jeweiligen Akten. Es sind dies zum Beispiel Hansjörg Högger, Leiter Betreibungsamt in Weinfelden, Kenny Greber, Friedensrichter in Weinfelden, Oliver Zimmermann, Leiter Steueramt oder Nick Studach, Gemeindeschreiber in Zihlschlacht-Sitterdorf – wobei sich letzterer eigentlich ohne C im Vornamen schreibt. Passenderweise ist er ebenfalls wegen Verwendung eines fiktiven Namens angeklagt.
Die rote Linie überschritten
Die Haftbefehle sind nur die Spitze des Eisbergs. Sie stammen von einer Person, die sich dem Staat und seinen Gesetzen verweigert und deshalb seit zwei Jahren immer wieder mit der Gemeinde in Konflikt gerät. «Sie ist nicht die einzige Querulantin bei uns. Mir kommen dreieinhalb Fälle in den Sinn. Aber sie ist die einzige, die gegen Personen schiesst», sagt Hinterberger.
Ansonsten richte sich der Frust jeweils gegen die Gemeindeverwaltung. «Aber sobald es persönlich wird, finde ich das eine Grenzüberschreitung.» Vor allem störe er sich daran, dass auch zwei Gemeindeangestellte ins Schussfeld der Staatsverweigerin geraten sind.
Begonnen habe es damit, dass sich die betreffende Person bei der Gemeinde abmelden wollte, obwohl sie noch in Zihlschlacht-Sitterdorf wohnhaft sei. Das allerdings, ohne auf die Leistungen der AHV oder Krankenkasse verzichten zu wollen. Mittlerweile sei es so, dass jegliche Korrespondenz, welche die Gemeinde sende, zurückgeschickt werde. Seien es Abstimmungsbotschaften, Steuerrechnungen oder Mahnungen.
«Wenn jemand die Steuerrechnung ignoriert, können wir das nicht einfach so hinnehmen», sagt Hinterberger. Das löst einen Prozess aus, mit Mahnungen, Betreibungsbegehren und allenfalls einem Rechtsvorschlag. Danach geht der Fall zum Betreibungsamt. «Der Aufwand, den dieses Verhalten von solchen Verweigerern auslöst, ist nicht zu unterschätzen.» Allerdings: Sofern Wohneigentum oder anderes Vermögen vorhanden ist, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die Behörde früher oder später zu ihrem Geld kommt.
Hinterberger erhält irritierende Rechnungen
Gegipfelt hat das Ganze in Schadenersatzforderungen und Zahlungsbefehlen mit wirren Vorwürfen. Erhalten haben sie Hinterberger und die beiden erwähnten Angestellten der Gemeinde. «Die grösste Rechnung lag bei 100’000 Franken», sagt Hinterberger. Die Begründung dieser «Schadenersatzforderung»: Personenstandsfälschung, Verwendung von fiktivem Namen und nicht legitimierte Handlungen.
Im Thurgau sind die Behörden immer häufiger mit solchen Problemen konfrontiert. Kürzlich reichten die beiden SP-Kantonsräte Kenny Greber und Turi Schallenberg eine Interpellation ein, die den Kanton auffordert, mehr zum Schutz ihrer Angestellten gegen Angriffe von Staatsverweigerern zu tun.
Gemeindepräsident Hinterberger wünscht sich, dass der Kanton in Fragen zur Handhabung von solchen Vorkommnissen näher mit den Gemeinden zusammenarbeitet. Denn es gebe derzeit nur wenige Hilfestellungen von Seiten des Kantons. Der Verband Thurgauer Gemeinde stellt zwar Vorlagen zur Verfügung, wie man auf Schreiben von Staatsverweigern, die sich in der Regel ähneln, reagieren kann. Damit ist es aber aus Sicht von Hinterberger noch nicht getan.
Manchmal sei es nicht klar, wie es rechtlich aussehe. Beispielsweise, wie man auf die Schadenersatzforderungen reagieren muss, damit es später keine Probleme gibt, falls der Fall vor Gericht landet. «Weil viele Gemeinden das gleiche Problem haben, fände ich es sinnvoll, wenn der Kanton zusammen mit den Gemeinden Lösungen erarbeiten würde.» Ausserdem finde er es zielführend, wenn alle Gemeinden mehr oder weniger gleich damit umgehen würden. «Manchmal habe ich das Gefühl, das will niemand in die Hand nehmen, weil niemand etwas falsch machen und eine Angriffsfläche bieten will.»