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»Ein ›Fuck you‹ an Amerika«
Der designierte Präsident schockiert selbst Republikaner: Als Geheimdienstchefin nominiert er die prorussische Populistin Tulsi Gabbard. Justizminister soll der Hardliner Matt Gaetz werden – um Trumps Feinde zu verfolgen?
Selbst viele Republikaner sind fassungslos. »Ich halte ihn für keinen seriösen Kandidaten«, sagt die Senatorin Lisa Murkowski aus Alaska. »Ich war schockiert«, sekundiert ihre Kollegin Susan Collins aus Maine. Senator John Cornyn aus Texas hebt die Augenbrauen und wiegelt ab: »Ich versuche noch, das zu verdauen.«
Der Mann, den sie meinen, ist Matt Gaetz. Man könnte ihn als Amerikas meistgehassten Kongressabgeordneter bezeichnen – und zwar auch in den eigenen Reihen. Der extrem rechte Hardliner und Agitator richtet in seiner Fraktion gerne Chaos an. Vor einem Jahr zettelte er mit einer Handvoll von Getreuen einen Aufstand gegen den republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, an – und stürzte ihn schließlich.
Gaetz zeigt offene Nähe zu den rechtsextremen »Proud Boys«, die am 6. Januar 2021 maßgeblich am Sturm auf das Kapitol beteiligt waren – ein Aufstand, den Gaetz verteidigt. Er lud einen Holocaustleugner ins Plenum ein. Und er selbst stand wegen einer illegalen sexuellen Beziehung mit einer Minderjährigen jahrelang im Mittelpunkt von Ermittlungsverfahrens wegen »sex trafficking«, wörtlich: Sexhandel. Ein früherer Freund hatte Gaetz beschuldigt, eine damals 17-Jährige zum Sex und Drogenkonsum auf die Bahamas geschafft zu haben. Das Verfahren wurde eingestellt, weil der vorbestrafte Belastungszeuge nicht als zuverlässig genug galt.
Nun will Donald Trump den 42-Jährigen mit der Pompadour-Frisur in sein künftiges Kabinett holen
– als Justizminister. Das verschlägt selbst manchen Trump-Vasallen die Sprache. Gaetz soll ebenjene Behörde mit rund 110.000 Angestellten führen, die die Ermittlungsakte über ihn zwar 2023 geschlossen hat, aber weiter geheim hält. Ebenjene Behörde, die bis heute gegen Dutzende Kapitolstürmer prozessiert , mit denen er sympathisiert. Ebenjene Behörde, die 94 US-Staatsanwälte im ganzen Land steuert und bisher noch gegen den verurteilten Straftäter Trump ermittelt.
Trump hat im Wahlkampf immer wieder angekündigt, dass er seine zweite Amtszeit zum Rachefeldzug gegen all seine Feinde machen will. Die Wahl des Justizministers ist dabei die wichtigste Personalentscheidung – denn er beaufsichtigt Ermittlungsbehörden wie die Bundespolizei FBI.
Es ist wohl Trumps bisher explosivste Nominierung. Explosiver noch als jene des Fox-News-Wochenendmoderators Pete Hegseth
zum Verteidigungsminister. Und wohl noch extremer als die zeitgleiche Aufwertung der Russland-Verfechterin Tulsi Gabbard zur neuen US-Geheimdienstkoordinatorin – eine weitere Provokation, die Washington am Mittwoch schockierte.
Doch Trump tut genau das, was er versprochen hat. Er sprengt das System. Und beschützt sich selbst.
»Er ist schlichtweg unqualifiziert«
Das konservative »Wall Street Journal« kommentierte, Gaetz sei eine »schlechte Wahl« für die Aufgabe: »Er ist ein Kandidat für jene, die das Gesetz für politische Rache einsetzen wollen – und das wird nicht gut ausgehen.«
Die Polit-Website »Axios« beschreibt die avisierte Beförderung von Matt Gaetz als »Trumps Stinkefinger« an das politische Establishment. Selbst Trumps früherer Anwalt Ty Cobb nennt sie »ein ›Fuck you‹ an Amerika«. »Er ist schlichtweg unqualifiziert – akademisch, professionell, ethisch, moralisch«, sagte Cobb im Sender CNN.
Der Ethikausschuss im Kongress ermittelte trotzdem weiter, es ging dabei um folgende Vorwürfe: Gaetz habe sich sexuelles Fehlverhalten zuschulden kommen lassen, dass er in illegalen Drogenkonsum verwickelt gewesen sein soll, unzulässige Geschenke angenommen habe, sowie Sonderprivilegien und Gefälligkeiten an Personen gewährt haben soll, zu denen er eine persönliche Beziehung hatte. Außerdem habe er versucht, staatliche Ermittlungen zu behindern.
Am Abend wurde bekannt, dass Gaetz sein Kongressmandant bereits niedergelegt hat, augenscheinlich zur Vorbereitung auf seinen neuen Posten. Das hat zugleich zur Folge, dass der Ausschuss das Verfahren automatisch zu den Akten legt. Somit wäre ein Hindernis auf dem Weg ins neue Amt beiseite geräumt.
Unruhestifter der MAGA-Revolution
Gaetz wäre der erste US-Justizminister seit Jahrzehnten, der zuvor noch nie als Staatsanwalt oder Richter gearbeitet hat. Das passt zum unausgesprochenen Trump-Motto: Wir wollen keine Experten, sondern Disruptoren. Er begann seine Karriere in einer kleinen Kanzlei an Floridas Golfküste, wo sich selbst Kollegen und Ex-Kommilitonen von ihm distanzierten : »Er ist untauglich.«
Tauglich war er freilich als Trumps loyalstes, lautestes Sprachrohr. Er wurde mit dessen erstem Wahlsieg 2017 in den Kongress gespült und machte sich dort weniger durch legislatives Wirken einen Namen, sondern als »firebrand« (Unruhestifter) der »Make America Great Again«-Revolution. »Firebrand« ist auch der Titel seiner Memoiren und seines Podcasts . Wie Trump scheint Gaetz der Ansicht zuzuneigen, dass Verkaufe wichtiger ist als Inhalte.
»Gaetz nennt sich konservativ«, höhnte der Republikaner Cris Dosev, der einmal erfolglos gegen ihn kandidiert hatte, im »New Yorker«. »Doch alles, was er immer nur wollte, war es, Sachen kaputtzumachen.«
Der perfekte Kandidat also für Trump, um im Justizministerium »aufzuräumen«. Sprich: die eigentlich unabhängige Behörde gleichzuschalten – ein erster Schritt in jeder Autokratie. Als Gaetz-Vize will Trump nach CNN-Informationen denn auch Todd Blanche nach Washington holen, seinen glücklosen Anwalt, der ihn im New Yorker Schweigegeldprozess verteidigt hatte. Gaetz besuchte Trump bei diesem Prozess und posierte demonstrativ im Gerichtsflur, ein Beschuldigter hilft dem anderen.
Doch selbst Kollegen – und vor allem Kolleginnen – konnten Gaetz nicht ausstehen und redeten ausgiebig darüber. Cassidy Hutchinson, die Ex-Assistentin von Trumps viertem Stabschef Mark Meadows, beschreibt in ihren Memoiren mehrere Vorfälle, bei denen Gaetz sie bedrängt habe. Meadows habe ihr geraten, ihre Distanz zu wahren: »Es war eine Schutzverfügung.«
»Es gibt einen Grund, weil ihn niemand im Kongress verteidigt«, sagte der republikanische Senator Markwayne Mullin vergangenes Jahr. »Wir haben alle die Videos gesehen, die er im Plenum gezeigt hat, von den Mädchen, mit denen er geschlafen habe. Er prahlte damit, wie er Potenzpillen zerrieben und mit einem Energiedrink runtergespült habe, damit er die ganze Nacht habe durchmachen können.« Am Freitag wollte der Ausschuss seinen Bericht vorlegen. Das ist nun hinfällig. Gaetz hat zwar alles dementiert, doch hatte er zum Ende von Trumps erster Amtszeit laut mehreren Quellen um eine vorsorgliche Begnadigung durch den Präsidenten gebeten.
Es ist unklar, ob Gaetz' Nominierung durch den Senat kommt. Mehrere Republikaner im Justizausschuss, der das erste Wort hat, zeigten sich am Mittwoch kritisch. Trump wird den Treueschwur verlangen. Notfalls könnte er versuchen, Gaetz als »recess appointment« durchzuboxen, also während einer Auszeit, ohne Segen des Senats. »Alarmstufe Rot für die Demokratie«, warnte der demokratische Senator Chris Murphy.
Ein Warnzeichen für Trump im mit 53 von 100 Siitzen nur knapp republikanisch dominierten Senat gab es am Mittwoch: Zum Mehrheitsführer wurde John Thune aus South Dakota gewählt – ein traditioneller Republikaner. Der von Trump favorisierte Rick Scott aus Florida hatte keine Chance.
Eine Geheimdienstchefin mit einem Herz für russische Propaganda
Komplikationen kann Trump auch bei der Nominierung von Tulsi Gabbard zur obersten Geheimdienstchefin erwarten. Die frühere Kongressabgeordnete aus Hawaii, die bis 2022 Demokratin war und dieses Jahr ganz zu den Republikanern wechselte, ist ähnlich kontrovers wie Gaetz.
Nach Trumps Wunsch soll Gabbard als Director of National Intelligence alle 18 US-Geheimdienste überwachen, den Nationalen Sicherheitsrat beraten und das »President's Daily Brief« verfassen, das tägliche Geheimdienstmemo für den Präsidenten. Mit Gaetz hat sie eines gemein: Im Wahlkampf hat sie Trump kompromisslos verteidigt.
Seit Jahren kritisiert die Armeereservistin, die im Irakkrieg diente, Amerikas Sicherheitspolitik und Militäreinsätze. Sie vertritt aber auch seit Jahren offensiv prorussische Positionen: Sie traf sich mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad und nahm ihn gegen Vorwürfe in Schutz, Chemiewaffen eingesetzt zu haben. Die Ermordung des iranischen Topgenerals Qasem Soleimani im Januar 2020 durch einen amerikanischen Luftschlag unter Trump nannte sie verfassungswidrig.
Gabbard vertritt Positionen, die jenen von Sahra Wagenknecht gleichen. Als russische Truppen in die Ukraine einmarschierten, am 24. Februar 2022, twitterte sie nur, man hätte eben Russlands legitime Sicherheitsinteressen berücksichtigen müssen, dann hätte der Krieg vermieden werden können. Daraufhin verbreitete Gabbard die falsche Kreml-Propaganda, dass die USA biologische Waffenlabors in der Ukraine finanzierten.
Als Gabbard aus der Demokratischen Partei austrat, bezeichnete sie ihre Kollegen als »elitäre Clique von Kriegstreibern«. In einem Interview mit dem Trump-nahen Fernsehmoderator Tucker Carlson behauptete sie, die USA wollten das Regime von Wladimir Putin stürzen.
Der republikanische Senator Mitt Romney beschuldigte sie, »falsche russische Propaganda nachzuplappern«. Sie wurde immer wieder wohlwollend von russischen Staatsmedien wie RT zitiert.
Gabbard ist eine der schrillsten politischen Figuren der vergangenen Jahre, eine seriöse Politikerin ist sie nicht. Ausgerechnet sie soll nun die wichtigste Position im amerikanischen Geheimdienstapparat bekleiden.
»Putin liebt das, besonders heute«, schreibt Paul Rieckhoff, der Chef der US-Veteranenvereinigung IVA. »Unsere Feinde feiern.«
Wie gut vernetzt Gabbard nicht nur mit dem engsten Zirkel um Trump ist, sondern auch mit der russlandfreundlichen Fraktion in den USA, zeigte sich daran, dass ihre Nominierung zuerst von Roger Stone bekanntgemacht wurde . Der langjährige Polit-Intrigant bekennt sich selbst als Russlandfan, steht im Ukrainekrieg auf der Seite Moskaus – und ist seinerseits mit Matt Gaetz und den Proud Boys befreundet.