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Der Kochbuchautor Attila Hildmann verbreitet auf Demonstrationen und sozialen Medien Verschwörungstheorien zum Coronavirus und einer geheimen Weltordnung. Dabei benutzt er rechtsextreme Parolen, ruft zu Gewalt auf, verbreitet Antisemitismus und zeigt sich mit Symbolen aus der Nazi-Zeit. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Cottbus gegen ihn.
Und noch jemand hat ihn im Visier: Die Satire-Gruppe „Hooligans Gegen Satzbau“ (HoGeSatzbau) hat wochenlang dazu aufgerufen, die Social-Media-Kanäle des rechtsextremen Kochs zu melden. Hildmann bemerkte das irgendwann und fühlte sich angegriffen. Die Aktivist*innen von „Hooligans Gegen Satzbau“ bewegen sich anonym im Internet. Hildmann bot deshalb in seinem Telegram-Kanal 1000 Euro für die Klarnamen und Adressen von Kiki Klug♥♥♥r und Grafikhool, die Gründer*innen der Satire-Seite.
Die holten nun zum Gegenschlag aus. Sie erstellten Fake-Profile zweier vermeintlicher Gründer*innen ihrer Gruppe. Die Bilder, die sie für die Fake-Profile nahmen, zeigen in Wirklichkeit aber einen bekannten Neonazi und dessen Freundin, die dem „Aryan Circle Germany“, einer rechtsextremen Gruppe, angehören. Die „Hooligans Gegen Satzbau“ veränderten die Bilder der zwei Neonazis so, dass es aussah, als wären die beiden Mitglieder der Antifa. Sie spielten Hildmann die Informationen zu. Der glaubte den Fake und verbreitete die Falschinformationen über seine Telegram-Gruppe. Wir haben mit Kiki Klugschei.ßer und Grafikhool über ihre Aktion und über Attila Hildmann gesprochen.
jetzt: War Attila Hildmann der Erste, der ein Kopfgeld auf euch ausgesetzt hat?
Kiki Klugschei.ßer (K): Ja. Seit wir aktiv sind, also seit 2014, versuchen Menschen, unsere Identität herauszufinden. Wir wurden auch schon bedroht. Aber Kopfgelder gab es noch nicht. Ich glaube, dass der Fall Hildmann zeigt, wie sich der Diskurs gesellschaftlich verschoben hat. Die Grenze des Sagbaren ist weiter nach rechts gerutscht.
Grafikhool (G): Egal, ob man mit Hildmann politisch übereinstimmt oder nicht. So ein Verhalten geht nicht. Man kann kein Kopfgeld auf Menschen aussetzen, um sie zum Schweigen zu bringen.
Wurde eine Behörde wegen der öffentlichen Drohungen gegen euch aktiv?
K: Bei uns hat sich niemand gemeldet. Ebenso wenig bei anderen, auf die Hildmann Kopfgelder ausgesetzt hat, zum Beispiel den Volksverpetzer (Anm. d. Red.: Blog, der sich der Entlarvung von Falschmeldungen widmet).
G: Wir mussten selbst aktiv werden. Von unserem Anwalt hieß es dann, dass da noch kein Straftatbestand feststellbar sei. Erst wenn das Kopfgeld bezahlt wird, sei das der Fall.
K: Also, wenn das Verbrechen schon passiert ist. Dann hätte er sich ja bereits illegal Daten beschafft und das ist verboten.
G: Dem Rechtsstaat ist immer noch nicht klar, wie man im Internet mit solchen Drohungen umgeht. Der Typ erreicht 66 000 Menschen auf Telegram und mobilisiert die. Das ist gefährlich.
Glaubt ihr, dass die 66 000 Follower alle fanatische Unterstützer von Hildmann sind?
G: Wir glauben, dass drei Viertel dieser Leute nur Zaungäste sind.
K: Das Problem ist der Rest. Wenn man den Chat mitliest, dann folgen ihm Menschen, bei denen man wirklich Angst haben muss, dass die morgen mit einer Knarre rumrennen.
„Wenn er kein Telegram mehr hat, dann erreicht er keine Leute mehr“
Hattet ihr Angst, als das Kopfgeld gegen euch ausgerufen wurde?
K: Ich nicht, nein.
G: Ich bin nicht immer so entspannt wie Kiki. Manchmal habe ich schon Angst, dass unsere Identität nach außen dringt.
K: Das ist eben das Problem, bei diesen gewaltbereiten Hildmann-Anhängern. Wenn unsere Identität öffentlich wird, dann dreht vielleicht wirklich einer durch und steht bei uns oder Volker Beck (Anm. d. Red.: Gegen Grünen-Politiker Volker Beck hat Hildmann Todesdrohungen ausgesprochen) vor der Haustür.
Eure Aktion ging damit los, dass ihr im Internet Stimmung gegen Attila Hildmann gemacht habt.
K: Wir haben unsere Follower dazu aufgerufen, dass sie seine Kanäle auf Sozialen Medien melden. Das wurde gemacht, mittlerweile hat er nur noch Telegram.
G: Und da hat er Angst bekommen. Deshalb das Kopfgeld gegen uns. Wenn er kein Telegram mehr hat, dann erreicht er keine Leute mehr. Das wäre sein Ende.
Er hätte ja immer noch seine Demonstrationen.
G: Die kann er gerne machen. Der soll da von mir aus ruhig jeden Tag demonstrieren. Dort erreicht er nur einen Bruchteil der Leute. Im echten Leben würden wenigstens die Zaungäste wegfallen.
Wann kam die Idee, zum Gegenschlag auszuholen?
K: Das war vergangenen Montag. Da hatte ich die Idee, zwei Nazis als die Admins von „Hooligans gegen Satzbau“ auszugeben. Von der Idee bis zur Vollendung war es dann nur eine Woche.
G: Ich bin Grafiker. Die Bilder zu manipulieren war eine Sache von einer Stunde.
„Ich glaube, dass dieser Mensch einsam ist“
Ihr habt Bilder und Namen von zwei Neonazis genommen und in eurem Sinn manipuliert. Hattet ihr keine Bedenken, was die Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte angeht?
G: Jein. Natürlich gibt es diese Rechte, allerdings haben wir nur Bilder verwendet, die im Rahmen einer Exif-Recherche längst veröffentlicht wurden. Die Quelle steht in unserer Dokumentation.
K: Fotomontagen sind Teil unserer satirischen Arbeit, um auf Dinge aufmerksam zu machen. Am Ende lösen wir immer unmittelbar auf. Wir veröffentlichen, was und warum wir etwas montiert haben. So auch in diesem Fall.
G: Abgesehen davon berufen wir uns stets auf die Kunst- und Satirefreiheit. Da es sich bei den beiden Menschen um Personen von öffentlichem Interesse handelt, haben wir sie zum Teil einer satirischen Kunstaktion gemacht.
Wie ging diese Aktion weiter?
G: Zunächst gaben wir uns als Informant aus, der behauptete, die wahre Identität der „Hooligans Gegen Satzbau“ zu kennen. Als diese Person schrieben wir dann Hildmann und sagten, dass die Gründer unserer Seite bei der Antifa seien.
Dann habt ihr Hildmann Informationen angeboten. Der reagierte erst gar nicht.
K: Da sieht man, wie der Typ drauf ist. Er hat ja groß getönt, dass derjenige, der uns enttarnt, 1000 Euro bekommt. Wir wollten ihm die Informationen zuspielen und er schrieb einfach nicht zurück.
G: Ich glaube tatsächlich, dass er nicht so viel Geld hat, wie er immer tut. Wir wollten das Kopfgeld eigentlich an Exit Deutschland spenden, eine Hilfsorganisation für Menschen, die aus rechtsextremen Kreisen ausbrechen wollen.
K: Er wedelt immer mit Kohle, aber zahlt nie welche. Innerhalb seines Chats gab es auch schon Menschen, die meinten, sie hätten ihm Informationen zugespielt und wurden danach geblockt, statt Geld zu bekommen.
Als ihr ihm die Infos umsonst per Whatsapp zugeschickt habt, reagierte Hildmann.
K: Er antwortete nach zwei Minuten.
G: Noch am selben Abend schrieb er in seinen Telegram-Chat, dass er unsere Adressen hätte. An 66 000 Leute. Er schickte sogar das vermeintliche Bild mit. Das Bild eines Neonazis, dem ich ein Antifa T-Shirt gephotoshoppt hatte.
Hättet ihr gedacht, dass die Aktion funktioniert?
G: Wir waren zwiegespalten. Er hat ja zuerst nicht reagiert. Das zeigt uns, dass er weder Geld hat noch gut organisiert ist. Wir haben dann Leute aus unserem Netzwerk kontaktiert, die sehr nah an ihm dran sind. Der weiß gar nicht, mit wem er sich umgibt.
K: Aber andererseits wussten wir, dass er absolut machtgeil ist und damit empfänglich ist für alles, was seine Macht vermeintlich vorantreibt. Am Ende war alles ganz einfach. Er hat die Fake-Informationen direkt in seinen Telegram-Kanal geschickt. Ohne irgendwas zu überprüfen.
G: Er hätte nur eine Minute googeln müssen. Dann hätte er gemerkt, dass das niemand von der Antifa und von „Hooligans gegen Satzbau“ ist, sondern ein bekannter Neonazi.
Es wird viel über den Geisteszustand von Hildmann geschrieben. Ihr hattet Kontakt mit ihm. Wie schätzt ihr ihn ein?
G: Wenn man seine Livestreams guckt, dann sieht man nur eine leere, kalt eingerichtete Wohnung und seinen Hund. Ich glaube, dass dieser Mensch einsam ist.
K: Und pleite. Und traurig.
G: Man kann nur mutmaßen, was ihn so zerstört hat. Er wirkt sehr psychotisch und braucht definitiv Hilfe. Ich meine, er hält sich für den zukünftigen Reichskanzler.