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Ich kann jetzt leider nicht so richtig in die Tiefe gehen. Das würde ggf. auch zu weit führen. Aber ein paar Brocken kann ich aufgreifen und mit eigenen Brocken ergänzen.
Seerecht ist nicht immer einfach, das Recht rund um die Seenotrettung recht kompliziert. Nicht nur das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ / UNCLOS) spielt hier eine Rolle, sondern auch diverse Durchführungsabkommen, insb. das SOLAS-Abkommen (International Convention for the Safety of the Life at Sea). Über Rechtsfragen, wie sie Frau Rackete nun praktisch aufgeworfen hat, werden seit Jahren(!) ungebrochen(!) Seminar- und Abschlussarbeiten an deutschen Rechtsfakultäten geschrieben. Mit anderen Worten: Die Rechtslage ist komplex genug, dass man sie auf 25–80 Seiten ausbreiten kann – und das sogar mehrmals, ohne dass die "Goldrandlösung" gefunden ist.
Die absolute Kurzfassung: Das internationale Seerecht schreibt die Rettung aus Seenot vor. die Regel ist nicht nur (aber auch) im Seerechtsübereinkommen niedergelegt, dort aber "nur" aufgeschrieben. Sie gilt auch im Völkergewohnheitsrecht und bindet daher alle Staaten, nicht nur diejenigen, die Vertragspartei des SRÜ sind. Aus Seenot gerettete Personen müssen/dürfen in Sicherheit gebracht werden. Die Zuwiderhandlung ist kein völkerrechtliches Verbrechen, d.h. es gibt kein völkerrechtliches Gericht, das darüber urteilen würde. Insbesondere sind der internationale Strafgerichtshof (IStGH) und auch der internationale Seegerichtshof (ITLOS) dafür nicht zuständig. Stattdessen gibt es nationale Strafrechtsvorschriften, die nach dem Flaggenstaatsprinzip bzw. dem Personalprinzip die fraglichen Kapitäne treffen. Dazu kann, soweit sich die Sache im Küstenmeer eines Staates abspielt, nach dem Territorialprinzip auch noch das Strafrecht dieses Staates Anwendung finden.
Anstatt also eine völkerrechtliche Strafvorschrift für das Unterlassen der Seenotrettung zur Anwendung kommen zu lassen (weil es so eine nicht gibt), wäre Frau Rackete von bis zu drei Strafgesetzen betroffen gewesen: 1. dem deutschen, denn sie ist Deutsche, 2. dem niederländischen, denn sie befand sich auf einem niederländischen Schiff (Flagge!), 3. italienisches, soweit es ihre Handlungen innerhalb des italienischen Küstenmeeres betrifft.
Die eigentlichen Probleme im Seerecht liegen nicht darin, dass niemand Hilfe leistet. Das wird regelmäßig getan. Sie liegen auch nicht per se in der Unklarheit der Rechtsfolgen, also was mit geretteten Personen passieren soll. Sie liegen im begrifflichen Streit um die Tatbestände.
So wird zunächst darum gestritten, was überhaupt "Seenot" sei. In der Bandbreite zwischen "ein Passagier hängt kotzend über der Reling" bis hin zu "alle schwimmen und suchen ein paar Planken zum festhalten" wird so ziemlich alles vertreten. Mit anderen Worten: Die Schwelle, ab der eine unangenehme Lage zur "Seenot" wird, ist nicht trennscharf definiert und im Moment hat auch niemand der Mittelmeeranrainer ein Interesse daran, das zu ändern. Dazu kommt dann die Frage, ob ein gerettetes Schiff ggf. selbst in Seenot gerät, nachdem es in Seenot geratene Menschen gerettet hat. Genau das wäre nämlich bei Frau Rackete zu diskutieren gewesen, als sich ihre Lage zuspitzte. Ggf. hätte sie aus der angespannten Lage an Bord, ausgehender Versorgung insbesondere mit Trinkwasser aber ggf. auch anderen Vorräten, Erschöpfungs-/Krankheitszuständen, drohender Suizidalität etc. bereits ein eigenes Recht auf Anlaufen eines nahen Hafens erreicht. Ihre Rechtfertigung, warum sie nicht rüber nach Frankreich gefahren ist, hört sich ein bisschen danach an.
Diesbezüglich ist aber umstritten, ob ein Anspruch auf Seenotrettung nicht möglicherweise nur dann besteht, wenn man die Notlage nicht selbst herbeigeführt hat. Es gibt Stimmen, die das Vorliegen einer Seenot genau mit diesem Argument bestreiten, frei nach dem Motto: "Wer sich in Gefahr begibt, wird darin umkommen." Und natürlich kann man diese Argumentation weitertreiben und damit auch eine Seenotlage der Geflüchteten bestreiten. Gibt sicher einige, die sagen würden "selbst Schuld, wenn sie ohne ausreichende Vorräte nicht hochseetaugliche Boote besteigen".
Und schließlich ist auch umstritten, was denn genau die "Sicherheit" ist, in die aus Seenot gerettete Personen gebracht werden sollen. Auch hierüber kann man seitenlange Traktate schreiben. Wird auch gemacht.
Danke für die kurze Erläuterung. Als Laie finde ich es immer wieder interessant juristische Überlegungen kurz und prägnant zu lesen.
Vielleicht sollte ich mir doch ein paar Seminare Rechtswissenschaften so nebenbei antun...
.... via FernUni Hagen vielleicht...
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Diesbezüglich ist aber umstritten, ob ein Anspruch auf Seenotrettung nicht möglicherweise nur dann besteht, wenn man die Notlage nicht selbst herbeigeführt hat.
Ja, sie wird gute Anwälte brauchen. Nun gut. Genug Geld scheint ja nun vorhanden zu sein, um gute Anwälte bezahlen zu können.
https://www.vesselfinder.com/vessels/SEA-WATCH-3-IMO-7302225-MMSI-244140096
Die Seawatch 3 war wohl am 12.06. in Bouri, Libyen. Das Schiff ist Baujahr 1972 ( Offshoreversorger) und hat eine maximale Geschwindigkeit von 10 Knoten. Also alles andere als ein Vergnügungsdampfer.
https://de.wikipedia.org/wiki/Sea-Watch_3
Allerdings
Am 12. Juni 2019 barg die Sea Watch 3 53 Menschen vor Libyen. 11 Personen wurden aus medizinischen Gründen an Land gebracht, die übrigen 42 blieben an Bord, während das Schiff vor Lampedusa ohne Erlaubnis zum Einlaufen in Warteposition blieb.
Hier könnte Rackete Probleme bekommen, denn wenn es bei 11 zumutbar war, sie an Land zu bringen( wohl in Bouri, Libyen), dann hätten vermutlich auch die 42 Verbleibenden dort an Land gehen können.
Nun gut, Bouri ist die Bezeichnung für ein Ölfeld.
https://en.wikipedia.org/wiki/Bouri_Field
Gut möglich, dass man die Übrigen dort nicht von Bord gelassen hat. Bleibt zu klären, warum Lampedusa und nicht Tripolis, wobei die Distanz in etwa gleich ist.
Wie eingangs gesagt, sie wird gute Anwälte brauchen.
Was Salvini allerdings unerwähnt lässt, ist, das in den 2 Wochen laut Daten des italienischen Innenministeriums 312 Menschen illegal nach Italien gekommen sind.
https://www.tagesschau.de/ausland/schlepper-mittelmeer-101.html
Kurz, das Ganze ist eine reine populistische Luftnummer.
Zur Einordnung:
Die
Sea Watch 3 hat die 53 Personen ca. 47 Seemeilen vor Zawiya augenommen. Von der libyischen Küstenwache wurde sie dann zur Anlandung zum Hafen von Tripolis beordert. Dieser Order kam die
Sea Watch 3 nicht nach und steuerte nordwärts Richtung Lampedusa. Tunesien und Malta sollen eine Einfahrt in ihre Häfen verweigert haben.
16 Seemeilen vor den italienischen Hoheitsgewässern hat die
Sea Watch 3 gestoppt und auf die Freigabe zur Einfahrt nach Lampedusa gewartet.
In dieser Zeit hat die italienische Küstenwache mehrmals Personen (Frauen, Kinder unter 12 Jahren, Kranke) von der
Sea Watch 3 übernommen und nach Lampedusa ins Krankenhaus verbracht.
Insgesamt hat die
Sea Watch 3 ungefähr 14-15-16 Tage vor Lampedusa gewartet bevor Carola Rackete selbstständig in den Hafen einfuhr.
Im Hafenbecken soll ein Schlauchboot der italienische Küstenwache um die
Sea Watch 3 gekreist sein und war auch zwischen der Kaimauer und dem Schiff.
Seerecht ist nicht immer einfach
Ja, das sagt unsere Kundschaft doch auch dauernd. Irgendwas muss also dran sein.Die Seawatch 3 war wohl am 12.06. in Bouri, Libyen. Das Schiff ist Baujahr 1972 ( Offshoreversorger) und hat eine maximale Geschwindigkeit von 10 Knoten.
Umso interessanter, wie es da zu einer Kollision kommen konnte.
Naja, als alter Segler kann ich sagen, dass die Geschwindigkeit im Hafenbecken bei Zusammenstößen weniger maßgeblich ist als die Manövrierfähigkeit. Je größer und schwerer ein Schiff, desto langsamer reagiert das Steuer des Schiffes, gerade bei niedrigen Geschwindigkeiten. Ich empfehle hier den "Landratten" einfach mal im Urlaub an der Küste abend ein wenig Hafenkino anzuschauen. Beobachtet die Segler mit ihren Yachten mal beim Anlegen. Alternative sind Hafenrundfahrten in Hamburg (HVV-Schiffbuslinie 25/26), Rotterdam, Antwerpen bei den ganz großen Pötten. Teilweise meint man, dass die sich gar nicht bewegen und nach 30 Minuten sind sie um 180° gedreht worden.
Das Problem hier ist wohl die Tatsache, dass das Schlauchboot der italienischen Küstenwache zwischen Kaimauer und
Sea Watch 3 irgendwann einfach zusammengequetsch worden wäre.
Das könnte man sich als fahrlässig/vorsätzlich (?) Gefährdung auslegen.
Man kann natürlich auch fragen, warum
Sea Watch 3 nicht in Tunesien die Einfahrt erzwungen hat. Aber das finde ich wirklich sehr nachrangig.
Oder weitergefahren ist, nach Frankreich, Spanien, Griechenland, Zypern beispielsweise... aber auch
Sea Watch 3 verfolgt eine gewisse Politik.
In die Wunde der fehlenden konstruktiven Flüchtlingspolitik der Mitgliedsstaaten der EU schütten sie durch ihre Aktionen massig Salz hinein. Gut so!