Ich bin sogar bekennender Sachse
Doch ich muss ihm teilweise recht geben.
Natürlich. Aber mich stört immer dieses "man". "Man" müsste mal, "man" hätte dies und das tun sollen usw. Es ist doch möglich, ganz konkrete Verantwortlichkeiten zu benennen. Das beginnt z.B. in der Verantwortung der Politiker sämtlicher Ebenen, die sich nie wirklich um das Problem gekümmert haben. Stattdessen haben es insbesondere die Innenminister als die Ressort-Verantwortlichen für die öffentliche Sicherheit und ihre Chefs, sprich die Ministerpräsidenten, immer weiter so laufen lassen. Wie oft kam der Spruch, dass es kein Problem mit Rechten gäbe? Das fing z.B. in Sachsen schon unter Biedenkopf an. In anderen Bundesländern beschäftigte sich die Politik lieber mit sich selbst und mit der schwierigen Frage, wie die verfügbaren öffentlichen Gelder am besten zu beseitigen sind (z.B. Sachsen-Anhalt: Umdefinition von Gehältern für Angestellte des öffentlichen Dienstes als "Investitionsausgaben"), aber nicht damit, wie man z.B. den zunehmenden Fremdenhass als eins der deutlich sichtbarsten Erscheinungsbilder des rechten Gedankenguts in den Griff bekommt.
Es ist jetzt fast 30 Jahre her, dass die beiden deutschen Staaten zu einem zusammengefügt wurden. Es wäre viel Zeit gewesen, etwas zu tun. Gemacht wurde wenig. Zumindest zu wenig. Nur vom Wegschauen alleine ergeben sich halt in den wenigsten Fällen Änderungen. Dazu hätten natürlich auch die Eltern der jetzigen rechten Hauptgruppe mit einbezogen werden müssen. Aber das Verteilen von Arbeitslosengeld oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist einfacher, als den Menschen wirksam klarzumachen, dass sie mit dem Wechsel in das westliche System, für das sie schließlich mehrheitlich gestimmt haben (wobei gerade von dieser Gruppe in dem Moment keiner wahrhaben wollte, dass für einen Großteil extrem harte Einschnitte kommen werden, alle haben nur die DM-Zeichen in den Augen gehabt), sich umstellen müssen, dass ihnen keiner die Arbeit vorbeibringt, sondern sie sich selber etwas strecken müssen. Es wurde viel Platz gelassen, dass sich der Hass auf "das System" und die rechtsextremen Strömungen so richtig schön entwickeln konnten.
Ich bin der Meinung, dass viele Bestandteile der rechsextremen Entwicklung in Ostdeutschland wirtschaftliche Ursachen haben.
Die Menschen waren (zu Recht) unzufrieden mit ihrer Lage in der DDR. Die Reisefreiheit beschränkte sich auf etwas mehr als eine Handvoll Länder, viele Dinge, die über den täglichen Bedarf hinausgingen, waren entweder nicht oder nur extrem teuer zu bekommen.
Da leuchtete mit der Wende plötzlich am Horizont das Licht des Westens und viele dachten, dass jetzt das große Schlaraffenland kommt. Schließlich hatten es ihnen ihre Verwandten im Westen ja jahrezehntelang immer so vorgeschwärmt - dass diese nicht selten so richtig übertrieben haben und auch gern mal wichtige Informationen unter den Tisch haben fallen lassen, wussten die wenigsten. Und das Tal der Ahnungslosen (ein guter Teil Sachsens, der nicht von westlichen Radio- und Fernsehsendern erreicht werden konnte) hatte noch nicht mal Westfernsehen. Also hat man natürlich die Option der DM gewählt. Dummerweise stellte sich dann heraus, dass die Produkte, die sie in ihren Fabriken herstellten und von denen man ihnen immer gesagt hatte, dass sie so hochwertig seien, dass sie im Westen reißenden Absatz fänden (aber nur, weil sie zu Ramschpreisen in den Westen verkauft wurden), plötzlich keiner mehr zu den Stückkosten haben will und dass man mit den maroden Anlagen (mit Ausnahmen) auch nicht mehr viel neues anfangen kann. Und wieder war nix mit Reisefreiheit - man hätte jetzt zwar reisen können, konnte es aber dann doch nicht, weil das Geld fehlte. Und der tolle, nur 20 Jahre alte Golf, für das man direkt vor der Währungsumstellung sein Sparbuch verpfändet hatte, stellte sich als eben das heraus, was es war: eine Schrottkarre. Und jetzt stand man plötzlich ohne Arbeit und ohne Geld da. Und wer war verantwortlich? Nein, natürlich nicht man selbst. Das System war's! Also Bomberjacke raus und gegen das neue System, denn wenn die DDR schon nix war und das komische System des Westens mit seiner Demokratie und solchen eigenartigen Sachen auch nicht - dann muss halt die Diktatur wieder her!
Und die Politiker aller Parteien, die was hätten bewegen können, standen schulterzuckend da. Und von den Gewerkschaften kam auch nichts, denn die fühlen sich ja auch nur für die zuständig, die Arbeit haben, aber nicht für die, die keine kriegen. Und nachdem den Leuten klar wurde, dass sich keiner für sie interessiert, und sie selber wegen "keine Lust"/"fehlendes Wissen"/"ungenügende Ausbildung"/"mangelnde Intelligenz"/"sonstige Bequemlichkeit" sich nicht in der Lage sahen, selbst was zu ändern, wuchs ganz schnell der Wunsch nach dem "bewährten" starken Mann, der sie an der Hand nimmt und aus dem Elend herausführt. An dieser Stelle wären Anhaltspunkte gewesen, einzugreifen - allerdings nicht mit bunten Flyern und auch nicht mit dem Auftreten von Politikern, die sich mit besorgter Miene die Klagen der Bevölkerung anhören (und selbige spätestens beim Einsteigen in ihren Dienstwagen wieder vergessen haben). Das hätte harte Arbeit vor Ort bedeutet, mit viel erforderlichem Kapital und viel Personal, um ein Umdenken zu bringen. Aber so hat man sie abgetan als die Abgehängten, die sowieso niemanden interessieren.
Und man kann auch nicht in alle Ewigkeiten immer nur darauf hinweisen, dass ja die DDR auch zu einem großen Teil Schuld hatte daran. Das erinnert mich daran, dass wir mal in der Schule einen Lehrer ausgelacht haben, als der uns weismachen wollte, dass die Verschmutzung der Elbe ein Erbe des Kapitalismus sei (das war Anfang der 1980er, also gut 30 Jahre nach Gründung der DDR und der ebenso sozialistischen CSSR - und damit auch gut 30 Jahre nach dem Ende des letzten kapitalistischen Staats im Oberlauf der Elbe).
Mein Sermon von oben trifft natürlich nicht auf die Köpfe der Rechten zu (ich meine jetzt nicht das Körperteil). Bei denen liegt die Sache anders. Aber die gehören auch nicht zu denen, die geführt werden wollen. Das sind die, die Veränderungen wollen - allerdings andere Veränderungen, als wir hier und (zum Glück) der Großteil der Bevölkerung wollen.