Ausnahmsweise mag ich dir widersprechen: Exakt diese Dinge waren mir (und einigen Bekannten) definitiv bewusst. Das waren keine Geheimnisse. Aber, die meisten DDRler in meinem Umfeld wollten 1990 das einfach nicht wahrhaben. Da bin ich voll bei Schkrampe.
Du darfst mir nicht nur ausnahmsweise widersprechen, sondern auch generell. Insbesondere dann, wenn ich selbst dran schuld bin, wenn ich missverständlich schreibe.
Selbstverständlich wussten viele (dank Karl-Eduard
), dass im Westen auch nicht alles eitel Sonnenschein ist, so wie sich das manche vorgestellt haben. Die von Dir erwähnten Beispiele kenne ich auch persönlich (nicht aus eigener Erfahrung, aber durchaus aus dem näheren Umfeld).
Ein sehr großer Teil der DDR-Bevölkerung war es mMn einfach nicht mehr gewohnt, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.
Exakt! Das ist eigentlich auch das, worauf ich hinaus will. Wenn so etwas schon bekannt ist - wieso unternimmt man dann nicht was dagegen? Natürlich nicht, indem man die Leute wieder an die Hand nimmt oder ihnen jeden Morgen sagt, dass sie vorm Anziehen der Schuhe die Hose anziehen sollten, weil sie das sonst nicht allein auf die Reihe kriegen. Nein, eher "Hilfe zur Selbsthilfe".
Weshalb sich allerdings knapp 30 Jahre nach der Wiedervereinigung soviele Leute im Osten noch immer betrogen fühlen, ist rätselhaft.
Weil es nach wie vor so schön einfach ist, die Schuld bei anderen zu suchen, statt bei sich selbst? Und es für manche Leute einfacher ist, Sozialleistungen zu beziehen, statt sich selbst ums eigene Leben zu kümmern? Weil es soooo anstrengend ist, sich persönlich weiterzubilden, um eine bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten, da nun mal keiner mehr Leute braucht, die schon zu DDR-Zeiten nur Hilfsarbeiten verrichtet haben? Weil die Leute nicht begreifen wollen, dass es sinnlos ist, der "guten alten Zeit" hinterherzujammern, statt den Blick nach vorn zu richten?
Jeder mit halbwegs Verstand und Mut ist weggegangen... weil es eben keine Strukturen für Karriere oder Erfolg gab.
Ja, wenn ich da diesen komischen Typen sehe, der mich jeden Morgen beim Rasieren anschaut. Oder die allerbeste Ehefrau von allen...
Das ist vielen Ossis nicht wirklich bewusst, sie geben einer Politik die Schuld, die Milliarden an Förder- und Sozialmitteln in die Regionen gepumpt hat, die in einer Marktwirtschaft aber keine langfristige Wirkmacht in der Wirtschaft entfalten können, wenn keine Wirtschaft da ist. Schaut man sich die Transferleistungen an, dann wird man verrückt: Zwischen 1991 und 2005 sind jährlich etwa 60-70 MRD € geflossen. https://www.bundestag.de/resource/blob/550094/8e17e37a176c0f9c69150314bed6894d/wd-4-033-18-pdf-data.pdf Da zu sagen, man hätte nix getan ist einfach Schwachsinn, weil es undifferenziert ist. Natürlich war die Giesskanne Kohls nicht wirklich wirksam, aber sie bedeutete auch, dass eben keine Region komplett abgeschrieben wurde.
Das war eben der Fehler, dass man angenommen hat, dass es ausreicht, nur schön viel Geld zu verteilen. Das führte aber nur dazu, dass man dann (Vorsicht: Übertreibung!) in einigen Ecken vergoldete Bordsteinkanten hatte. Die wahren Geldflüsse sahen dann aber anders aus. Aufgrund der Auftragsvergabe kamen dann vor allem Firmen aus dem Westen zum Zug, da durch den Umfang der zu erledigenden Dinge die Auftragsvolumina einfach so groß waren, dass es keine Firmen im Osten gab, die das hätten stemmen können (es gab leider auch viele Aufträge, die nicht so groß waren und dann trotzdem der Einfachheit halber an westliche Firmen gingen). Damit wurde zwar nominal Geld in den Osten und die Strukturen gepumpt, aber es ging anschließend wieder zurück in den Westen. Das war anders gedacht und geplant (hoffe ich zumindest), aber in der Realisierung sah es halt anders aus. Dazu kamen dann die von mir bereits erwähnten Verschwendungen öffentlicher Gelder, aus denen man dann etwas hätte machen können.
Bei der Gießkanne hätte m.E. eine engmaschige Überprüfung auf ihre Wirksamkeit geplant gehört. Und dann auch nicht Gießkanne, sondern punktuelle Tröpfchenbewässerung, um bei dem Bild zu bleiben.
Aber auch sonst reicht es nicht, einfach nur Geld zu verteilen. Das macht nur träge und faul, denn wozu soll ich mich selbst bemühen, wenn sowieso für mich gesorgt wird? Und zu dem "nur Geld verteilen" zähle ich auch die unsäglichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, mit denen versucht wurde, die Arbeitslosenstatistik zu schönen. Denn bei einer ernsthaften Betrachtung selbiger wäre sichtbar geworden, dass es erforderlich ist, andere Maßnahmen zu ergreifen. Und Maßnahmen wie Hilfsarbeiten beim Reinigen der örtlichen Gehwege sind zwar nützlich, bringen den Betroffenen aber nicht gerade ein Selbstwertgefühl und bringt sie auch nicht in den regulären Arbeitsmarkt zurück.
Eine endgültige Lösung habe ich natürlich auch nicht. Da sehe ich mich nicht als Fachmann. Aber wenn es die Vertreter des Volkes in der Politik auch nicht sind: es wird für jeden Sch... Geld rausgeworfen für Gutachten und Konzeptentwicklungen und was weiß ich (ich sage nur: Verteidigungsministerin). Dann muss ich mir halt die Fachleute ins Boot holen. An der Stelle fehlt dann aber das Geld und das Personal. Ich kenne selbst eine Sozialpädagogin im Sächsischen, die es geschafft hat, einige Jugendliche aus dem Milieu herauszulösen, indem sie sie erfolgreich zu einer aktiven Lebensführung gebracht hat und die jetzt auch wenigstens nicht mehr den Dunkelbraunen hinterherlaufen. Aber bei dem Arbeitspensum, das sie zu bewältigen hat, ist einfach nicht mehr drin als "einige". Sie sieht sich da schon manchmal als Sisyphos.