Es ist Mittwoch. Für Franz der Tag, um endlich wieder einmal aufzuwachen. Das macht ganz Gießen täglich, allerdings nicht erst um 17:00 Uhr.
11 C°, Wind, leichter Nieselregen und rund 10 KM Entfernung bis zum Ziel.
Beste Voraussetzungen für eine Radtouvernünftige Entscheidung im Sinne der Bequemlichkeit. Kurz im Schrank gekramt, ein Wintermantel bekommt unverhofft Gelegenheit vor dem Herbst noch einmal Tageslicht zu sehen.
17:16 Uhr Ankunft Berliner Platz.
An einer stark befahrenen, zweispurigen, Kreuzung mit Bushaltestellen teilen sich Rathaus, ein größeres Café und ein Kinocenter ihr Viertel des Platzes. Gegenüber die Stadthalle, bekanntgeworden durch das Nicht-Stattfinden Fitzes brauner Eso-Messe. Der Initiator des aktuellen Flops schiebt gerade an einer äußerst armseligen Version der berüchtigten Hoffmannschen` Kulissen. „Weniger ist mehr“ trifft hier nur bedingt zu. Erst ein „ganz ohne“ könnte Ansprüche ästhetischer Art vollends befriedigen.
17:29 Uhr. Drei Fahnen und ein Banner haben ihren Platz gefunden, der Lautsprecher eine Plastikfolie und es ist Zeit das Mikro zu checken. Zwischenzeitlich hat eine bärtige Helfer-Gelbweste die Stative für zwei Kameras in slowslow-slowmotion, teils kniend, auf zwei unterschiedliche Höhen gebracht und ausgerichtet. Ob und welche komplizierten Berechnungen dabei welche Rolle gespielt haben mögen bleibt sein Geheimnis.
Vergeblich halte ich Ausschau nach einer schützenden Menge, finde aber nur Unterschlupf unter einen Schirm des Cafés, der Beschallung abgewandt.
Die zweite, etwas ältere, bärtige Gelbweste stolziert auf der leeren Veranstaltungsfläche mit seinem Regenschirm auf und ab, mir (gefühlt?) grimmige Blicke zuwerfend. Natürlich hat er bemerkt dass ich Fotos geschossen habe. Dazu kommt, dass ich die einzige Person bin die sich länger auf dem Platz aufhält, alle anderen sind bemüht den nächsten Bus zu erreichen.
Damit wären bereits sämtliche Fragen zur Zuschauerzahl beantwortet.
17:35 Uhr „ … Gefahr . . . 5G . . .Bevölkerung … auf 500 Mio. reduzieren …“ Franz wacht auf,
mein Espresso ist da und es geht endlich los. Dank eines perfekt abgestimmten Zusammenspiels von Verkehrslärm und dem bereits die ganze Zeit anwesenden Polizisten, offensichtlich zuständig für die Einhaltung festgelegter Emissionsgrenzen des Hirnlos.de-Brüllwürfels, bleiben den nicht vorhandenen Zuhörern Details erspart. Es gibt keine Zufälle.
17:43 Uhr. Lang genug geredet.
Für wen auch immer folgen ein unverständlicher Text-Einspieler, danach Musik. Meine Füße werden langsam kalt. Nach und nach bildet sich ein Grüppchen, zumindest einer daraus ist mit der bärtigen Gelbweste 2 bekannt. Insgesamt werden es sechs , zwei ältere Typ Hutbürger und vier jüngere, die mit ihrem Outfit auf einer Neo-Nazi Demo nicht auffallen würden. Hier allerdings schon. Sie halten sich abseits und stets ausserhalb des Aufnahmebereichs der Kameras, quatschen und stieren dabei durch die Gegend. Unangenehm. Wie der immer stärker werdende Regen.
17:50 Uhr „Nuschel … 800.000 Antennen … in den USA auf Schulhöfen und Kinderspielplätzen installiert … wir haben (bereits?) 10 Sammelplätze in ganz Deutschland, das heisst Plätze, an denen wir uns sammeln …“
Ach so.
17:59 Einzelne Worte, unterbrochen von langen Pausen. " Wacht auf". Immer länger werdende Pausen. Schweigen.
Der Verkehrslärm hat gewonnen und Gießen es anscheinend hinter sich. Ein vor einsamer Kulisse im Kreis seiner zwei mitgebrachten Gelbwesten achselzuckender Redner trägt den offensichtlichen Umständen hoffentlich endlich Rechnung. Bestimmt war nur der Regen Schuld. Am vorgetragenen Delay des sich in einer mecklenburgischen Echokammer vor geraumer Zeit verfangen habenden hat es bestimmt nicht gelegen. Ganz bestimmt. Egal ob die jetzt über Verlängerung beraten, die bald ablaufende Zeitschaltuhr der Standheizung gemahnt zum Aufbruch.
Nach Hause, einem der Begehung des Jahrestags der Befreiung vom Faschismus angemesserem Ort.