Die Räumung – Ein halbes Jahr später
Von: 15.11.2017 Veröffentlicht in: Allgemein, ErfahrungsberichteKeine Kommentare
Drucken E-Mail
Jeder aus unserer Gemeinschaft hat die Räumung anders erlebt und wahrgenommen. Hier gibt Charlotte Euch einen Einblick in ihre eigene Erfahrung.
„Was ich generell in meiner Zeit im Königreich gelernt habe, ist, daß man Belastungen in der Gruppe ganz anders trägt. Die Last verteilt sich irgendwie, wenn man sich Herausforderungen gemeinsam stellt. Die Spannung und der Druck, denen man als Individuum kaum standhalten könnte, werden von der Gruppe ganz anders verkraftet. Ich fühle mich sicher und aufgefangen von meiner Gemeinschaft – ich habe mich nie mehr als jetzt „zu Hause“ und „angekommen“ gefühlt, auch wenn ich momentan aus dem Koffer lebe. Dieses Gefühl des „Ich bin hier gut und richtig und kann hier sein.“ ist etwas, das mir erhalten bleibt. Unabhängig davon, ob ich gerade mit der Gemeinschaft bin oder fürs Königreich arbeite oder nicht.“
Am 15.05.2017, kurz nach 10:00 Uhr, wurde das Akademiegelände in Apollensdorf von einem Sondereinsatzkommando der Polizei gestürmt.
Etwa 150 schwer bewaffnete Polizeikräfte der Bundesrepublik Deutschland verschafften sich Zutritt zu dem Gelände und den Gebäuden, indem sie die Zugänge und Türen aufbrachen, bzw. sie mit Rammböcken einschlugen. Soweit der allgemeine Teil.
Gegen 10:15 Uhr war die Polizei bereits in meine Wohn- und Arbeitsräume eingedrungen.
Im Folgenden möchte ich Euch nahebringen, wie ich die Räumung und die Wochen danach erlebt habe, wobei ich nur für mich selbst sprechen kann – jeder Mensch aus unserer Gemeinschaft geht anders mit der Situation um. Aber ich möchte im Verlauf dieses Blogs auch noch weiter auf eine allgemeine Frage eingehen, die mir wie ein Mantra seit Wochen und Monaten von allen möglichen Leuten, seien es meine Freunde, meine Familie, Bekannte, Unterstützer oder Pressevertreter, gestellt wird: „Wie geht es jetzt weiter?“
Zuerst einmal möchte ich mich kurz vorstellen: Ich bin Charlotte, 26 Jahre alt, und komme ursprünglich aus Berlin. Im Januar bin ich nach Wittenberg gezogen und war von da an Teil der Gemeinschaft.
Bis zum Zeitpunkt der Räumung lebte ich auf dem Gelände in Apollensdorf. Ein Zimmer im zweiten Stock des Hauptgebäudes nannte ich mein eigen. Ich nutzte die Sanitäreinrichtungen, die Küche sowie diverse andere Gemeinschaftsräume im gleichen Stockwerk. Meinen Arbeitsplatz hatte ich in einem Büroraum im Erdgeschoss, in dem noch drei weitere Gemeinschaftsmitglieder täglich ihrer Arbeit nachgingen.
Bis zu diesem Montag waren meine Aufgaben hauptsächlich in der Öffentlichkeitsabteilung angesiedelt; also Artikel schreiben und veröffentlichen, Video-Konzepte erstellen und zunehmend organisatorische Arbeiten.
Ich hatte mich kaum eingelebt, da wurden wir auch schon geräumt.
Die vier Wochen unmittelbar nach der Räumung habe ich hauptsächlich Organisatorisches erledigt und kaum geschrieben. Ich hätte zu dieser Zeit auch gar nicht gewusst, was ich hätte schreiben sollen. So voll stand mir der Kopf und war doch leer zugleich. Doch das war gut, denn so konnte ich mich voll und ganz anderen Dingen, die von Priorität waren, widmen. Jetzt kann ich Euch zumindest nachträglich etwas zur Räumung und den Prozessen, die sie losgetreten hat, schreiben …
Nach der Räumung mussten wir uns als Gemeinschaft erst einmal neu orientieren. Durch die neuen Umstände konnte keiner von uns mehr wie gewohnt seiner Arbeit nachgehen. Harter Tobak, wenn man mal so drüber nachdenkt: So „über Nacht“ seinen Wohn- und Arbeitsplatz zu verlieren …
Für mich war von Anfang an klar, daß ich schon irgendwo unterkommen würde. Doch eine Frage, die in mir aufkam, war „Okay und wovon bezahlen wir in nächster Zeit unser Essen?“ Ein Großteil der Strukturen, mit denen wir zuvor Geld erwirtschaftet hatten, war schließlich weggebrochen.
Ich bin dankbar, daß ich nach der Räumung direkt Kontakt mit Euch hatte, also die Unterstützung unserer Staatsan- und zugehörigen koordinieren konnte. Statt meiner bisher gewohnten Arbeit habe ich täglich Anrufe und Mails entgegengenommen und dann ging es direkt weiter mit der Tages- und Wochenplanung … es hatte etwas Handfestes. Einen Plan zu haben, half mir sehr in diesen Zeiten; es beruhigt mich auch heute noch, sechs Monate später. Und der Kontakt mit unseren Unterstützern bereitet mit tagtäglich Freude. Ich bräuchte Seiten, um aufzulisten, was uns schon alles an Unterstützung erreicht hat. Einige berührende Beispiele dazu möchte ich gern weiter unten mit Euch teilen.
Der Montag, an dem das Sondereinsatzkommando der Polizei das Gelände gestürmt hat, gehörte zu meiner lang im Voraus geplanten Urlaubswoche. Ich hatte die vergangenen Wochen und Monate mehr oder weniger durchgearbeitet, teilweise auf Wochenenden verzichtet, aus Freude, Enthusiasmus und Pflichtgefühl heraus. Keiner hat mich dazu gezwungen, es war freiwillig, selbst gewählt. Ich hatte mich auf diese Urlaubswoche eingestellt, darauf hingearbeitet.
Vom Tag der Räumung an lief ich auf meinen allerletzten Reserven. Auch wieder freiwillig. Bevor nicht einige Sachen organisiert waren, hätte ich eh keine Ruhe finden können. Und so rechte Vorfreude auf meinen Urlaub wollte sich ohnehin nicht einstellen. Einen Monat später, am 19.06., nahm ich mir dann endlich komplett frei, für eine Woche. Länger hätte ich nicht mehr gekonnt. Ich hatte ziemlich an Gewicht verloren und mich strengten die kleinsten Bewegungen an.
Aus den letzten Monaten habe ich für mich gelernt, mit meinen Kräften sorgsamer zu haushalten und nicht mehr auf knapp zu kalkulieren.
Ich denke, jeder hat etwas anderes durch die Räumung gelernt. Bei mir war es, wie schon eben beschrieben, daß ich mir mehr Urlaub nehme, um gar nicht erst in die Erschöpfung zu kommen.
Was ich generell in meiner Zeit im Königreich gelernt habe, ist, daß man Belastungen in der Gruppe ganz anders trägt. Die Last verteilt sich irgendwie, wenn man sich Herausforderungen gemeinsam stellt. Die Spannung und der Druck, denen man als Individuum kaum standhalten könnte, werden von der Gruppe ganz anders verkraftet. Ich fühle mich sicher und aufgefangen von meiner Gemeinschaft – ich habe mich nie mehr als jetzt „zu Hause“ und „angekommen“ gefühlt, auch wenn ich momentan aus dem Koffer lebe. Dieses Gefühl des „Ich bin hier gut und richtig und kann hier sein.“ ist etwas, das mir erhalten bleibt. Unabhängig davon, ob ich gerade mit der Gemeinschaft bin oder fürs Königreich arbeite oder nicht.
An besagtem Montag habe ich mich auch seltsam sicher gefühlt, obwohl die ganze Vorgehensweise der Räumungsverantwortlichen die reine Willkür war.
Als ich den Lärm der Polizei von unten her hörte, machte ich mich auf den Weg dorthin, denn ich wusste, daß sich um diese Zeit meine Arbeitskollegen dort aufhielten. Ich ging durch ein abgelegenes Treppenhaus, da ich im Haupttreppenhaus bereits erste Polizeikräfte vermutete, die mich auf meinem Weg aufgehalten hätten. Im Erdgeschoss an der Flurtür angelangt, öffnete ich diese vorsichtig und trat langsam heraus. Im gleichen Moment erblickte ich fünf bis zehn Polizisten, die sogleich die Waffen auf mich richteten. Der Mann an der Spitze der Formation muss etwas gerufen haben wie „Hände hoch, Polizei! Stehenbleiben!“, aus irgendeinem Grund habe ich aber die Worte „Hände hoch, das ist ein Überfall!“ im Kopf. Vielleicht, weil alles etwas war wie in einem Film, irgendwie surreal: Der eine Polizist in Deckung des Türrahmens, ein anderer an der Wand, noch einer mitten im Raum stehend, einer leicht geduckt, vielleicht noch weitere, und schließlich der Mann ganz vorne, den ich meine später als Einsatzleiter wiedererkannt zu haben. Und dann noch ich, in Nähe der Treppenhaustür, eine Frau, unbewaffnet und nicht besonders sportlich. Ich weigere mich, in diesem Film die Rolle der Bösewichtin zu spielen. Als Opfer sehe ich mich allerdings auch nicht. Und ich weiß, daß viele Menschen Polizist werden, weil sie etwas Gutes tun wollen.
Auch wenn es sich komisch angefühlt hat … lustig war es nicht. Was für ein Glück wir alle hatten: Schließlich waren die Polizisten schwer bewaffnet gewesen, unter anderem mit Maschinenpistolen. Verletzt wurde aber niemand – weder durch uns noch durch die Polizisten.
Als der vermeintliche Polizeieinsatzleiter mich so laut anrief, hob ich die Hände, rief in gleicher Lautstärke zurück, daß ich unbewaffnet und friedlich bin. Ich wies darauf hin, daß ich die Vorgehensweise unangebracht finde, daß man doch bitte ruhiger vorgehen sollte, da sich Kinder im Gebäude befinden. Der Mann, der mich angeredet hatte, fragte mich, wo diese sich aufhalten. Ich wusste darauf keine Antwort. Er fragte erneut, mit der Begründung, man könne die Kinder dann aus der Situation rausbringen, damit sie sich nicht erschrecken. Ich gab zurück, daß sei bei dem Lärm sicher schon passiert.
Die Polizisten zeigten sich überrascht darüber, daß sich Familien auf dem Gelände aufhielten.
Die Kinder wurden unverzüglich zusammen mit ihren Eltern vom Gelände gebracht.
Während der gesamten Räumungsaktion hielt sich bei mir der Eindruck, daß die Polizei, einerseits sehr gut informiert war, andererseits aber vieles nicht zu wissen schien, wie zum Beispiel, daß Familien auf dem Gelände leben oder, daß wir friedlich sind. Gleiches gilt für den Gerichtsvollzieher, den neuen mutmaßlichen Eigentümer und den neuen Objektverwalter.
Ich forderte den führenden Polizisten auf, er solle mir einen richterlichen Beschluss oder Ähnliches vorzeigen; dieser meinte, ein Gerichtsvollzieher würde später noch dazukommen.
Sie fuhren fort. Ohne, daß mir zu diesem Zeitpunkt eine rechtliche Grundlage bekannt gewesen wäre, was die Überfall-Atmosphäre verstärkte. Wir wurden alle abgetastet. Auch im Schrittbereich. Wir betonten mehrmals, daß wir keine Waffen besitzen und friedlich gesinnt sind. Als wir alle so an der Wand im Flur stehend abgetastet wurden, sah ich meine Arbeitskollegen das erste Mal an diesem Tag. Ich war sehr erleichtert und froh, daß sie alle wohlauf waren. Wir wurden nach und nach versammelt. Mit jedem einzelnen, der zur Gruppe stieß, wuchs mein Gefühl, daß alles in Ordnung ist.
Es waren sehr viele Polizisten zugegen, die uns anfangs entweder untersuchten, mit den Waffen auf uns zielten oder in ihre Funkgeräte sprachen. Man kann sich ja ausrechnen, von wie vielen Polizisten jeder von uns umgeben war, wenn insgesamt ca. 100 innerhalb der Gebäude zugegen und von unserer Gemeinschaft zu dem Zeitpunkt etwa 15 Leute vor Ort waren (Die andere Hälfte befand sich zur Zeit der Räumung außerhalb des Geländes). In der Situation erschien mir der ganze Aufwand übertrieben.
Erst im Verlauf des Tages, als ein Mann aus unserer Gemeinschaft der Polizei erklärte, daß wir keine Reichsbürger sind, habe ich mich daran erinnert, daß in der medialen Öffentlichkeit künstliche Zusammenhänge zwischen Terror-Attentaten und unseren Leuten und damit auch mir geschaffen worden waren. Daß die Polizisten wahrscheinlich darauf vorbereitet worden, „tendenziell gewaltbereite Reichsbürger“ anzutreffen und daß ich für sie auch eine von diesen Personen war. Mir kam das damals alles so unverhältnismäßig vor.
Erst viel später ist mir aufgefallen, daß 150 Einsatzkräfte gemessen an der Größe des Geländes eine nicht ungewöhnlich Zahl sind (Das Gelände in Apollensdorf war über neun Hektar groß.).
Als wir alle durchsucht waren, kam der Gerichtsvollzieher mit einer einstweiligen Verfügung.
Ad hoc wollte keiner aus unserer Gemeinschaft das Dokument des Gerichtsvollziehers annehmen, da zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar war, was dadurch für Konsequenzen entstehen würden. Näher gehe ich nicht darauf ein, weil das Widerspruchsverfahren gegen die Verfügung noch nicht abgeschlossen ist. Bemerken möchte ich jedoch, daß der Mensch, der uns das Schreiben zustellen wollte, am ganzen Leib gezittert hat und etwas ins Schwitzen gekommen war. Ich weiß nicht, ob das an uns oder den vielen Polizisten lag. Vielleicht an beidem.
… Der Polizeieinsatzleiter teilte uns mit, daß wir zwei Optionen hätten: Entweder wir verlassen das Gelände freiwillig und dürfen ein paar unserer nötigsten Sachen packen oder wir würden vom Gelände entfernt werden, „unter Anwendung von roher Gewalt“. Mehrere Menschen aus unserer Gemeinschaft stellten fest, daß hier von Freiwilligkeit nicht die Rede sein könne.
Wir entschieden uns also, das Gelände zu verlassen – unabhängig von der einstweiligen Verfügung. An dieser Stelle möchte ich pro forma noch einmal festhalten, daß wir dieses unter Androhung von Gewalt, also unter Zwang taten.
Als unsere Wohnungen in den oberen Etagen von der Polizei freigegeben wurde, konnte jeder einzelne von uns, jeweils begleitet von mehreren Polizisten (bis zu vier Polizisten pro Mensch), seine Sachen packen.
Dann verließen wir das Gelände. Wie viel jeder von uns mitnehmen konnte, fiel verschieden aus. Einige von uns durften zum Beispiel noch nicht mal ihre Laptops mitnehmen. Eine nachvollziehbare Begründung wurde hierzu nicht genannt. Ich konnte zum Beispiel relativ viel packen, “meine“ Polizisten waren ganz korrekt. Ich würde hier gern Nettes über den einen oder anderen schreiben, aber ich verzichte darauf, weil ich eben jene nicht in Schwierigkeiten bringen möchte. Ich kenne mich nicht aus mit deren Vorschriften, weiß nicht, welche Nettigkeiten erlaubt sind und welche verboten.
Die Polizisten verhielten sich sehr unterschiedlich. Doch eines hatten sie alle gemein: Sie waren zwar vermummt bis obenhin, aber die Angst, die Wut und auch die Scham konnte man ihnen allen an den Augen ablesen. Was hat man Euch für Schauermärchen über uns erzählt? Das frag ich mich und bin froh, daß ich die Antwort nicht weiß.
Ihr wart alle verkleidet, wie die Einbrecher. Einige von Euch hatten sanfte, liebe Augen. Anderen quollen die Augen nahezu über, vor Gier, Zerstörungswut und Lust an der Demütigung. Man könnte meinen, daß die Uniform Euch alle gleich macht, aber das macht sie eben nicht. Man könnte meinen, daß Ihr durch die Maskierung alle anonym werdet, aber das werdet Ihr eben nicht – Eure Augen verraten Euch. Euch wird gesagt, die Masken tragt Ihr wegen der Brandgefahr. Ihr glaubt vielleicht, Ihr tragt sie, damit wir Euch nicht erkennen und jagen können. Ich denke, es ist keines von beidem, sondern ganz etwas anderes: Es ist, damit Ihr Euch unterscheidet von uns, damit Ihr und wir voneinander getrennt sind. Es ist auch, damit Ihr als geschlossene Gruppe gegen uns vorgehen könnt, weil Ihr alle mit einander eins seid und nicht mehr einzeln als „ich“ denkt, handelt und fühlt, sondern gemeinsam Euren Auftrag ausführt. Aus einer uniformierten Gruppierung beiseite zu treten, deren Uniform man selbst trägt, in den Widerstand gegen einen Auftrag zu gehen, stelle ich mir sehr schwierig vor. Doch es geht. Mit jedem, der Ungehorsam zeigt, wird es sogar dem nächsten leichter. Es muss nur einer den Anfang machen.
Mir ist es durch die Verkleidung leichter gefallen, Euch zu sehen. Jeden einzelnen. Die Stimmen wurden mir klarer und noch nie zuvor konnte ich Augen so gut beobachten. Und gleichzeitig weiß ich nicht, ob Ihr mich überhaupt sehen konntet.
Einer von Euch oder mehrere von Euch haben eines unserer Sofas der Länge nach aufgeschlitzt. Ein weiteres habt ihr hingegen nur halb auseinandergebaut. Die Sofas waren vom Modell her identisch und standen beide im Gemeinschaftsraum – allein die Farbe unterschied sie. Als einer von uns in den Raum fragte, warum mit dem einen Sofa so, mit dem anderen aber so verfahren worden sei, gab einer zurück „Weil das besonders hässlich war!“. Jetzt stell Dir einmal das Augenpaar zu diesem Satz vor, lieber Leser. Siehst Du es vor Dir?
Ich kenne die Schulungen, die Angestellte der BRD-Stellen erhalten. Ich habe mit genug Leuten zu tun gehabt, um die immer wieder gleichen Satzbausteine ausmachen zu können. Einige von den Polizisten entgegneten auf unsere Fragen monoton „Keine Diskussion.“ Kommunikation, Verständigung werden vermieden. Andere Polizisten hielten sich nicht an die Vorschriften und zeigten sich menschlich.
Mindestens eine Polizistin hatte Tränen in den Augen.
Danke an alle Polizisten, die sich uns gegenüber menschlich verhalten habe. An alle anderen: Ich verzeihe Euch. Ich weiß, Ihr hattet Eure Gründe.
Wie wir nach draußen traten, wartete dort ein Großaufgebot von Einsatzwagen, Polizisten, Waffen und abgerichteten Kampfhunden – letztere kamen allerdings nicht zum Einsatz. Der vermeintlich neue Eigentümer des Geländes und verschiedene Pressevertreter hielten sich vor den Grundstücksgrenzen auf.
Nachdem wir alle geräumt waren, hieß es, es dürfe niemand mehr auf das Gelände. Da bekam ich es mit der Angst zu tun. Was sollte aus meinen Katzen werden? Die Polizisten hatten mir zuvor gesagt, ich solle erst einmal vom Gelände, dieses müsse erst weiter gesichert werden, danach solle ich mich an die Einsatzleiter wenden. Erst nach Bitten und Betteln durfte ich mit einem meiner Kollegen wieder zurück, der mir beim Tragen helfen sollte. Einem Elternteil, der nur ein paar Sachen für sein Kind holen wollte, ging es ganz ähnlich, es dauerte ziemlich lang, bis ihn die Einsatzleitung die Sachen holen ließ.
Die Katzenbehausung an sich war aufgebrochen worden. Aber meine Katzen waren noch da. Ich entdeckte sie unter dem Fliederbusch, der vor dem Häuschen stand – dort hatten sie sich vor dem Einsatzkommando versteckt und stundenlang ausgeharrt.
Ich war heilfroh, meine Katzen gesund und munter zu finden. Anstandslos ließen sie sich von mir in die Transportbox bugsieren.
Hätte ich sie damals verloren und nicht gewusst, was aus ihnen geworden ist, wäre die Räumung zweifelsohne traumatisierend für mich gewesen. Man kann also sagen, mir ist nichts passiert.
Behalten konnte ich die Katzen leider nicht. Dort wo ich jetzt lebe, ist es katzenunfreundlich. Nachdem ich die Woche nach der Räumung hin- und her überlegt hatte, gab es nur eine einzige Möglichkeit für mich: Ich gab sie zu einem Bauernhof, den ich von früher her kannte. Dort haben sie nun ein besseres Leben, als ich es ihnen je hätte bieten können.
Einer von Euch Unterstützern hat mich damals bis zu einer Stadt gefahren und ein anderer von da aus bis zum Bauernhof. Zurück zur Gemeinschaft bin ich auf dem gleichen Weg gelangt (Ich verfüge weder über einen Führerschein noch über ein Auto.). Ich danke Euch an dieser Stelle noch mal ganz herzlich. Ihr habt mir sehr geholfen.
Überhaupt haben so viele Leute uns geholfen. Was uns an Unterstützung erreicht hat, war unglaublich. Ich hatte nach Der Räumung ständig damit zu tun, Informationen weiterzuleiten, Rücksprache zu halten, den Aufenthalt unserer Helfer zu koordinieren. In den ersten zwei Wochen erreichten uns Geldspenden in einer Höhe, die uns die Umzugskosten (LKW-Mietung, Benzin, Lagerkosten, Manpower) deutlich erleichterten. Ein Staat mit seinen Strukturen und 30 Einzelhaushalte ziehen ja nicht mal so eben kostenlos oder von alleine um. Das Widerspruchsverfahren gegen die einstweilige Verfügung konnten wir auch dank Eurer Unterstützung anstrengen (mehrere tausend Euro Kosten). Auch Sachspenden kamen bei uns an, ganz unterschiedlicher Art. Viele Menschen sind einfach sofort vorbeigekommen und haben beim Transport unserer Habseligkeiten schwer mit angepackt. Das ging ununterbrochen, einen Monat lang so, vier Wochen. Jeder hat geholfen, wo er konnte. Manche kamen vorbei und haben gekocht, so konnte sich unser Küchen-Team auch mal um andere Dinge kümmern. Auch beim Putzen und Herrichten unserer neuen provisorischen Unterkünfte seid ihr uns tatkräftig zur Seite gestanden.
Einmal hat mich ein Herr angerufen, aus den Alpen, er könne gerade leider nicht vorbeikommen und würde stattdessen „nur“ Geld spenden. Mir sind die Tränen vor Rührung gekommen.
Ich hatte früher immer Geld und Zeit und habe meine Freunde unterstützt und Freude bereitet, wo ich nur konnte. Heute habe ich kein Geld mehr und bin in einer Phase angekommen, in der ich mich erst einmal um mich selbst kümmern muss. Die Freunde sind geblieben und jetzt sind sie es, die mich unterstützen und mich bei sich wohnen lassen.
Ich wünsche mir, daß das Königreich einmal an den Punkt kommt, an dem es aus vollen Händen seinen Freunden zurückgeben kann. Nicht aus Schuld heraus, sondern aus einer Fülle heraus, daß es eine Freude ist. Und nicht nur Geld, sondern jedem das, was er sich wünscht und was ihn weiter bringt.
Die letzten Monate haben sich wie ein großes Familienleben angefühlt, das Jubiläum wie eine große Familienfeier. So darf es von mir aus gern weitergehen … Gern mit etwas weniger Razzia-Aktionen;)
DANKE FÜR ALL DAS! FÜR JEDE EINZELNE TAT!
„Wie geht es jetzt weiter?“ Das wird sich in den nächsten Monaten, vor allem dem nächsten halben Jahr zeigen. In diesem Blog konnte ich Euch hoffentlich einen Einblick in den Ist-Zustand verschaffen. Einige Dinge sind erst noch im Entstehen, über andere berichten wir bereits.
Ich hatte immer Glück im Leben. Damit meine ich, daß mir nie etwas zugestoßen ist, obwohl ich mich oft in brenzligen Situationen befunden habe, und, daß mir oft Geschenke direkt vor die Füße geworfen worden sind. Ich glaube, daß liegt daran, daß ich mit meinem Leben eine gewisse Reinheit anstrebe.
Oft habe ich Dinge getan, die ich heute zwar noch verstehe, aber gar nicht mehr verantworten könnte. Damals hingegen bin ich vollkommen einverstanden mit diesen Dingen gewesen. Es gab schon viele Brüche, vielen Wendungen in meinem Leben. Ich stand oft vor Entscheidungen, ob ich etwas Altes, was ich nicht mehr vertreten kann, fortführen oder etwas Neues beginnen möchte. Früher bin ich gelegentlich noch „mit zwei zugedrückten Augen“ durch die Welt gegangen, damals war mein Bewusstsein noch deutlich geringer. Durch einen Schicksalsschlag hat sich meine Einstellung von Grund auf geändert und ich bin seit dem sehr ehrlich zu mir selbst. Ich habe gelernt, wie heilsam es sein kann, dann uns wann inne zu halten und mich zu fragen „Bin ich das eigentlich gerade? Will ich das? Was will mir diese Erfahrung zeigen?“ und dementsprechend zu handeln. Ich bin bereit, mir „Irrwege“ einzugestehen und sie wieder zu verlassen. Wann immer ich mich dafür entschieden habe, meinen bisherigen, nicht mehr stimmigen, Pfad zu verlassen, habe ich im Anschluss Belohnungen erhalten, die mir gezeigt haben, daß es so sein sollte.
Die Räumung war für mich so ein Scheidemoment. Ich habe mich gefragt, warum ich mir, warum wir uns so etwas ins Leben gezogen haben, warum stehen wir dazu in Resonanz? All die Monate vor der Räumung war ich so beschäftigt gewesen, daß mir der Abstand zu meinem Tun gefehlt hat, um es zu durchdringen, was ich da eigentlich tue. Die Räumung hat mich angehalten und auch dafür bin ich dankbar. Ich habe für mich Antwort gefunden. Sie lautet nicht „Die böse BRD ist schuld daran, daß wir geräumt wurden.“. Sie liegt fern von Schuldzuweisungen. Jedenfalls habe ich mein Handeln angepasst. Meine Antwort muss nicht Deine sein. Und die Antworten der Gemeinschaft oder Peters werden wieder andere sein.
Worauf ich hinaus wollte: Ich kann es nur jedem empfehlen, dann und wann innezuhalten und sich selbst anzusehen. Gerade der Herbst scheint mir durch seine Qualität dafür überaus geeignet. Im Herbst können wir die Früchte unseres Seins ernten, beschauen und annehmen, bevor der Winter einen Neuanfang vorbereitet.
Für mich stellt sich übrigens die Frage nach der Gesetzes- oder Rechtmäßigkeit nicht. Mich interessiert nicht, ob jemand anderes, das, was mir, was uns widerfahren ist, als gerecht bewertet. Ob sich Gesetze dazu finden lassen.
Die Räumung war gewaltvoll und das ist für mich, was wichtig ist. Die Frage, die ich mir also stelle ist vielmehr: „Warum diese Drastik, wozu wurde das jetzt auf verschiedenen Ebenen „gebraucht“?“ Ein kleiner Trost am Ende: Ein Knoten muss, bevor er reißt, erst einmal unter meist extreme Spannung geraten. Ich habe das Gefühl, daß sich gerade sehr viel löst und Raum für Neues entsteht. Es ist eine Zeit, in der jeder sich von seinen alten Illusionen verabschieden darf (Und nein, auch dieses Mal meine ich nicht das, was uns das alte System vorgibt, sondern eher wie wir uns selbst darin deuten.).
In unserer Gemeinschaft ist so zum Beispiel gerade sehr viel Bewegung. Und auch in den Gemeinwohl-Strukturen ist frischer Wind eingekehrt …
… Bis dahin
In Liebe
Charlotte
PS: Hat Dir diese mal etwas andere Art des Blogs gefallen? Dann gib dazu gern ein kurzes Feedback, an
[email protected], damit ich weiß, ob Texte dieser Art in Zukunft weiter gewünscht würden oder kein Bedarf besteht. Gern auch weitere Anregungen zur Öffentlichkeitsarbeit. Danke!