Meines Wissens wurde Schalck-Golodkowski nach einem Militärgesetz verurteilt. Dies war aber zu dem Zeitpunkt schon deutsches Recht, es war ein deutsches Gericht und die DDR war ein Sonderfall, da nie als Staat von der Bundesrepublik anerkannt.
Unsere Diskussion ist ja schon ein paar Tage her. Aber das Argument, dass die Verurteilung von Schalck-Golodkowski der Beweis dafür ist, dass alle Gesetze der Militärregierung noch gelten, wird ja seitens unserer Kundschaft immer noch regelmäßig aufgewärmt. Falls das also noch jemand interessiert:
Das Gesetz der Militärregierung Nr. 53 (Devisenbewirtschaftung und Kontrolle des Außenhandels), kurz MRG 53, stellte u.a. vorsichtshalber erst einmal nahezu jede wirtschaftliche Betätigung, die ins Gebiet außerhalb der Besatzungszonen hineinreichte (Ein- und Ausfuhr) unter den Vorbehalt alliierter Genehmigung. Auch innerhalb der Besatzungszonen war am Anfang ziemlich viel erlaubnispflichtig. Wenn man ohne die Genehmigung etwas ein- oder ausführte, gab es strafrechtlich was auf die Finger. Die Genehmigungspflicht wurde im weiteren Verlauf nach und nach gelockert.
Dann gab es den Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (volkstümlich: Überleitungsvertrag) vom 30.03.1955 (BGBl. II S.405) zwischen Deutschland und den Westalliierten. Dort wurde im Ersten Teil in Artikel 1 Abs.1 Satz 2 angeordnet, dass Teile des MRG 53 im Bundesgebiet für den Außenhandel weiter gelten, u.a. die Regelungen zur Genehmigungspflicht für bestimmte Ausfuhrgeschäfte. Dieser Vertrag wurde durch das Gesetz betreffend das Protokoll vom 30. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland vom 24. März 1954 (BGBl. II S.213) genehmigt. Die Teile des MRG 53 wurde hierdurch in das Bundesrecht übernommen. Jedwede Beschränkung innerhalb des Bundesgebietes war spätestens jetzt aufgehoben. Die noch erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen wurden nunmehr durch das Bundesausfuhramt, zuletzt ansässig in Eschborn, erteilt. Inzwischen nennt sich die Behörde Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.
Der Außenhandel wurde vor dem Hintergrund der EWG und anderer internationaler Beziehungen mehr und mehr liberalisiert. Hiervon ausgenommen war der Außenhandel mit dem SW (DDR-Abkürzung für sozialistisches Wirtschaftsgebiet) und natürlich mit der DDR selbst. Denn während die DDR mitsamt den dortigen Brüdern und Schwestern für den Westen ansonsten immer noch urdeutsch und kein Ausland war, galt das für den Handel mit der DDR nicht. Die DDR wurde zumindest als Gebiet definiert, in welches man bestimmte Waren ebenfalls nur mit amtlicher Genehmigung aus der Bundesrepublik Deutschland ausführen durfte. Speziell Computer, Computerbauteile und Zubehör waren dort ab einem bestimmten technischen Standard (der knapp oberhalb des Commodore C 64-Computers anfing, falls den noch jemand kennt) genehmigungspflichtig.
Alexander Schalck-Golodkowski hat nun zwischen 1985 und 1989 (alles davor war verjährt) in zweierlei Hinsicht gegen das MRG 53 verstoßen:
1. Für das Politbüro, insbesondere für die Wandlitz-Siedlung, beschaffte er allerlei Luxuswaren im Westen, zumindest für die DDR war das Luxus, im Westen bestenfalls gehobenes Niveau. Das war eigentlich nahezu alles ziemlich harmloses Zeugs, z.B. teure Badarmaturen von Grohe, und - das Highlight für alle Ermittler - der (Soft-) Porno "Die schwarze Nymphomanin" als Videokassette. Für alle diese Waren hätte man wahrscheinlich problemlos eine Genehmigung bekommen (selbst der Porno war kein nach §§ 184 ff. StGB verbotener Schweinkram), aber wie hätte das - vor allem in der DDR - ausgesehen, wenn dort ruchbar geworden wäre, dass die Politprominenz es sich mit Westwaren gut gehen lässt. Also wurde illegal beschafft, wodurch nebenbei auch noch DDR-Haushaltsrecht verletzt wurde, denn diese Ausgaben von Westdevisen standen ja in keinem Fünfjahresplan). Wie gesagt, eher ein formaler Verstoß wegen der fehlenden Genehmigung. Aber das brachte Herrn Schalck-Golodkowski eine Bewährungsstrafe (wenngleich ohne jede Geld- oder Arbeitsauflage) ein.
2. Auf dem XI. Parteitag der SED (1986) wurde beschlossen, dass die DDR ab sofort führend im Bereich der Mikroelektronik war. Das wurde dann mit aller Kraft, aber nur mäßigem Erfolg vorangetrieben. Irgendwann konnte der VEB Robotron Sömmerda dann endlich den ersten Original-DDR-Deskcomputer (etwas kleiner als ein Kühlschrank und mit Schwarzweiß-Monitor) stolz der Öffentlichkeit präsentieren. Was nicht erwähnt wurde: Selbst dieser bescheidene Fortschritt war nur möglich, weil man in großem Umfang Computertechnologie und -bauteile, z.B. Leiterplatten, im Westen beschafft hatte, natürlich illegal und ohne Ausfuhrgenehmigung (die in diesem Fall auch niemals erteilt worden wäre). Wieder gab es für Herrn Schalck-Golodkowski, der den illegalen Technologietransfer gemanagt hat, am Ende eine Bewährungsstrafe ohne Auflagen (na ja, vielleicht die übliche Meldeauflage). Ganz nebenbei trieben die Ermittler damals mindestens 20 Mio. DM hinterzogene Steuern ein, denn bei den Lieferanten im Westen gingen diese Geschäfte ja auch nicht über die Bücher (ein wirtschaftliches Erfolgsmodell, das später u.a. von einem gewissen König in Wittenberg übernommen wurde). Immerhin stellte sich Schalck-Golodkowski damals trotz schwerer Krankheit dem Strafverfahren und flüchtete sich - anders als Erich Mielke - nicht in die Verhandlungsunfähigkeit.
Rechtlich gesehen war Herr Schalck-Golodkowski Mittäter der im Bundesgebiet ansässigen Lieferanten. Die Bezahlung der westlichen Lieferanten - natürlich mit Westdevisen in bar - war ein im Bundesgebiet begangener Tatbeitrag. Jedenfalls gab es am Ende kein Problem, Herrn Schalck-Golodkowski trotz seiner DDR-Staatszugehörigkeit zu verurteilen. Das verurteilende Gericht war tatsächlich ein deutsches, nämlich das Landgericht Berlin. Beide Verurteilungen sind rechtskräftig.