Die Sächsische Zeitung versuchte sich ausgerechnet zum Heiligabend 2016 an einer Bestandsaufnahme der Reichsdeppen in Ostsachsen. Abgesehen von den Verwaltungen einzelner Ortschaften hatten die Behörden, die unter der Id!otie am meisten leiden, immer noch keinen Überblick.
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Reichsbürger unter uns
Zahlreiche Einwohner im Landkreis Görlitz bestreiten die Existenz der Bundesrepublik, lehnen Ausweis und Steuern ab. Und pöbeln auf Ämtern.
Von Constanze Junghanss, Sabine Ohlenbusch und Sebastian Beutler
Als die Polizei Anfang September nach Oderwitz eilt, weiß sie nur etwas von einer Geiselnahme. Tatsächlich verbarrikadierte sich ein 60-jähriger Mann im Haus, ließ seinen 86-jährigen Vater nicht gehen und drohte mit einer Waffe. Der Mann gibt auf, ehe ein Spezialeinsatzkommando der Polizei das Haus stürmt. Bei seiner Festnahme bezeichnet er sich gegenüber den Beamten als „Reichsbürger“.
Der Oderwitzer steht nicht allein. Polizeieinsätze gegen Reichsbürger sind auch aus den Landkreisen Bautzen und Meißen bekannt. Bislang ist die Szene im Landkreis Görlitz nicht durch besonders schwere Straftaten aufgefallen. Aber die Behörden haben gar nicht so selten mit Leuten zu tun, die die Bundesrepublik nicht anerkennen, sondern behaupten, das Deutsche Reich bestehe fort. In der Reichsbürgerbewegung tummeln sich Verschwörungstheoretiker, Spinner, Querulanten, aber auch Rechtsextreme und Waffennarren. Der Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes, Carlo Weber, äußerte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dass „ein nationalistisch-revisionistisches, rassistisches, den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung ablehnendes und in Teilen gewaltbefürwortendes Gedankengut“ für diese Gruppe kennzeichnend sei.
Lange Zeit wurden sie nicht wirklich ernst genommen. Noch im Juli schätzte das Bundesinnenministerium ein, dass die „unstrukturierte, zersplitterte Reichsbürgerszene“ bislang „keine konkrete Gefahr“ für die öffentliche Ordnung und das Zusammenleben in Deutschland darstelle. Spätestens seit dem 19. Oktober ist das anders. Damals erschoss ein „Reichsbürger“ im bayerischen Georgensmünd einen Polizisten.
Seitdem laufen bei den Sicherheitsbehörden hektische Bemühungen, sich einen Überblick über die Reichsbürgerszene zu machen. Am Dienstag erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), dass Reichsbürger künftig bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollten. Dazu benötigen die Experten nun Klarheit über die Szene. Das ist gar nicht so einfach. So weiß zwar die Görlitzer Polizei von einzelnen Straftaten mit Beteiligung sogenannter Reichsbürger. „Gesonderte Statistiken zu Aktivitäten von ,Reichsbürgern‘ werden in den Behörden des Freistaates Sachsen nicht geführt“, räumt Polizeisprecher Thomas Knaup ein.
Auch eine SZ-Umfrage ergab keine genauen Zahlen, da auch die Kreis-, Stadt- und Gemeindeverwaltungen keine Statistik über selbst erklärte Anhänger dieser Szene führen. Über Erfahrungen mit ihnen äußern sich aber fast alle angefragten Ämter. So berichtet das Görlitzer Einwohnermeldeamt von Fantasiedokumenten, die die Mitarbeiter vorgelegt bekommen. In der Kämmerei weigern sie sich, Steuern oder Bußgelder zu bezahlen. Auch rühren sich die „Reichsbürger“ nicht, wenn ihr Ausweis abgelaufen ist. Dabei herrscht in Deutschland Ausweispflicht. Wer sie umgeht, dem droht ein Bußgeld. Wird der Personalausweis zerstört, kann gegebenenfalls Strafantrag wegen Sachbeschädigung gestellt werden, da Ausweisdokumente Eigentum der Bundesrepublik sind.
So ist das Problem mittlerweile auch bei der Bußgeldstelle des Landkreises gut bekannt. Tendenz steigend. Hier landen Ausweisverweigerer, die den Staat nicht anerkennen. „Kollegen werden beschimpft, es werden Fantasieschreiben eingereicht“, erklärt Kreis-Sprecherin Marina Michel. Zwar versuchten die Meldeämter, die selbst ernannten Reichsbürger und Ausweisverweigerer auf die von ihnen verursachte Ordnungswidrigkeit hinzuweisen. „Empfohlen wird allerdings, sich auf keine Diskussion einzulassen und nur pauschal zu antworten“, so Marina Michel.
Auch Löbau muss sich mit „Reichsbürgern“ auseinander setzen. Das bestätigt die Stadtverwaltung. Bußgelder wurden bereits verhängt. Dem Rathaus sind derzeit in der Verwaltungsgemeinschaft zwölf Personen bekannt, die den Personalausweis verweigern und vermutlich der Szene zugeordnet werden können. Fünf Personen sind das in Lawalde und zwei in Großschweidnitz. Allerdings könne auch nicht ganz genau gesagt werden, ob diese Zahlen vielleicht höher liegen.
Denn wer seinen Ausweis entsorgt, bevor er abgelaufen ist und sich bei den Behörden nicht meldet, kann nicht erfasst werden. Immer mal wieder landen zudem „eigenartig beklebte“ Widersprüche gegen Behördenschreiben auf den Tischen der Verwaltung. Und auch mit hartnäckigen Telefonanrufen müssen sich die Mitarbeiter ab und an auseinander setzen. In Bernstadt wiederum sind bereits seit rund 13 Jahren zwei Reichsbürger bekannt. Diese verweigern seither ihren Ausweis, greifen aber auf einen Ersatz zurück: Sie holen sich jährlich einen neuen Reisepass. Großen Ärger habe es mit beiden bisher nicht gegeben. Etwa zehn Personen sind in Zittau und den Ortsteilen bekannt, die sich wohl der Reichsbürgerszene zugehörig fühlen. Zumindest weiß das Rathaus beispielsweise von entsprechenden Versuchen, selbst ausgestellte Personaldokumente beglaubigen zu lassen. Diese sind dann natürlich nicht gültig. Allerdings: „Keine der betreffenden Personen hat sich selbst als Reichsbürger bezeichnet“, so Sprecher Kai Grebasch. Es gebe aber auch „Staatenlose“, die ähnliche Verhaltensmuster an den Tag legten.
In Görlitz, bestätigt Sprecherin Sylvia Otto, wurden auch bereits Strafanträge gestellt - wegen Beleidigungen, Drohungen und in einem Fall auch Körperverletzung. Das bestätigt auch die Görlitzer Staatsanwaltschaft. Die Verfahren werden jedoch auch hier nicht im Einzelnen erfasst, teilt Pressesprecher Till Neumann mit. Jedoch sei zu beobachten, dass „sich die Taten überwiegend auf Beleidigungsdelikte, Straftaten der versuchten Nötigung oder Erpressung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte beschränken“. Selbst ein Fall der Insolvenzverschleppung sei dabei. Doch einen Überblick sucht man hier wie überall bei den Behörden vergebens.