Letzte Woche hat einer von Rüdigers Zombies (wohl der, der in Zukunft in Konstanz wahnmachen soll), einen verzweifelten Hilferuf zwecks rechtlichem Beistand und "Prozessbeobachter" gepostet.
Eine/r unserer Agenten/Agentinnen war vor Ort und berichtet von der Gerichtsverhandlung.
Spoiler
Prozessbericht zur Verhandlung von Martin Rieder gegen das Jobcenter am 18.12.2017 vor dem Sozialgericht Konstanz.
Es wurden insgesamt drei Klagen verhandelt: Eine vollständige Leistungseinstellung für einen gewissen Zeitraum und zwei Leistungskürzungen in diesem Jahr.
Martin ist 35 Jahre alt, arbeitslos und hat sogar einen Beistand, um den er auf Facebook gebeten hatte, mitgebracht. Viel zu sagen hatte dieser Typ allerdings nicht. Insgesamt blieb die Verhandlung ziemlich ruhig und locker.
Zuerst wurde die Sache mit der Leistungseinstellung verhandelt. Der gute Martin war nämlich vom 30.05. bis zum 02.08.2017 im Gefängnis. Weswegen, wurde nicht erwähnt. Für diese Zeit entfiel der Leistungsanspruch und es wurde folglich kein Geld gezahlt. Warum sollte der Staat auch doppelt für Unterkunft und Versorgung zahlen? So weit denkt Martin aber nicht und verlangt für diese Zeit trotzdem Geld. Hierfür hat sogar extra seine Mutter für ihn Klage eingereicht, als er im Knast saß. Viel gesagt hat Martin dazu nicht, außer dass er an der Klage festhält und Geld für den entsprechenden Zeitraum haben will. Der Punkt war also ziemlich schnell abgehakt. Martin sollte sich dann nur noch entscheiden, ob er die Klage zurücknehmen oder ein Urteil haben will. Er wolle sich das noch offenhalten.
Als nächstes waren die Leistungskürzungen dran, welche schon im April dieses Jahres begannen. Martin weigert sich nämlich, mitzuarbeiten. So hat er die Eingliederungsvereinbarung nicht unterschrieben, woraufhin ein Eingliederungsverwaltungsakt erging, der ihm vorschrieb, was er zu tun hatte. Unter anderem war darin geregelt, wo er sich auf jeden Fall bewerben sollte, wie viele Bewerbungen er abschicken muss und was sonst noch die Maßnahme betrifft. Martin könne aber gar nicht mehr arbeiten gehen, noch nicht mal drei Stunden am Tag, weil er sich um seine pflegebedürftige Mutter kümmern müsse. Diese ist 68 Jahre alt, hat Pflegegrad 2 (bis vor kurzem noch Pflegegrad 1) und benötigt seiner Meinung nach zehn Stunden Pflege pro Tag. Das gehe aus einem ärztlichen Befund hervor. Die Mutter habe Schwierigkeiten beim Gehen und brauche dabei Hilfe. Allerdings stand auch darin, dass sie sich mit Unterarmschienen durchaus allein fortbewegen kann. Außerdem habe sie Arthrose (ich hoffe inständig, dass ich mir das richtig gemerkt und nicht mit Arthritis durcheinandergebracht habe) und eine verminderte Kraft in den Händen. Dadurch brauche sie auch Hilfe bei der Körperpflege und bei der Zubereitung von Nahrung. Ihren Alltag könne sie aber selbst gestalten und sich auch sonst selbst beschäftigen. Martin stellte aber schnell klar, dass die Mutter das ja nur dank ihm könne. Da anscheinend psychisch gesehen alles in Ordnung sei und aus dem Befund nichts weiter hervorgehe, fragte die Richterin nach, ob die Mutter denn dement sei. Es könne sein, dass es so langsam anfängt.
An sich ist es durchaus möglich, dass Arbeit dann nicht zumutbar ist, wenn deren Ausübung mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar wäre, § 10 I Nr. 4 SGB II. Allerdings muss dann auch aus einem Gutachten hervorgehen, dass die Pflege in dem Ausmaß erforderlich ist, dass derjenige nicht arbeiten gehen kann, und dass sie nicht durch Dritte sichergestellt werden kann. Also im Klartext heißt das, dass Martin beweisen muss, dass seine Mutter wirklich zehn Stunden Pflege pro Tag braucht und nur er dies erfüllen kann. Die Richterin wies aber darauf hin, dass sie nur aufgrund des Befundes nicht genau sagen kann, dass die Pflege wirklich erforderlich ist, zumal es sich „nur“ um Pflegegrad 2 handelt und die Mutter an sich wohl zurecht kommt. Außerdem gebe es ja Pflegedienste, insbesondere Essen auf Rädern, wenn sie sich das Essen nicht selbst zubereiten könne. Zudem sei fraglich, ob die zehn Stunden notwendig seien. Es sei zwar nachvollziehbar, dass Angehörige mehr machen als nötig, aber für die Beurteilung sei nur die erforderliche Zeit maßgeblich. Dass ausschließlich Martin seine Mutter pflegen könne, erklärte er damit, dass sie keine Fremden an sich heranlasse. Bei Demenzkranken ist das durchaus ein Grund, der berücksichtigt wird. Der reine Wille reicht allerdings nicht aus. Also wird sich die Mutter wohl oder übel mit Fremden abfinden müssen, sofern sie nicht dement ist. Sollte Martin es schaffen, als Pflegeperson anerkannt zu werden, könne er außerdem Rentenzeiten dafür bekommen. Hierbei wurde er sofort hellhörig. Dass der Beweis, den er zu erbringen hat, aber ziemlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein dürfte, blendete er in diesem Moment wohl aus.
Martin wurde außerdem gefragt, wo er sich denn in Zukunft sehe. Das wisse er nicht, jetzt käme erst mal seine Mutter dran. Daraufhin wurde ihm erklärt, dass er sich ja durchaus auch nur eine Teilzeitbeschäftigung suchen könne. So könne er auch seine Mutter pflegen, um die sich während der Arbeit der Pflegedienst kümmere. Das Jobcenter wäre damit sogar einverstanden gewesen. Martin hätte damit ja immerhin einen Mitwirkungswillen gezeigt, auch wenn er wahrscheinlich immer noch Leistungen beziehen würde. Nur das komplette Untätigbleiben und Weigern sei inakzeptabel. Außerdem sei er mit seinen 35 Jahren doch noch sehr jung und man könne ihm wohl kaum die nächsten 30 Jahre finanzieren, ohne dass er irgendwie mitwirke. Das Geld komme schließlich aus Steuern, also von Menschen, die arbeiten gehen. Das schien ihn aber irgendwie wenig bis gar nicht zu interessieren.
Kommen wir zurück zum Eingliederungs-VA. Irgendwann hat Martin sich doch dazu entschieden, Bewerbungen zu schreiben – also zumindest das, was er für eine Bewerbung hält. Die Richterin stellte klar, dass eine Bewerbung nur dann als solche gewertet wird, wenn sie ernsthaft darauf abzielt, ein Arbeitsverhältnis zu begründen. Seine Schreiben würden aber das genaue Gegenteil machen: Darauf abzielen, dass bloß kein Arbeitsverhältnis zustande kommt. Martin fühlt sich nämlich vom Jobcenter gemobbt und lässt sich darüber in seinen „Bewerbungen“ aus. So scheint er unter anderem geschrieben zu haben, dass er sich nur deshalb bewerbe, weil das Jobcenter ihn dazu zwinge. Mit solchen Formulierungen macht man sich beim Arbeitgeber sicher total beliebt. Seiner Pflicht, sich zu bewerben, ist Martin damit jedenfalls nicht nachgekommen. Aber das Systemmobbing geht noch weiter! Das Jobcenter hat sich nämlich nach § 233 StGB strafbar gemacht. Hier ein Auszug des Gesetzestextes:
„Ausbeutung der Arbeitskraft
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, […] ausbeutet [...]“
Ich glaube, selbst als Nicht-Jurist erkennt man, dass dieser Straftatbestand nicht passt. Er gehört übrigens zu den Vorschriften zum Menschenhandel. Zunächst einmal scheint es die beiden nicht zu stören, dass da „Person“ steht und nicht „Mensch“. (Ich weiß aber auch nicht, wie weit sie in der Reichsbürgerszene drinstecken, denn die beiden, wie man später merken wird, scheinen das Grundgesetz anzuerkennen.) Martin sieht sich demnach in einer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage, die vom Jobcenter ausgenutzt wird, das ihn ausbeutet, indem es ihn zwingt, sich Arbeit zu suchen – oder so ähnlich. Oder aber er fühlt sich einfach hilflos (was ich mir durchaus vorstellen kann, auch wenn es nicht der juristischen Definition entspricht) und Deutschland scheint für ihn ein fremdes Land zu sein. Oder beides. Genauer dargelegt hat er es leider nicht.
Zu allem Übel geht es Martin durch das Systemmobbing auch noch ganz schlecht. Er hat fünf Kilo an Gewicht verloren und wiegt statt der 57 kg nur noch 52 kg. Leider (oder doch zum Glück?) standen wir nie nah genug beieinander, so dass ich keine genauen Angaben zu seiner Größe machen kann. Besonders groß war er aber nicht. Er sah durchaus ein bisschen kränklich aus, so dass ich nicht ausschließen möchte, dass er ins Untergewicht hineingerutscht ist. Die Richterin wies aber darauf hin, dass ein Gutachten zu seinem jetzigen Gesundheitszustand nicht beweisen könne, dass er schon krank war, als die Kürzungen anfingen im April. Das sah er sogar irgendwie ein.
Zum Schluss meldete sich endlich der Beistand zu Wort. Es gäbe hier ja etliche Grundrechtsverletzungen, unter anderem Verstöße gegen Art. 12 GG. Das sei auch schon „in mannigfaltiger Weise erwiesen“ worden (O-Ton). Keine Ahnung, wo das erwiesen wurde. In dieser Verhandlung jedenfalls nicht. Quellen wurden auch keine genannt. Wahrscheinlich YouTube. Außerdem seien die Gerichte noch diverse Erklärungen schuldig. Eventuell wurde da Bezug genommen auf den Erörterungstermin oder diverse Schreiben ans Gericht. Außerdem müsse man ja erst mal von den Grundrechten ausgehen und könne dann auf die Ebene der einfachen Gesetze gehen, nicht umgekehrt. Die Ansicht des Sozialgerichts Gotha kam auch zur Sprache. Es ging also bei dem Geschwafel darum, ob die Sanktionen verfassungswidrig sind, was das Sozialgericht Gotha bejaht hat. Gut, man kann sich durchaus darüber streiten, ob wirklich alle Regelungen aus dem Hartz-IV-System verfassungskonform sind. Aber dass man eine Mitwirkungspflicht hat und sich wenigstens um Arbeit bemüht, ist ja eigentlich auch nicht verkehrt. Aber sei's drum! Die Eingliederungsvereinbarung sei auch nicht in Ordnung. Schließlich sei es ja eine Vereinbarung, d.h. man müsse auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Ansonsten sei es eine Vereinbarungsdiktatur. Dass bei Verweigerung der Unterschrift ein VA erlassen werde und überhaupt Menschen gezwungen und unter Druck gesetzt werden, sei Missbrauch von Hoheitsrechten. Der Jobcentermitarbeiter entgegnete dann nur, dass man die Leute ja irgendwie wieder in Arbeit bringen müsse und dass manche Menschen diesen Druck eben brauchen, wenn sie es nicht freiwillig machen. Zur Eingliederungsvereinbarung meinte die Richterin, dass es dazu bereits eine andere Verhandlung gab, in der festgelegt wurde, was in dieser Vereinbarung stehen darf. Es wurden sogar ein paar Punkte herausgenommen. Wenn er die Vereinbarung dann immer noch nicht unterschreibt, ergeht zu Recht ein Verwaltungsakt. Außerdem erklärte sie, dass sie keine Grundrechtsverletzungen erkenne und aus ihrer Sicht auch keine sonstigen Gesetzesverstöße vorlägen.
Zuletzt wurde Martin erneut gefragt, ob er ein Urteil haben oder die Klagen zurücknehmen möchte. Er ging anscheinend davon aus, dass er diese Entscheidung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag aufschieben kann, denn er sagte erneut, dass er sich das offenhalten möchte. Die Richterin machte ihm aber klar, dass damit bis zum Ende der Verhandlung gemeint war, heute alles verhandelt wird und dann Schluss ist. Er entschied sich schließlich für ein Urteil. Während der Beratung fragte Martin seinen Beistand, was er denn denke. Er sei sich unsicher. Ich wollte schon fragen, ob die ernsthaft glauben, dass die Sachen auch nur teilweise durchgehen, habe es dann aber doch sein gelassen. Zur Überraschung aller wurden alle Klagen abgewiesen. Ende der Verhandlung.
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