Gut, hier ein kurzer Bericht über den Termin heut morgen des Herrn Bahri vor dem AG Berlin.
Grund: Verhandelt wurde der Einspruch gegen einen Strafbefehl in Höhe von 600€ wegen versuchter Nötigung.
Ergebnis: Einstellung nach § 153 II StPO, Geringfügigkeit
Was war passiert?
Herr B. bemerkte während einer Fahrt mit seinem Wagen in Marzahn Probleme am Fahrzeug bzw. der Beleuchtung. Als er auf der linken Seite eine Tankstelle sah, steuerte er sie an um sich um die Sache zu kümmern. Dazu überfuhr er eine durchgezogene Fahrbahnmarkierung. Was die Polizisten hinter ihm bemerkten, also kontrollierten sie ihn.
Was nun genau geschah, lässt sich nicht mehr klären.
Die Hauptzeugin war dienstlich verhindert und ist nicht erschienen.
Die Erinnerung ihres Kollegen an den Vorfall war nicht sehr detailliert. Am Rande interessant: "...als er uns nach dem Dienstasuweis fragte, war mir klar: das müssen wir jetzt ganz klar durchziehen..."
Der Vorwurf lautete jedenfalls: Während sich die Kontrolle in die Länge zog, ua. weil Herr B. sich Dienstausweise (nicht: Amtsausweise) zeigen lassen wollte, Dienstnummern verlangte soll es mehrfach dazu gekommen sei, dass Herr B. auf die Androhung einer Ordnungswidrigkeit mit der Drohung einer Strafanzeige reagierte.
Daraufhin kam es neben der Owi (die dann eingestellt wurde; bei kooperativerem Verhalten hätte man es wohl eh mit einer mündlichen Verwarnung belassen) zur Anzeige wegen versuchter Nötigung und zum entsprechenden Strafbefehl. Gegen den legte Herr B. Einspruch ein, und der wurde heute verhandelt.
Nachdem ich seine facebook-Seite gesehen hatte und sah, dass sein Schriftsatz Inhalte von terragermania enthielt (es ist eine Art Gedicht mit dem Titel "Entsprechend der Vorlagepflicht nach § 99 VwGO, §§138, 139 ZPO, sowie gemäß §§ 16, 21 GVG und Art. 101 GG", das man mit entsprechender Grosszügigkeit als rechtsähnliche Ratschläge zur Lageverschlechterung ansehen könnte) erwartet ich... Nun, das könnt Ihr Euch denken...
Es kam anders.
Im Wartebereich gab es zwischen mir und den wohl zur Unterstützung anwesenden Leuten (insgesamt wurde das dann fünf) zu dem in solchen Situationen üblichen nebeneinander her reden. Interessant fand ich, dass Herr B. auf meine Einwände mit Nicken und scheinbar stiller Zustimmung reagierte. Und man stelle sich vor: Im Gerichtssaal benahm er sich so, wie sich in seiner Lage so ziemlich jeder ausser den "Reichsbürgern" verhält. Er verteidigte sich zwar selbst, vermied aber alle Spielchen, erinnerte sich natürlich an das Geschehene anders als im Tatvorwurf festgehalten...
Es gab verschiedene Versionen wer wem was gesagt hat usw. Ganz normal.
Aber es gab keinen Versuch, dem Gericht Legitmität abzusprechen oä. Kein Anzeichen für reichsbürgerliche Infektion. Null.
Im Gegenteil betonte er den Respekt vor Beamten ("Sowas würde ich nie gegenüber einem Polizisten sagen!") und seine Wertschätzung der Rechtsordnung der Bundesrepublik ("Ich komme aus dem Libanon, das Rechtssystem in Deutschland ist für mich ein Grund hier zu leben").
Ganz am Rand kam was von "falscher Verdächtigung", auch Datenschutzprobleme wollte er kurz thematisieren, was aber mit der Erinnerung des Richters, man verhandele den Nötigungsvorwurf und nur den Nötigungsvorwurf erfolgreich ins rechte richtige Gleis gelenkt wurde.
Überhaupt leitet der Richter die Verhandlung besonnen und geduldig, Herr B. gab, sieht man absoluten Kleinigkeiten ab die völlig im Rahmen blieben, keinen Grund einzugreifen. Bis in einer Zuschauerin, vielleicht aus Langweile, der Wunsch wuchs, kurz laut zu werden (zu dem Zeitpunkt war der für Herrn B. positive Ausgang absehbar..., wieder mal so ein Beispiel für absolutes Desinteresse am eigentlichen Verfahren und übergrosses Interesse an der eigenen Meinung dazu). Der Richter reagierte sofort konsequent und verwies sie des Saals.
Nach rappelkurzer Beratung mit der Anklage kam es zur Verfahrenseinstellung.
Ich war offen gesagt etwas verwundert.
Ging auf den Herrn B. zu und sagte ihm, dass ich eine völlig andere Erwartung zum Prozessverlauf hatte und positiv überrascht wurde von seinem Verzicht auf "reichsbürgerliche" Sperenzchen usw. Ich hätte nach dem Anblick seiner facebook-Seite nicht damit gerechnet usw.
Das wurde dann ein ganz interessanter Wortwechsel. In dessen Verlauf ich das Gefühl hatte, mit zwei Personen zu sprechen.
Der Herr B. fing erst an, in dem Rahmen zu bleiben, in dem er vor Gericht geblieben war. Aber das weichte dann auf. Er sei diplomatisch, habe mit einer Einstellung gerechnet, er sei Unternehmer und habe Respekt und Dankbarkeit für Land und Behörde. Polizisten könne man eh nicht nötigen, denn das seien keine Privatpersonen (was es nicht alles gibt...). Aber - wenn das Gericht sich anders verhalten hätte, dann hätte er sich schon entsprechend "gewehrt", und dann klang dann doch der Inhalt des oben erwähnen Gedichtes an und die Grundhaltung des "wenn Ihr so, dann ich so!", die im Tatvorwurf steckte. Nicht, ohne dass er sich von terragermania usw. dann wieder distanzierte.
Ein total gefestigter Reichsbürger würde anders reden (s.u.), da war eine seltsame Mischung, die für mich (ohne das en detail begründen zu wollen) wie ein Streben nach Anerkennung durch Autoritäten roch. Aber ich sah den Mann aus dem Tatvorwurf nicht vor mir, jemanden der Minuten damit verbringt Polizisten zu erklären, sie dürften ihn auf dem "Privatgelände" einer Tankstelle nicht kontrollieren usw. (so war es festgehalten). In relativ kurzer Zeit gab er mir einen Querschnitt seiner Meinungen zu ziemlich vielen Punkten; vom angebl. Mord des Sohnes einer Prozessbeobachterin bis zum Holocaust. Aber eigentlich recht reflektiert erzählt, ausgewogen, ruhig. Weder mit dem missionarischen Eifer beim Vertreten der eigenen Thesen, noch mit dem systematischen Weghören beim Zuhören. Durchaus Distanz zu Ideen und auch den Prozessbeobachtern. Inhaltlich zwischen "vernünftig" und "arg daneben", von einem Satz zum anderen und wieder zurück.
Ihm schien auch klar, dass die ganze Sache sich nie so entwickelt hätte, wenn er bei der Kontrolle einfach sofort kooperiert hätte (wobei er diesen Aspekt vor Gericht sowieso sehr runterspielte, was aber sein gutes Recht ist). Mündliche Verwarnung, das wärs gewesen.
Ein ziemlich seltsamer Fall, wie ich finde. Unüberzeugt von den typischen Ideen schien er nicht. Je mehr wir miteinander redeten, umso klarer wurde das. Dann kam eigentlich, was ich im Vorfeld erwartet hatte, da kam Gabriels "Geschäftsführerin", da kam die Finanzagentur, und wenn ich da länger geblieben wäre, wär wohl noch mehr gekommen.
Dass man damit aber vor Gericht keine Chance hat, schien ihm eben so klar.
Es gab dann natürlich noch Wortwechsel-Versuche mit den anderen "Beobachtern", aber das blieb im üblichen Rahmen.
Also ein mehr oder weniger unsystematisches Aneinander-vorbei-Reden, bei dem auf Gegenargumten mit einer völlig anderen Behauptung geantwortet wird.
Da diese Leute schon die Bedeutung von "Systematik" bei diesen Dingen nicht richtig einschätzen ist das natürlich ganz interessant zu sehen, wo die argumentativ falsch abbiegen. Aber das ist natürlich nicht vermittelbar. Wenn einfach etwas Falsches behauptet wird (Deutschland sei aus der UN ausgetreten), bleibt man dabei.
Aber was mich wirklich immer wieder erstaunt ist dann, wenn Leute (wie der "Wortführer" der Prozessbeobachter) den Art. 146 ins Spiel bringen, sich auf Nachfrage erinnern welche Rolle der in der Vereinigung und vor allem der Volkskammerwahl gespielt hat - und eigentlich auch verstehen, warum er dann nicht gestrichen wurde.
Und dann trotzdem freudig meinen, dass das GG keine Verfassung sei usw. Als sei persönliche Erinnerung und das, was man dann später überzeugend fand völlig voneinander getrennt. In verschiedenen Gehirnen abgelegt.
Ohne Kontakt miteinander.
Konfrontiert man mit Grossbritanniens Mangel einer geschriebenen Verfassung, wird kurz Grossbritannien die Staatlichkeit abgesprochen. Wegen Montevideo... Zu Schweden gibt es Schweigen usw. Da ist kein Durchkommen, weil da überhaupt kein Interesse am Sachgebiet ist. Nur das an exotischen Ideen und an der Bedeutung, die einem das Begreifen dieser Ideen zukommen lässt. Ihr kennt das. Ob der Verfahrensausgang- oder ablauf verstanden wurde, kann ich nicht sagen. Denn darüber wurde überhaupt nicht geredet. Wäre die Sache ungünstiger ausgegangen, wär das wahrscheinlich anders gewesen.
Aber - für diese Leute ist eine Niederlage vor Gericht mit Hilfe von Pseudo-Juristerei anscheinend interessanter als mit konservativerer Verteidigung zu siegen. Der funktionierende Rechtsstaat bietet keine Angriffsfläche, also ignoriert man das Ganze einfach und klagt über fehlende Rechtsstaatlichkeit...
Eine Sache fand ich aber interessant: Er sprach an, ob gerichtlich der Begriff "Reichsbürger" definiert sei.
Er stellte darauf ab, dass das beleidigend sei, man dann in die Nazi-Ecke geschoben würde uä. Ein Urteil, in dem der beleidigende Charakter der Bezeichnung festgestellt wurde, konnte er nicht nennen. Ich auch nicht.
Aber natürlich liegt hier vielleicht etwas zu Konkretisierendes, wenn es zu einer Art behördlichem Automatismus kommt, wo die Zugehörigkeit zu "Reichsbürgern" pauschal Massnahmen begründet.
Das ist aber eine andere Geschichte.
Von heute jedenfall bleiben zwiespältige Eindrücke.
Ich bekomme die Person B. des facebook-Profils mit der Person B. vor Gericht und der Person B. im Nachgespräch nicht ganz unter einen Hut.
Ach, ja:
Handy usw. konnte man mit in den Saal nehmen, falls da ein 201er sich draus entwickelt: keine Scheu, die Berliner Staatsanwaltschaft nimmt sich bestimmt Zeit dafür.