Und wer verteidigt die notorische Holocaustleugnerin wieder? Natürlich der Freund rechter Extremisten Nahrath. Und er zieht seine Spielchen ab.
Ursula Haverbeck leugnet seit Jahren den Holocaust, saß deshalb auch schon in Haft. Nun hat in Berlin ein Berufungsverfahren gegen sie begonnen – mit allen Mitteln versucht sie, das Offensichtliche abzuwenden.
Spoiler
Von Hannes Schrader, Berlin
Es ist Freitagvormittag, kurz nach zehn am Landgericht Berlin. Vor dem Saal B129 stehen mehrere erfahrene Gerichtsreporterinnen und eine Sprecherin des Gerichts.
»Das wievielte Verfahren ist das?«, fragt eine der Reporterinnen.
»Das weiß ich gar nicht«, sagt die Sprecherin.
»Ich glaube, seit 2004 hat man aufgehört, bundesweit zu zählen«, wirft eine der anderen Reporterinnen ein.
»Mit 93 nochmal anderthalb Jahre Haft«, sagt die erste.
»Nicht schlecht«, sagt die andere. »Da kann man ein Gnadengesuch stellen.«
»Das macht die nicht.«
Drinnen laufen die Vorbereitungen für die Verhandlung. Aus dem Saal schallt plötzlich blechern die Stimme der Angeklagten, offenbar aus einem Video: »Das ist die einzig mögliche Schlussfolgerung«, hört man sie sagen, »den Holocaust hat es –«, dann bricht das Video unvermittelt ab.
Die Frau, um die es an diesem Freitag geht, heißt Ursula Meta Hedwig Haverbeck-Wetzel. Aber das Wetzel, wird sie der Vorsitzenden Richterin später freundlich sagen, könne man weglassen.
Kurz nach einer Verurteilung stand sie wieder vor Gericht
Bekannt und berüchtigt ist Ursula Haverbeck dafür, dass sie seit Jahrzehnten den Holocaust leugnet. In der Neonazi-Szene ist sie eine Heldin, auf rechten Demos zeigen manche Teilnehmer Plakate, auf denen ihr Gesicht abgedruckt ist.
In Haverbecks Wikipedia-Eintrag gibt es ein Kapitel mit dem Titel »Strafverfahren«, mit Unterpunkten für die Jahre 2004, 2007, 2009, 2010, 2014, 2015, 2016, 2017, 2020. Meist geht es um Volksverhetzung.
Im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, behauptet Haverbeck, sei niemand in Gaskammern ermordet worden. Sie habe nie eine Antwort auf die Frage bekommen, »wo die sechs Millionen Juden vergast« wurden. Besucht hat sie das Lager nie.
Bis Ende 2020 hatte sie eine mehrjährige Haftstrafe in Bielefeld abgesessen, auch wegen Volksverhetzung. Knapp zwei Wochen später stand sie erneut vor Gericht. In Berlin.
An diesem Freitag geht es um zwei Berliner Urteile gegen sie, aus den Jahren 2017 und 2020. In beiden Fällen wurde Haverbeck wegen Volksverhetzung verurteilt, einmal zu sechs Monaten Gefängnis ohne Bewährung, einmal zu einem Jahr.
Gegen beide Urteile hat Haverbecks Anwalt Berufung eingelegt, gegen eines der beiden auch die Staatsanwaltschaft. Es ist ein Zeuge geladen, ein Reporter des NDR, der für die Sendung »Panorama« einen Beitrag über Haverbeck gemacht hat. Eigentlich soll die Sitzung zwei bis drei Stunden dauern.
Die Sprecherin des Gerichts geht eine Weile in den Saal, und kommt dann zurück: »Es geht frühestens um elf los«, sagt sie. »Es gibt Probleme mit dem 3G-Nachweis.« Haverbeck ist also entweder nicht gegen das Coronavirus geimpft, oder sie will oder kann ihren Nachweis nicht vorzeigen. Sie muss einen Test machen, das dauert.
Um kurz nach elf geht es schließlich los, alle werden in den Saal gebeten. Ursula Haverbeck ist Jahrgang 1928, aber sie hat einen wachen Blick, trägt ein elegantes blaues Kleid mit großem, weißen Kragen. Ein Bein hat sie über das andere geschlagen.
Auf dem einen Platz neben ihr sitzt ihr Anwalt, Wolfgang Nahrath, ein bekannter Szeneanwalt, er hat auch schon Ralf Wohlleben im NSU-Prozess verteidigt und mal einen neonazistischen Jugendbund geführt.
Auf dem anderen Platz neben Haverbeck sitzt ein Mann, den das Gericht später als ihren »Betreuer« vorstellen wird. Er trägt die grauen Haare kurz geschnitten, Nadelstreifenanzug, die Krawatte Schwarz-Weiß-Rot gestreift, die Farben der Flagge des Kaiserreichs und der Nationalsozialisten.
Kaum hat die Verhandlung begonnen, stellt Haverbecks Anwalt den Antrag, keine Maske tragen zu müssen. Haverbeck selbst trägt auch keine Maske, sie könne darunter schlecht atmen, sagt sie. Ihr Anwalt sagt, er habe dasselbe Problem. Weil er seine angeblichen gesundheitlichen Einschränkungen nicht vor Publikum besprechen möchte, unterbricht die Richterin nach nur wenigen Minuten die Verhandlung.
»Laaaangweilig«, ruft einer der Zuschauer. Die Richterin belehrt ihn.
»Mir in der BRD diese Frage zu stellen, hätte eigentlich eine Backpfeife verdient«
Alle müssen den Saal verlassen, auch Haverbecks Betreuer. Vor den Reporterinnen und Reportern tigert er nun den Flur auf und ab.
»Wie stehen Sie denn so zum Holocaust?«, fragt der Reporter.
»Mir in der BRD diese Frage zu stellen, hätte eigentlich eine Backpfeife verdient«, sagt er.
Nach etwa 20 Minuten Pause werden alle wieder in den Saal gebeten. Haverbecks Anwalt hat einen Punktsieg erzielt: Er muss keine Maske mehr tragen und lächelt zufrieden.
Die Richterin verliest Ausschnitte der beiden Urteile, gegen die Berufung eingelegt wurde. Im einen Fall hatte Haverbeck in einem Berliner Lokal bei einer Veranstaltung vor etwa 80 Zuhörenden den Holocaust geleugnet, im anderen Fall hatte sie sich von dem Neonazi-YouTuber Nikolai N., der als »Der Volkslehrer« auftrat, interviewen lassen. Auch dort leugnete sie den Holocaust, wie die Richterin vorträgt. Sie habe gewusst, dass das Gespräch veröffentlicht werde, zitiert sie aus dem Urteil.
»Ich wusste das überhaupt nicht«, unterbricht Haverbeck die Richterin.
»Jetzt bin ich erstmal dran, Frau Haverbeck«, sagt die Richterin.
Haverbeck hat schon im Ursprungsprozess argumentiert, sie habe nicht gewusst, dass das Interview veröffentlicht werde. Das Gericht sah das damals anders. Unter anderem sagte der Moderator, »viele« würden das Video sehen.
Angesichts der Vorwürfe gegen Haverbeck und ihres Verhaltens wird sie wohl auch dieses Berufungsverfahren verlieren. Aber, und das ist wohl Sinn und Zweck der Manöver ihres Anwalts, sie wird eben sehr langsam verlieren.
Erneut unterbricht Haverbeck die Richterin. Sie trägt einen Kopfhörer, die Richterin hält ein Mikrofon in der Hand, zusätzlich zum Saalmikrofon, weil Haverbeck angeblich schlecht hört. Haverbeck nimmt den Kopfhörer aber immer mal wieder ab.
»Wenn Sie das Mikro zu weit weg halten, höre ich Sie nicht durch den Kopfhörer, aber wenn Sie es zu nah halten, dann dröhnt es mir im Ohr«, sagt Haverbeck.
Die Richterin hält das Mikro vor sich und spricht: »Können Sie mich so gut verstehen?«
»Nein, das ist zu leise.«
Die Richterin nimmt das Mikro näher vor den Mund. »Können Sie mich so gut verstehen?«, fragt sie, etwas lauter.
»Ja, so ist es gut.«
Die Angeklagte sei übermüdet, sagt ihr Anwalt
Nach dem Zitieren aus den Urteilen unterrichtet die Richterin Haverbeck über ihre Rechte, dass Sie das Recht habe, zu Schweigen, aber auch das Recht, sich zu äußern. Ihr Anwalt gibt zu erkennen, dass sie sich äußern wolle. Vorher müsse er sich aber mit seiner Mandantin austauschen. Weil Haverbeck schlecht höre und laut spreche, müsse dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschehen.
Die Richterin unterbricht daher die Verhandlung, es soll zehn Minuten Pause geben. Inzwischen ist es kurz vor zwölf. Aus den zehn Minuten werden knapp 30. Danach können alle wieder in den Saal.
Erneut meldet sich Haverbecks Anwalt. »Meine Mandantin ist übermüdet«, sagt er. Außerdem habe sie nicht verstanden, worum es in dem Prozess eigentlich gehe. Er habe große Schwierigkeiten gehabt, ihr das zu erklären. »Ich beantrage, den heutigen Prozesstag zu beenden, meine Mandantin sieht sich nicht in der Lage, dem Prozess zu folgen«, sagt er.
Haverbeck blickt derweil mit ihren wachen, großen Augen durch den Saal und wippt mit dem Bein.
Die Richterin bittet den geladenen Zeugen, den Journalisten des NDR, in den Saal. Er ist aus Hamburg angereist. Ob er auch am Montag Zeit habe, fragt sie ihn. Hat er.
Die Richterin entscheidet: Die Verhandlung soll am Montag fortgeführt werden. »Frau Haverbeck, ich weise Sie noch darauf hin, dass auch am Montag die 3G-Regel gilt und bitte Sie daher, schon getestet zur Verhandlung zu kommen«, sagt sie. Haverbeck schaut sie an.
Ihr Anwalt sagt, er werde sich bemühen, dafür zu sorgen.