Auf meine Frage, warum denn in den USA niemals das Volk über die Verfassung abgestimmt hat [...]
Ich darf dazu eine kleine Bemerkung machen. Deine Aussage ist korrekt, das amerikanische Volk hat nie direkt über die derzeit geltende Verfassung abgestimmt (im Sinne von: alle gehen zur Urne, stimmen Ja oder Nein und die Mehrheit entscheidet).
Allerdings gibt es zum verfassunggebenden Prozess in Deutschland einen kleinen Unterschied. Das GG wurde vom Parlamentarischen Rat beschlossen und von den Landtagen der Westzone angenommen (die Fußnote mit Bayern spare ich mir). Die Landtage waren zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes bereits gewählt. Ein Wähler, der 1946 zur Landtagswahl ging, wusste also noch nicht, ob die Partei X, die er in den Landtag wählen wollte, später pro oder contra GG sein würde, weil es ja noch keinen Entwurf für das GG gab. Das ändert aber natürlich nichts daran, dass die Landtage für die deutschen Ländern entschieden haben, dass sie Teil der Bundesrepublik sein wollen.
Die heute geltende US-Verfassung hingegen wurde von den Einzelstaaten in einem speziellen Prozess ratifiziert. Hierfür wurde in jedem Einzelstaat (!) getrennt (!) eine sogenannte
ratifying convention gewählt, ein Parlament
nur für diesen Zweck, nämlich zu beschließen, ob man die neue Verfassung will oder nicht. Dafür wurde
zuerst der Verfassungsentwurf veröffentlicht und
dann wurden die conventions gewählt. Wenn man also Bürger von Virginia war und die Verfassung nicht wollte, konnte man entsprechende Vertreter in die convention wählen, die dann mit Nein stimmen konnten. Tatsächlich haben dies auch einige getan. Einen (englischsprachigen) Überblick findet sich bei
Wikipedia.
Das bedeutet natürlich nicht, dass das Grundgesetz nicht gilt (oder ähnlichen Quatsch). Ich finde nur, dass der Unterschied eine Anmerkung wert ist. Dass bei den
conventions natürlich auch nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen war (Bestechung, Stimmkauf, Manipulation, Einschüchterung etc.) ist auch geschenkt. Aber die Idee, bei einer Verfassungsgebung das Volk zumindest indirekt zu beteiligen,
nachdem der Verfassungsentwurf öffentlich ist, ist nochmal eine andere als die bei der Inkraftsetzung des GG.