Autor Thema: staatenlos.info in Dresden  (Gelesen 2857 mal)

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Offline Preiselbauer

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staatenlos.info in Dresden
« am: 25. Juni 2015, 01:23:19 »
Da habe ich mir doch letzten Montag in Dresden Pegida angeschaut, und was sehe ich da auf dem Theaterplatz rumstehen? Staatenlos.info, Abteilung Sachsen. (Die hatten aber nichts mit Pegida zu tun!)

Na den Spaß habe ich mir gegönnt und ein bissel mit denen diskutiert. Es lief immer auf den selben Schmarrn raus. Was ist das für eine Verfassung, in der Besatzungskosten (Artikel 120) stehen? Und außerdem ist es ja keine Verfassung, weil es ist ja Grundgesetz. Auf meine Frage, warum denn in den USA niemals das Volk über die Verfassung abgestimmt hat und warum die Verfassung Dänemarks "Grundgesetz" heißt, kam nur "Das interessiert mich nicht, wie kehren erst mal vor der eigenen Tür."

Ich hab sie ein bissel mit Zitaten aus Meyers Großes Konversationslexikon von 1907, und dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm belegt, aber das haben sie offensichtlich nicht verstanden oder hielten es für irrelevant.

Das Deutschland eine Firma ist, sieht man ja, wenn man in das Grundgesetz schaut, denn da steht ja was von Rechtsnachfolger von vereinigten Wirtschaftsgebiet (Artikel 133).

Und natürlich das übliche "Wo ist denn das Land 'deutsch'"? Auf meinen Hinweis, dass andere Länder ihre Staatsangehörigkeit auch als Adjektiv schreiben, kam, ihr werdet es ahnen: "Das interessiert mich nicht."

Dann kamen sie mir noch mit dem Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen, weil da noch "Deutsches Reich" und "Reichsregierung" drinn steht, und das Deutschland drei Namen hat: "BRD", "Deutschland"... Der Rest ist mir entfallen.

Irgendwann hatten sie keine Lust mehr mit mir zu diskutieren. Ich hatte auf meinem iPad unsere Bibel dabei und auch nicht wenige Gesetzestexte in einer App. Das war ihnen wohl zu blöde, dass da einer nicht ihren Käse einfach so geglaubt hat.

Am Ende habe ich mich noch mit einem Typen unterhalten, der hat mir dann erzählt, das er vor 20 Jahren von Illuminaten entführt worden ist.

Alles klar...

Offline be-eh

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Re: staatenlos.info in Dresden
« Antwort #1 am: 25. Juni 2015, 14:44:00 »
Auf meine Frage, warum denn in den USA niemals das Volk über die Verfassung abgestimmt hat [...]

Ich darf dazu eine kleine Bemerkung machen. Deine Aussage ist korrekt, das amerikanische Volk hat nie direkt über die derzeit geltende Verfassung abgestimmt (im Sinne von: alle gehen zur Urne, stimmen Ja oder Nein und die Mehrheit entscheidet).

Allerdings gibt es zum verfassunggebenden Prozess in Deutschland einen kleinen Unterschied. Das GG wurde vom Parlamentarischen Rat beschlossen und von den Landtagen der Westzone angenommen (die Fußnote mit Bayern spare ich mir). Die Landtage waren zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes bereits gewählt. Ein Wähler, der 1946 zur Landtagswahl ging, wusste also noch nicht, ob die Partei X, die er in den Landtag wählen wollte, später pro oder contra GG sein würde, weil es ja noch keinen Entwurf für das GG gab. Das ändert aber natürlich nichts daran, dass die Landtage für die deutschen Ländern entschieden haben, dass sie Teil der Bundesrepublik sein wollen.

Die heute geltende US-Verfassung hingegen wurde von den Einzelstaaten in einem speziellen Prozess ratifiziert. Hierfür wurde in jedem Einzelstaat (!) getrennt (!) eine sogenannte ratifying convention gewählt, ein Parlament nur für diesen Zweck, nämlich zu beschließen, ob man die neue Verfassung will oder nicht. Dafür wurde zuerst der Verfassungsentwurf veröffentlicht und dann wurden die conventions gewählt. Wenn man also Bürger von Virginia war und die Verfassung nicht wollte, konnte man entsprechende Vertreter in die convention wählen, die dann mit Nein stimmen konnten. Tatsächlich haben dies auch einige getan. Einen (englischsprachigen) Überblick findet sich bei Wikipedia.

Das bedeutet natürlich nicht, dass das Grundgesetz nicht gilt (oder ähnlichen Quatsch). Ich finde nur, dass der Unterschied eine Anmerkung wert ist. Dass bei den conventions natürlich auch nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen war (Bestechung, Stimmkauf, Manipulation, Einschüchterung etc.) ist auch geschenkt. Aber die Idee, bei einer Verfassungsgebung das Volk zumindest indirekt zu beteiligen, nachdem der Verfassungsentwurf öffentlich ist, ist nochmal eine andere als die bei der Inkraftsetzung des GG.
 

Offline kairo

Re: staatenlos.info in Dresden
« Antwort #2 am: 25. Juni 2015, 15:07:04 »
Aber die Idee, bei einer Verfassungsgebung das Volk zumindest indirekt zu beteiligen, nachdem der Verfassungsentwurf öffentlich ist, ist nochmal eine andere als die bei der Inkraftsetzung des GG.

Auch die westdeutschen Landtage stimmten ja erst ab, als der Entwurf des GG schon bekannt war (oder warum hätte Bayern sonst mit Nein stimmen können?).

Aber sowohl in den USA als auch in Deutschland hatten die Gremien nur die Möglichkeit, ja oder nein zu sagen. Modifikationen am Entwurf waren nicht mehr drin.
 

Offline be-eh

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Re: staatenlos.info in Dresden
« Antwort #3 am: 25. Juni 2015, 15:16:29 »
Auch die westdeutschen Landtage stimmten ja erst ab, als der Entwurf des GG schon bekannt war (oder warum hätte Bayern sonst mit Nein stimmen können?).

Öh, genau das hatte ich doch geschrieben:

Zitat
Die Landtage waren zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes bereits gewählt.

Mein Hinweis bezog sich nicht auf die Landtage/conventions, die können natürlich erst abstimmen, wenn der Entwurf vorliegt. Es ging mir um die Bürger und wann die die ratifizierenden Körperschaften wählen, und da gibt es Unterschiede. In Deutschland lag bei der Wahl der Landtage noch kein Verfassungsentwurf vor. In den USA ist das genau der Witz, denn bei der Wahl der Ratifikationsorgane liegt der Entwurf schon vor!

Beispiel:

Ich habe z.B. bei der NRW-Landtagswahl 1946 die CDU gewählt. Dann kommt der Parlamentarische Rat und arbeitet das GG aus. Der Landtag NRW stimmt zu, die CDU macht mit. Mir gefällt aber das GG nicht. Wenn ich gewusst hätte, dass die CDU zustimmt, hätte ich bei der Landtagswahl nie CDU gewählt. Aber auch die CDU kannte ja bei der letzten Landtagswahl das GG noch nicht. Alles was ich machen kann, ist bei der nächsten Landtagswahl die CDU "abzustrafen".

In New York habe ich irgendwelche Vertreter gewählt, und dann wurde irgendwie die Verfassung ausgearbeitet. Jetzt entscheiden aber nicht die bereits gewählten Staatsparlamente über die Ratifikation, sondern eine extra Versammlung. Da steht dann im Wahlkampf und bei der Wahl die Entscheidung über den Verfassungsentwurf im Mittelpunkt, und ich kann in meinem Wahlkreis Leute wählen, die gegen die Verfassung sind, weil ich auch dagegen bin. Und wenn der gewählt wird, den ich möchte, stimmt er im Konvent des Staates New York dann mit Nein. Und am Ende wird die Verfassung vielleicht nicht ratifiziert.

Im Fall der USA ist meine Haltung zur Verfassung Grundlage meiner Wahlentscheidung für die Convention, die als einzige Funktion die Ratifikation hat.

In Deutschland macht das der Landtag, der völlig ohne Ratifikationsmotivation gewählt wurde.

Wie gesagt: De jure ist das kein Unterschied. Vom demokratietheoretischen Standpunkt schon.
« Letzte Änderung: 25. Juni 2015, 15:28:09 von be-eh »
 

Offline GeneralKapitalo

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Re: staatenlos.info in Dresden
« Antwort #4 am: 25. Juni 2015, 15:55:10 »
Ich gebe dir zwar grundsätzlich recht. Was du schreibst gilt allerdings nicht für alle Bundesstaaten. Bundesstaaten, die sich z.B. aus Distrikten, oder Territorien ergeben haben, hatten nur die Wahl, zwischen "Bundesstaatwerdung", oder als Territorium zu verbleiben. Ein nicht Anerkennung, der Verfassung (und damit die Unabhängigkeit) war für diese, für gewöhnlich unmöglich.
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Offline be-eh

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Re: staatenlos.info in Dresden
« Antwort #5 am: 25. Juni 2015, 17:42:57 »
Ich gebe dir zwar grundsätzlich recht. Was du schreibst gilt allerdings nicht für alle Bundesstaaten. Bundesstaaten, die sich z.B. aus Distrikten, oder Territorien ergeben haben, hatten nur die Wahl, zwischen "Bundesstaatwerdung", oder als Territorium zu verbleiben. Ein nicht Anerkennung, der Verfassung (und damit die Unabhängigkeit) war für diese, für gewöhnlich unmöglich.

Ja, das stimmt. De facto gab es wenig Möglichkeiten, die Verfassung noch aufzuhalten. Zumal sie aus der damaligen Perspektive von fast allen Protagonisten als alternativlos dargestellt wurde. Interessierte Kreise (der Kapitalismus grüßt schon damals recht freundlich) wollten keine Handelsbarrieren, einen zollfreien Binnenmarkt, gemeinsame Abwehr gegen den äußeren Feind, Schutz der Handelsrouten usw. Da wurde natürlich allen Staaten gedroht, dass man sich im Falle des Nichtmitmachens eben hinten anstellen muss. Frei aus dem Handgelenk: "Schönen Staat haben Sie da. Das wäre doch ärgerlich, wenn der der einzige ist, der dann unserer Union Zölle zahlen muss. Und es ist auch immer noch nicht sicher, ob die Briten nicht vielleicht doch noch mal mit den Kanonen am Strand auftauchen. Oder die Franzosen. Oder die Spanier. Oder wer auch immer. Schade, wenn Ihr dann leider als erster angegriffen werdet. Also ob wir dann zur Hilfe kommen, wenn die Briten bei Euch vor der Tür stehen ... Mitmachen ist besser. Verstehn'se."

Wenn man die Geschichte des US-Föderalismus anschaut, gibt es einige Ecken, die wirklich positiv faszinierend sind, z.B. die Traktate der Federalists bzw. der Anti-Federalists oder die Verhandlungen um die Verfassung. Die Bücher, die sich mit den Begründungen für Regel X befassen, sind sensationell zu lesen, das finde ich jedes Mal wieder erstaunlich, wie profund und messerscharf damals argumentiert wurde - unabhängig davon, ob mir das Argument oder die Zielrichtung gefällt oder nicht. In andere Ecken schaut man lieber nicht, ich sage nur "state's rights movement" oder die Debatte um die Wiederzulassung der Sezessionsstaaten (Stichwort "carpetbaggers") oder die Kapriolen des Supreme Court zur Rassentrennung ("separate, but equal"). Über jedes Thema gibt es Bibliotheken voll. Manches mutet aus der europäischen Perspektive gar wunderlich an, z.B. die Idee einiger Gründerväter, wichtiger als politische Rechte sei einen die ökonomischen Rechte, und es genüge so eine Art Zollverein (Stichwort "commercial republic"). Auch die Idee, dass der Bund nur Streitigkeiten zwischen Staaten entscheiden soll und sonst nichts macht, ist prominent und aus unserer Perspektive kaum vorstellbar. Es ist eben eine andere Geschichte, die zu anderen Denkweisen und dann letztlich auch zu unterschiedlichen politischen Kulturen führt.
 
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