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Ansatz für Petra Krebs Anfrage war ein Bericht über GNM-Seminare in einer Gaststätte in einem Teilort von Wangen (Landkreis Ravensburg), nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“ ein Gasthof in Karsee, einst ein beliebter Treffpunkt der Einwohner. Im Juni 2023 wurde er jedoch von dem in Österreich gegründeten Verein „Tafelrunde – Verein zur Förderung der Gesunderhaltung von Mensch und Natur“ übernommen. Der Verein organisiert dort nun Seminare und Vorträge, darunter Rohkostabende, Tarot-Kurse oder Astrologie der Selbsterkennung, wie sich auf einem Telegram-Kanal nachlesen lässt.
Neben den esoterischen Angeboten lassen sich bei Veranstaltungen des Vereins „teilweise extremistische Bezüge erkennen, zumeist ins Milieu der ,Reichsbürger‘ und ,Selbstverwalter‘“, wie das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (LfV) bestätigt. Darunter auch Bezüge zur rechtsextremistischen „Anastasia Bewegung“, einem Verdachtsfall des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Und vier Veranstaltungen haben sich bisher explizit mit der Germanischen Neuen Medizin befasst. „Problematisch an der GNM sind aus Sicht des LfV vor allem die Gesundheitsgefahren für Personen, die sich dieser Lehre zuwenden“, erklärt Innenminister Thomas Strobl (CDU). Gefahren, die wiederholt schon zum Tod der Patienten geführt haben sollen.
Pseudomedizinische Bewegung
Die pseudomedizinische Bewegung wurde in den 1980er-Jahren von dem Mediziner Ryke Geerd Hamer gegründet, der sie selbst als „die größte Entdeckung der Menschheitsgeschichte“ bezeichnete. Hamer, dem später die Approbation entzogen wurde, studierte in Tübingen, was die Verbreitung seiner Lehre im Süden erklärt. Er propagierte die Idee, wonach alle Krankheiten – insbesondere Krebs – durch seelische Konflikte verursacht würden. Eine Heilung sei demnach ohne medizinische Behandlung möglich - wenn nur der seelische Konflikt gelöst werde. Schmerzmittel hielt er für unnötig. Obwohl Hamer 2017 verstarb, verbreiten sich seine Annahmen – inklusive antisemitischem Gedankengut – bis heute.
„Die Germanische Neue Medizin hat ein hohes Heilungsversprechen, zugleich aber keine wissenschaftlichen Fakten auf ihrer Seite“, sagt Philipp Kohler, Referent für Weltanschauungsfragen bei der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. „Und es gibt auch sehr bekannte Fälle, bei denen Krebserkrankungen oder Ähnliches damit geheilt werden sollten, dann aber tatsächlich Menschen, sogar Kinder gestorben sind.“
Vielzahl an Todesfällen untersucht
Bis 1995 wurden in Deutschland und Österreich über 80 Todesfälle nach Behandlung durch Hamer behördlich untersucht. Schlagzeilen machte der Fall der damals sechsjährigen Olivia Pilhar, die an einem Nierentumor litt, deren Eltern aber die klassischen Therapien stoppten. Erst die spätere Rückkehr zur konventionellen Medizin konnte ihr das Leben retten. Schätzungen zufolge sollen rund 500 Menschen, die nach Hamers Methode behandelt wurden, gestorben sein.
„Die Vorstellung, dass psychische Faktoren einen Einfluss auf die Entstehung von Krebserkrankungen haben, hat eine lange Tradition“, erklärt die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG). Bis heute würde von einer Krebspersönlichkeit gesprochen, geprägt durch Depression, verminderten Ausdruck von Ärger und Wut sowie Selbstaufopferungstendenzen. „Ein Konzept, das mittlerweile wissenschaftlich als widerlegt gilt“, so die DKG, die erklärt: „Die GNM ist eine menschenverachtende Scharlatanerie und für ernsthaft erkrankte Menschen lebensgefährlich.“ Die aber trotzdem vermehrt Zuspruch findet?
Alternatives Angebot zu herkömmlichen Methoden
Philipp Kohler kann sich durchaus einen Zulauf vorstellen, weil seit Corona in manchen Milieus und Kreisen die Schulmedizin auf Kritik stößt. „Und die Germanische Neue Medizin verspricht ein alternatives Angebot zu herkömmlichen Methoden“, eben ohne Chemikalien. „Man kann also die Probleme auf eine ganz andere Weise lösen. Und damit wird ja nicht nur eine Heilung versprochen, sondern im Grunde auch ein ganz anderer Lebensstil.“ Fern von Begrenzendem und Vorschreibendem, was viele Menschen während Corona als belastend empfanden und dem Staat vorwarfen. „Von dem sagt sich die Germanische Neue Medizin völlig frei.“
Petra Krebs, Gesundheitssprecherin der Grünen, zielt mit ihrer Anfrage dann auch gar nicht auf den Gasthof in Karsee ab, der für eine Stellungnahme nicht erreichbar war, beziehungsweise auf eine Anfrage nicht geantwortet hat. Krebs geht es vielmehr um Aufklärung. „Ich möchte auch Menschen, die sich für alternative Behandlungsmethoden entscheiden, nicht davon abhalten. Diese sollten aber auf einer gewissen wissenschaftlichen Grundlage beruhen.“ Weil andernfalls dramatische Folgen drohen.