Tobias Ginsburg war wieder undercover unterwegs, nach dem Besuch bei den Staatsfeinden nun die Frauen-, Gesellschafts- und Menschenfreinde und Weiße Männer, die ganz schön alt aussehen:
Spoiler
Abgestiegen in diese Sphäre ist Autor Tobias Ginsburg, bekannt für seinen Roman Reise ins Reich. Er gab sich dafür als Reichsbürger aus und konnte tief in die Strukturen der bis dahin wenig beachteten Politsekte eindringen. Jetzt hat er sich die nächste verschlossene Szene vorgenommen: Mit einer Undercoverrecherche durchleuchtet er ein frauenverachtendes, rechtes Netzwerk in Europa und darüber hinaus. Ginsburg traf dafür Akteure wie die deutsche rechtsextreme Burschenschaft Germania, christliche Fundamentalisten in Polen und organisierte Incels in den USA.
Der studierte Dramaturg lenkt den Blick zuerst auf die FDP. Die liberale Partei, ganz deutsche Mitte, bürgerlich, bald in der Bundesregierung vertreten. Und doch beherbergt sie Gruppen, die Freiheiten nur für Männer kennen. FDP-Männer etwa treffen sich auf dem Herrenberg am Rande von Jena und beraten, wie sie den Frauen ihre Rechte nehmen können. Dort trifft Ginsburg auf eine Bierzeltwelt aus Hass, die gar nicht zum geschniegelten Bild der Koalitionsverhandlungen passen will.
Rechtsextreme hinters Licht geführt
Teils muss der Autor über seine Protagonisten lachen. Anders scheinen die Erfahrungen aus jener Parallelwelt unerträglich für einen, der so gar nicht im Milieu von Burschenschaft und Frauenfeindlichkeit aufwuchs. Doch sein Humor weicht einer Bestürzung, wie wenig die demokratische Gesellschaft die Netzwerke wahrnimmt, die selbstverständlich erscheinende Frauen- und Minderheitenrechte bekämpfen.
Mit harten Fakten schildert Ginsburg, wie sich Netzwerke dieser Art in Europa breitmachen. Ein gewisser Voyeurismus begleitet das Werk, wenn in Burschenschaftskellern gesoffen wird und die vermeintlich intellektuellen Männerrechtler Stück für Stück ihre Frauenverachtung und ihr Faible für den Nationalsozialismus preisgeben. Wenn sie verkohlte Bratwürste essen, der Männlichkeit wegen.
Wohl noch nie wurden Rechtsextreme so sehr hinters Licht geführt wie für diese Recherche. Ginsburg, maskiert mit geschorener Glatze und Schnauzer, gekleidet im Stil hipper Skinheads: Wie ein Zielfahnder sucht er seine Protagonisten und gerät dabei an zentrale Figuren der Szene. Er wirft Köder aus, knüpft vermeintliche Freundschaften, verspricht gemeinsame Projekte. Der Leser ist nah dran am Entstehungsprozess des Buches, taucht ein in die Welt, die Ginsburg hinter verschlossenen Türen findet.
Heiligt der Zweck das Mittel der Täuschung? Die Antwort kann hier nur Ja lauten. Vom kleinen Burschenschafter führt Ginsburg den Leser zur europäischen Dimension der Netzwerke am Beispiel Polens. Das Buch ist brandaktuell mit Blick auf die Eskalation zwischen Polen und der europäischen Union. Daran beteiligt sind nach Recherchen von Ginsburg die polnischen Nationalisten und christlichen Fundamentalisten der Organisation Ordo Iuris. Sie ist in Europa bestens vernetzt, in ihrem Umfeld tummeln sich von Russland finanzierte Gruppen.
Ginsburg setzt dem Zynismus der Rechten die Stimme der Menschen entgegen, die von Hass und Gewalt beinahe täglich betroffen sind. Die hasserfüllten Worte haben ganz reale Konsequenzen, politische Entscheidungen gegen die Rechte von Homosexuellen und Frauen werden ganz real und aktuell in die Tat umgesetzt. Diese politischen Entscheidungen zerstören Leben, führen Ginsburgs Recherchen zufolge schon zu innereuropäischer Binnenflucht. Homosexuelle ziehen von Warschau nach Berlin, aus Gründen persönlicher Sicherheit. "Wie kann es da sein, dass sich in Deutschland niemand für Polen interessiert", fragt ein polnischer LGBT-Aktivist, er selbst ist mittlerweile nach Deutschland gegangen. Die Frage stellt er Ginsburg, alle Leserinnen und Leser sollten sich ihr stellen.
AUS DER SERIE
:
Störungsmelder
Männerrechtsbewegung
:
Wie rechte Männerbünde Europa bedrohen
Frauenfeinde, Fundamentalisten und Rechtsextreme haben in Europa ein Netzwerk geschaffen. Autor Tobias Ginsburg hat es für einen erschütternden Bericht infiltriert.
Eine Rezension von Henrik Merker
6. November 2021, 12:01 Uhr282 Kommentare
Männerrechtsbewegung: Teilnehmer einer Antihomosexuellen-Demonstration in Polens Hauptstadt Warschau
Teilnehmer einer Antihomosexuellen-Demonstration in Polens Hauptstadt Warschau © Attila Husejnow/dpa
Was haben saufende Burschenschaftler, radikale Männerrechtler aus der FDP und polnische Erzkonservative gemeinsam? Sie sind die letzten Männer des Westens. So lautet auch der Titel eines neuen Buches, das den Blick freigibt auf eine ziemlich abartige Welt – eine, die nur so trieft vor Frauenhass, Bier und Übermenschengehabe. Eine Welt, die sich gern akademisch gibt und der doch nur der Mief des letzten Jahrhunderts aus jeder Pore quillt.
Abgestiegen in diese Sphäre ist Autor Tobias Ginsburg, bekannt für seinen Roman Reise ins Reich. Er gab sich dafür als Reichsbürger aus und konnte tief in die Strukturen der bis dahin wenig beachteten Politsekte eindringen. Jetzt hat er sich die nächste verschlossene Szene vorgenommen: Mit einer Undercoverrecherche durchleuchtet er ein frauenverachtendes, rechtes Netzwerk in Europa und darüber hinaus. Ginsburg traf dafür Akteure wie die deutsche rechtsextreme Burschenschaft Germania, christliche Fundamentalisten in Polen und organisierte Incels in den USA.
Der studierte Dramaturg lenkt den Blick zuerst auf die FDP. Die liberale Partei, ganz deutsche Mitte, bürgerlich, bald in der Bundesregierung vertreten. Und doch beherbergt sie Gruppen, die Freiheiten nur für Männer kennen. FDP-Männer etwa treffen sich auf dem Herrenberg am Rande von Jena und beraten, wie sie den Frauen ihre Rechte nehmen können. Dort trifft Ginsburg auf eine Bierzeltwelt aus Hass, die gar nicht zum geschniegelten Bild der Koalitionsverhandlungen passen will.
Rechtsextreme hinters Licht geführt
Teils muss der Autor über seine Protagonisten lachen. Anders scheinen die Erfahrungen aus jener Parallelwelt unerträglich für einen, der so gar nicht im Milieu von Burschenschaft und Frauenfeindlichkeit aufwuchs. Doch sein Humor weicht einer Bestürzung, wie wenig die demokratische Gesellschaft die Netzwerke wahrnimmt, die selbstverständlich erscheinende Frauen- und Minderheitenrechte bekämpfen.
Mit harten Fakten schildert Ginsburg, wie sich Netzwerke dieser Art in Europa breitmachen. Ein gewisser Voyeurismus begleitet das Werk, wenn in Burschenschaftskellern gesoffen wird und die vermeintlich intellektuellen Männerrechtler Stück für Stück ihre Frauenverachtung und ihr Faible für den Nationalsozialismus preisgeben. Wenn sie verkohlte Bratwürste essen, der Männlichkeit wegen.
Newsletter
Wofür leben wir? – Der Sinn-Newsletter
Jeden Freitag bekommen Sie alle Texte rund um Sinnfragen, Lebensentscheidungen und Wendepunkte.
Ihre E-Mail-Adresse
REGISTRIEREN
Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzbestimmungen zur Kenntnis.
Wohl noch nie wurden Rechtsextreme so sehr hinters Licht geführt wie für diese Recherche. Ginsburg, maskiert mit geschorener Glatze und Schnauzer, gekleidet im Stil hipper Skinheads: Wie ein Zielfahnder sucht er seine Protagonisten und gerät dabei an zentrale Figuren der Szene. Er wirft Köder aus, knüpft vermeintliche Freundschaften, verspricht gemeinsame Projekte. Der Leser ist nah dran am Entstehungsprozess des Buches, taucht ein in die Welt, die Ginsburg hinter verschlossenen Türen findet.
Heiligt der Zweck das Mittel der Täuschung? Die Antwort kann hier nur Ja lauten. Vom kleinen Burschenschafter führt Ginsburg den Leser zur europäischen Dimension der Netzwerke am Beispiel Polens. Das Buch ist brandaktuell mit Blick auf die Eskalation zwischen Polen und der europäischen Union. Daran beteiligt sind nach Recherchen von Ginsburg die polnischen Nationalisten und christlichen Fundamentalisten der Organisation Ordo Iuris. Sie ist in Europa bestens vernetzt, in ihrem Umfeld tummeln sich von Russland finanzierte Gruppen.
Politische Entscheidungen, die Leben zerstören
DAS BESTE AUS Z+:
Gesellschaft
Mann
Frauenhass:
"Antifeminismus hat keine politische Heimat"
Ginsburg setzt dem Zynismus der Rechten die Stimme der Menschen entgegen, die von Hass und Gewalt beinahe täglich betroffen sind. Die hasserfüllten Worte haben ganz reale Konsequenzen, politische Entscheidungen gegen die Rechte von Homosexuellen und Frauen werden ganz real und aktuell in die Tat umgesetzt. Diese politischen Entscheidungen zerstören Leben, führen Ginsburgs Recherchen zufolge schon zu innereuropäischer Binnenflucht. Homosexuelle ziehen von Warschau nach Berlin, aus Gründen persönlicher Sicherheit. "Wie kann es da sein, dass sich in Deutschland niemand für Polen interessiert", fragt ein polnischer LGBT-Aktivist, er selbst ist mittlerweile nach Deutschland gegangen. Die Frage stellt er Ginsburg, alle Leserinnen und Leser sollten sich ihr stellen.
Ginsburg trieb sich nicht nur in den Netzwerken rum, er vertraute bei seinen Recherchen auf die Expertise von Szenekennern wie der Polin Klementyna Suchanow und der Soziologen Miro Dittrich und Andreas Kemper, die seit Jahren zur Szene forschen. Auch Investigativlegende Günter Wallraff stand dem Autor zur Seite, liefert das Vorwort. Ein Appell an die Gesellschaft, einen sehr genauen Blick zu werfen auf die Netzwerke der Leute, die viel Energie und Zeit darin investieren, Europas Untergang zu sein.
Rechtsradikaler Adel in der AfD, rechtskonservative Professoren aus der Bürgerschaft: Ginsburg zeigt, wie parallel ihre Argumente verlaufen, wie nah sich bereits ihre politischen Positionen gegenüber Minderheiten sind. Und wie fatal es ist, Polen als exotisches Land innerhalb der EU zu betrachten. "Das kann bei uns doch nicht passieren" – mit diesem Mythos räumt Ginsburg auf. Rechte Netzwerke bedrohen unsere Gesellschaftsform. Und sie sind keineswegs immer mit Pistolen bewaffnet.
Tobias Ginsburg: Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 333 Seiten, 16 Euro.