Autor Thema: VG Frankfurt 28.05.2020 Urteil 5 K 2499/19.F Ex-Reichi behält WBK  (Gelesen 756 mal)

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Da hat einer grade noch die Kurve gekratzt?

Im roten Hessen?



Zitat
Gericht:   VG Frankfurt 5. Kammer
Entscheidungsdatum:   28.05.2020
Aktenzeichen:   5 K 2499/19.F
ECLI:   ECLI:DE:VGFFM:2020:0528.5K2499.19.F.00
Dokumenttyp:   Urteil
Quelle:   Hessen
Normen:   § 5 Abs 1 Nr 2 WaffG, § 5 Abs 2 Nr 3 WaffG, § 45 Abs 2 Satz 1 WaffG
Dokumentreiter

Abkehr vom Auftreten als "Reichsbürger"

Leitsatz
Es bleibt offen, ob in waffenrechtlicher Hinsicht die Zugehörigkeit zu den >>Reichsbürgern<< eine absolute Unzuverlässigkeit oder die Regelvermutung einer Unzuverlässigkeit begründet.
-
Für eine glaubhafte Distanzierung von den >>Reichsbürgern<< ist zu verlangen, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es warscheinlich erscheinen lassen, dass der Betroffene seine innere Einstellung verändert hat. Dieses Erfordernis bedingt es, dass der Betroffene in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit den einschlägigen sicherheitsrechtlichen Tatbestand erfüllt zu haben. Die Anforderungen, die an den Nachweis einer Abkehr zu stellen sind, hängen von der Ausprägung der Zuordnung zum problematischen Personenkreis ab.

Verfahrensgang
vorgehend VG Frankfurt am Main, 28. Mai 2020, 5 K 2499/19.F

Tenor
Die Verfügung des Landrats des Beklagten vom 30. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landrats des Beklagten vom 21. Juni 2019 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Spoiler
Tatbestand
Randnummer1
Die Beteiligten streiten über den Widerruf einer Waffenbesitzkarte.

Randnummer2
Auf Antrag vom 4. März 2008 wurde dem Kläger durch Bescheid des Landrats des Beklagten vom 5. Juni 2008 (Bl. 12, 13 f. der Beiakten I – BA I) die Waffenbesitzkarte als Sportschütze (grün) Nr. … erteilt, in die aufgrund Antrags vom 12. Oktober 2008 durch Bescheid des Landrats des Beklagten vom 14. November 2008 (Bl. 28 f., 31 BA I) sowie aufgrund Antrags vom 8. Mai 2009 (vgl. Bl. 49 BA I) je eine weitere Schusswaffe mit Munitionserwerbsberechtigung eingetragen wurden.

Randnummer3
Unter dem 28. Februar 2013 wurde der Kläger vom Amtsgericht G-Stadt – … C – … Js …/12 – wegen Steuerhinterziehung zu fünf Tagessätzen zu je 100 Euro verurteilt; Rechtskrafteintritt war am 28. Februar 2013 (Auszug aus dem Zentralregister, Bl. 63, 76 BA I).

Randnummer4
Am 15. Mai 2013 ging beim Kreisausschuss des Beklagten der Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises ein, den er zur Vorlage bei der „Russische[n] Botschaft (Geschäftsbeziehungen)“ benötige und in den seine beiden Kinder aufzunehmen seien (Bl. 1 ff. der Beiakten II – BA II). Zur Staatsangehörigkeit seines am … 1898 geborenen und am … 1945 verstorbenen Großvaters erklärte der Kläger „Preußen“, zu den Wohnorten des maßgeblichen Großelternteils seit dessen Geburt machte der Kläger die Angaben zu „von – bis“: „…/1898 – …/1945“, zu „Gemeinde“: „C-Stadt“, zu „Kreis“: „(H-Kreis)“, zu „Land“: „Deutsches Reich“. Staatsangehörigkeitsausweise wurden dem Kläger und seinen Kindern unter dem 31. Mai 2013 erteilt (Ablichtung als Bl. 20 – 22 BA II). Mit E-Mail-Nachricht vom 4. Juni 2013 kritisierte der Kläger, dass der Familienname in Großbuchstaben geschrieben worden sei, was nicht der Geburtsurkunde entspreche und womit nach altem römischen Recht (capitis deminutio media) das Bürgerrecht entzogen worden sei (Bl. 23 BA II). Nach weiterer Korrespondenz wurden dem Kläger Staatsangehörigkeitsausweise in geänderter Schreibung erteilt (Ablichtung Bl. 36 – 38 BA II). Mit E-Mail-Nachricht vom 9. August 2013 bemängelte der Kläger, dass bei vom Bundesverwaltungsamt eingeholten EStA-Registerauszügen seiner Kinder zu „Erworben durch ...“ der Eintrag „Geburt (Abstammung), § 4 Abs. 1 (Ru)StAG“ fehle (Bl. 39, vgl. Bl. 25 mit Bl. 26, 27 BA II). Daraufhin wurden die Angaben korrigiert (Bl. 42 mit Bl. 40, 41 BA II). Mit E-Mail-Nachricht vom 7. Juli 2014 (Bl. 49 f. BA II) äußerte der Kläger die Ansicht, unwissentlich die falsche Angabe gemacht zu haben, keine weitere Staatsangehörigkeit zu besitzen; über seinen Großvater und Vater habe er jedoch die des Königreichs Preußen, die durch ihn auf seine Kinder übergehe. Zugleich legte der Kläger einen neu gefassten Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises vor, mit dem er Angaben aufgrund seiner Sicht des Gesetzes Nr. 52 des SHAEF (Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force) ergänzte(Bl. 51 – 55 BA II). Durch Schreiben vom 14. Juli 2014 (Bl. 57 BA II) ließ der Kreisausschuss des Beklagten den Kläger wissen, dass eine weitere oder zusätzliche Bearbeitung nicht erfolgen würde, er aber gegen den Staatsangehörigkeitsausweis innerhalb eines Jahres Widerspruch einlegen könne. Im Folgenden entspann sich weitere Korrespondenz zwischen dem Kläger und dem Beklagten. Am 4. Dezember 2014 erschien der Kläger beim Kreisausschuss des Beklagten (Vermerk Bl. 82 BA II), legte einen neuen Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises vor (Bl. 75 – 81 BA), wollte die Staatsangehörigkeitsausweise vom 31. Mai 2013 zurückgeben, behielt sie dann aber.

Randnummer5
Am 9. Dezember 2013 gab der Kläger einen vom 24. Oktober 2012 bis zum 23. Oktober 2022 gültigen Personalausweis zurück, blieb aber im Besitz eines vom 19. März 2008 bis zum 18. März 2018 gültigen Reisepasses (Erweiterte Meldebescheinigung vom 15. August 2017, Bl. 89 BA I).

Randnummer6
Mit Schreiben vom 16. August 2018 (Bl. 99 f. BA I) wandte sich der Landrat des Beklagten an den Kläger und hörte ihn zum beabsichtigten Widerruf seiner Waffenbesitzkarte an. Begründet wurde dies damit, aufgrund der sicherheitsbehördlichen Gefährdungseinschätzung sowie der Waffenaffinität von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ komme der Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit besondere Bedeutung zu. Wegen des vorgenannten Geschehens fehle dem Kläger die erforderliche Zuverlässigkeit, weshalb er die Überlassung oder Unbrauchbarmachung der Waffen und Munition bis spätestens zum 10. September 2018 nachzuweisen habe. Mit E-Mail-Nachricht vom 21. August 2018 (Bl. 103 f. BA I), der ein Schreiben vom 23. August 2018 nachfolgte (Bl. 110 f. BA I), nahm der Kläger hierzu Stellung und bestritt, mit der „Reichsbürger- bzw. Selbstverwalter-Bewegung“ etwas zu tun zu haben.

Randnummer7
Durch Verfügung vom 30. November 2018 (Bl. 112 – 116 BA I = Bl. 4 – 8 = 26 – 30 d.A.) widerrief der Landrat des Beklagten die dem Kläger erteilte Waffenbesitzkarte, forderte auf, diese bis zum 10. Januar 2019 seiner Behörde zurückzugeben sowie ebenfalls bis zum 10. Januar 2019 die darin eingetragenen Waffen einem Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar zu machen, die dazugehörige Munition einem Berechtigten zu überlassen sowie entsprechende Nachweise zu erbringen. Bekanntgegeben wurde diese Verfügung dem Kläger im Wege der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde am 4. Dezember 2018 (Bl. 118 BA I). Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 12. Dezember 2018 (Bl. 122 = 124 BA I) ließ der Kläger gegen die Verfügung vom 30. November 2018 Widerspruch einlegen, der mit Schreiben vom 9. Januar 2019 (Bl. 132 – 140 BA I) begründet wurde. Durch Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2019 (Bl. 9 – 17 = 31 – 39 d.A.) wies der Landrat den Widerspruch des Klägers zurück. Zugestellt wurde dieser Widerspruchsbescheid dem Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 1. Juli 2019 (unfoliiert am Ende der Beiakten I).

Randnummer8
Am 24. Juli 2019 hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Klage erhoben, mit der er den Widerruf seiner Waffenbesitzkarte anficht. Zur Begründung führt er mit Schriftsatz vom 2. November 2019 (Bl. 48 – 63 d.A.) aus, warum er zwar in den Jahren 2013 und 2014 mit reichsbürgerlichen Theorien und Anschauungen in Kontakt gekommen sei, danach jedoch jedes Interesse an der entsprechenden Thematik verloren habe. Was er seinerzeit zu Papier gebracht habe, sei ihm heute im höchsten Grad unangenehm und peinlich. Er habe der Rechtsordnung der Bundesrepublik in der Praxis immer den größten Respekt entgegengebracht, und es gebe (abgesehen von einer Verurteilung im Jahre 2013 zu einer sehr geringen Geldstrafe) nicht die geringsten Hinweise auf Rechtsverstöße, auch nicht auf solche, die isoliert betrachtet die waffenrechtliche Zuverlässigkeit nicht in Frage zu stellen geeignet wären. Damit lägen die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG nicht vor.

Randnummer9
Der Kläger beantragt,

die Verfügung des Beklagten vom 30. November 2018 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 21. Juni 2019 aufzuheben;

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Randnummer10
Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Randnummer11
Zur Begründung verteidigt der Beklagte in seiner Klageerwiderung vom 29. Oktober 2019 die getroffene Verfügung. Der Kläger sei als im waffenrechtlichen Sinn unzuverlässig anzusehen.

Randnummer12
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der vorgelegten Beiakten I und II, der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist.

Entscheidungsgründe
I.

Randnummer13
Die zulässigerweise erhobene Anfechtungsklage ist begründet, denn die angegriffene Verfügung vom 30. November 2018 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 21. Juni 2019 erweist sich als rechtswidrig (1.) und verletzt den Kläger in seinen Rechten (2.).

Randnummer14
1. Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Waffenbesitzkarte nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG lagen nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Gade/Gade, 2. Aufl. 2018, WaffG § 45 Rn. 4b) nicht – mehr – vor. Dabei kommt es nicht darauf an, ob man – wie der Beklagte – eine Unzuverlässigkeit wegen Zugehörigkeit zu den „Reichsbürgern“ oder „Selbstverwaltern“ nun § 5 Abs. 1 Nr. 2 oder nicht vielmehr Abs. 2 Nr. 3 des Waffengesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2133) – im Folgenden „WaffG a.F.“ – zuordnet. Zwar drängt sich aufgrund des Auftretens des Klägers in den Jahren 2013 und 2014 eine solche Zuordnung auf (a.), der Kläger hat indes zur Überzeugung des Gerichts seine Abkehr davon glaubhaft dargetan (b.).

Randnummer15
a. Von dem Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises am 15. Mai 2013 bis zum letztmaligen Auftreten des Klägers in dieser Sache am 4. Dezember 2014 weist sein Verhalten klare Bezüge zu gängigen Vorgehensweisen und Argumentationsmustern der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ auf. Ob der Kläger hierzu, wie in der mündlichen Verhandlung angeführt, durch beabsichtigte Russlandgeschäfte oder in Reaktion auf das gegen ihn gerichtete Verfahren wegen Steuerhinterziehung gelangte, ist dabei unerheblich. Zur Definition der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ führt das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem Verfassungsschutzbericht 2018, S. 97, an:

„‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen – unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Deshalb besteht die Besorgnis, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen.“

Randnummer16
Entsprechend heißt es beim Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2018, S. 53, zu „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“:

„... Sie lehnen unter anderem die Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem, die Staatsorgane und die demokratisch gewählten Repräsentanten ab. Reichsbürger behaupten, dass – in verschiedenen Varianten – ein Deutsches Reich fortbesteht; Selbstverwalter erfinden Fantasiestaaten und beanspruchen für sich ein von der Bundesrepublik Deutschland unabhängiges Territorium. Die Szene bestand aus einer Vielzahl verschiedener Gruppierungen und Einzelpersonen, war somit vielschichtig und unübersichtlich und umfasste Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremisten ebenso wie Leichtgläubige und finanziell Gescheiterte.“

Randnummer17
Weiter wird dort festgestellt:

„Affinität zu Waffen – Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse | Die Szene war außergewöhnlich waffenaffin, sodass die Gefahr bestand, dass sich ihre Angehörigen staatlichen Maßnahmen, die sie als ‚Plünderung‘ und ‚Raub‘ betrachten, mit Gewalt widersetzen. Die Anzahl der Reichsbürger und Selbstverwalter, die in Hessen über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfügten, lag im hohen zweistelligen Bereich. Das Ziel der Sicherheitsbehörden in Hessen bleibt es daher, dass kein ihnen bekannter Reichsbürger bzw. Selbstverwalter waffenrechtliche Erlaubnisse oder Legalwaffen besitzt bzw. diese im Fall des Besitzes entzogen werden. In enger Zusammenarbeit zwischen den Sicherheits- und Waffenbehörden wurden bereits zahlreichen Reichsbürgern und Selbstverwaltern die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen und Schusswaffen sichergestellt.“

Randnummer18
Diese Feststellung deckt sich mit der des Bundesamts für Verfassungsschutz, a.a.O., S. 96 f.:

 „Waffenaffinität

 ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ sind häufig waffenaffin. Mit Ablauf des Jahres 2018 besaßen rund 910 Szeneangehörige waffenrechtliche Erlaubnisse (2017: 1.100); dies entspricht etwa 5 % der Szene. Seit Beginn der Beobachtung im November 2016 wurden zahlreiche waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen. Bislang sind den Verfassungsschutzbehörden 570 Erlaubnisentzüge bekannt geworden.“

Randnummer19
Selbst wenn der Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises isoliert betrachtet nicht zwingend auf eine solche Nähe oder gar Einordnung schließen lassen muss, so lässt doch sein weiteres Bekunden in der E-Mail-Nachricht vom 4. Juni 2013 zur capitis deminutio media, der E-Mail-Nachricht vom 9. August 2013 zum Fehlen des Erwerbstatbestands bei seinen Kindern in den eingeholten EStA-Registerauszügen und insbesondere der E-Mail-Nachricht vom 7. Juli 2014 zur Annahme einer weiteren Staatsangehörigkeit, nämlich der des Königreichs Preußen, die Rückgabe seines Personalausweises am 9. Dezember 2013, schließlich die Bezugnahme auf das Gesetz der Militärregierung Nr. 52 zur Sperre und Kontrolle von Vermögen vom 14. Juli 1945 keinen Zweifel mehr, dass der Kläger mit einschlägiger Argumentation sowie einschlägigem Auftreten vertraut ist, sie sich zu eigen machte und sich damit äußerlich identifizierte (vgl. zu einschlägigen Verhaltensweisen Roth, NVwZ 2018, 1772 <1773 f.>). Irgendeine objektive Notwendigkeit zu derartigen Handlungen ist nicht erkennbar.

Randnummer20
Hierauf eine absolute Unzuverlässigkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 4, § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG a.F. zu stützen (so OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Oktober 2019 – 7 A 10555/19 –, juris Rn. 33, 38) unterliegt allerdings insofern Zweifeln, als die Untergliederungen der Buchst. a bis c, auf die nicht im Einzelnen eingegangen wird, keine Beispielsfälle aufzählen, sondern tatbestandliche Voraussetzungen beschreiben, von denen mindestens eine vorliegen muss. Dafür, dass der Kläger „mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren“ wird (Buchst. b), ist nichts ersichtlich; vielmehr ist dem Kläger unter dem 5. Juni 2008 bescheinigt worden, dass die „Unterbringung ordnungsgemäß“ sei (Stempelaufdruck Bl. 1R BA I) und sind Änderungen hieran nicht ersichtlich. Freilich kann bereits die bloße Gruppenzugehörigkeit einer Person ihre waffenrechtliche Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG a.F. begründen, wenn hieraus prognostisch auf Verwirklichung der Voraussetzungen der Buchst. a bis c zu schließen ist. Im Fall des Klägers wäre diese Unzuverlässigkeit darauf zu stützen, dass er zu den Personen gehört, bei denen „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie ... Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden“ (Buchst. a) oder „Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind“ (Buchst. c). Zwischen der Annahme der Unzuverlässigkeit und der Gruppenzugehörigkeit muss indes eine kausale Verbindung bestehen. Bestimmte Strukturmerkmale der Gruppe müssen die Prognose tragen, dass die Person zukünftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG a.F. verwirklichen wird (BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2015 – 6 C 1/14 –, juris Rn. 10). Ob diese zu dem Bandidos Motorcycle Club entwickelten Grundsätze aufgrund der verfassungsschutzbehördlichen Feststellungen zu „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ eins zu eins übertragbar sind, erscheint auch in Ansehung des allgemeinkundigen Polizistenmordes in Georgensgmünd 2016 fraglich, jedenfalls weitergehend begründungsbedürftig, denn eine einheitliche „Reichsbürgerbewegung“ gibt es nicht (so auch OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O., Rn. 35). Vielmehr existiert ein heterogenes Spektrum, das von unterschiedlich motivierten Einzelpersonen über Kleinst- und Pseudogruppierungen, einer unüberschaubaren Zahl von Internetpräsenzen, sogenannten Hilfsgemeinschaften für „Justizopfer“, bis hin zu sektenartigen, esoterisch geprägten Organisationen mit vergleichsweise geringer Mitgliederzahl reicht. Kleinste gemeinsame Nenner und gleichsam weltanschauliche Klammern dieses Spektrums sind die Leugnung der völkerrechtlichen Legitimität der Bundesrepublik Deutschland und die Nichtanerkennung ihrer Rechtsordnung (OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O.). Nicht ausreichend ist, dass solche Verhaltensweisen innerhalb der Gruppe regelmäßig vorgekommen sind oder noch immer vorkommen. Vielmehr müssen bestimmte Strukturmerkmale der Gruppe die Annahme rechtfertigen, dass gerade auch die Person, die in Rede steht, sie künftig verwirklichen wird (BVerwG vom 28. Januar 2015, juris Rn. 11). Ein solches Strukturmerkmal erscheint ungeachtet der festgestellten Waffenaffinität eher spekulativ. Für die Prognostik der Fälle des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG a.F. reichen bloße Vermutungen freilich nicht aus; vielmehr ist die waffenrechtliche Zuverlässigkeit – auch bei „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ – ein individuell zu prüfender Umstand (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 1 S 1470/17 – BeckRS 2017, 132013 Rn. 24 = juris Rn. 26).

Randnummer21
Auch wenn an die von § 4 Abs. 1 Nr. 4, § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG a.F. geforderte Prognose keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen (BVerwG vom 28. Januar 2015, juris Rn. 17), sprechen doch gewichtige Gründe dafür, wegen des Auftretens des Klägers jedenfalls für den Zeitraum zwischen Mai 2013 und Dezember 2014 eine nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG a.F. regelmäßig eintretende Unzuverlässigkeit anzunehmen (so BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 – 6 C 9/18 –, zu einem Funktions- und Mandatsträger der NPD; tendenziell auch Roth, NVwZ 2018, 1772 <1774>). Voraussetzung dafür wäre, dass der Kläger zu den Personen gehörte, „bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie einzeln oder als Mitglied einer Vereinigung Bestrebungen verfolgen oder unterstützen oder in den letzten fünf Jahren verfolgt oder unterstützt haben, die ... gegen die verfassungsmäßige Ordnung ... gerichtet sind“. Bei der „verfassungsmäßigen Ordnung“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der uneingeschränkten Prüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. Für die Auslegung kann auf die Rechtsprechung zu Art. 9 Abs. 2 GG zurückgegriffen werden, nach dessen zweiter Tatbestandsvariante Vereinigungen verboten sind, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten (BVerwG vom 19. Juni 2019, juris Rn. 23). Zusammengefasst finden sich die hier maßgeblichen Verfassungsgrundsätze in § 92 Abs. 2 StGB. Weiter muss sich diese Person oder Vereinigung gegen diese elementaren Grundsätze „richten“. Hierfür reicht es nicht aus, dass sie sich kritisch oder ablehnend gegen diese Grundsätze wendet oder für eine andere Ordnung eintritt; vielmehr muss sie nach außen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber den elementaren Grundsätzen der Verfassung einnehmen, wozu freilich schon genügt, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben will (BVerwG vom 19. Juni 2019, juris Rn. 23 m.w.N.). Zur Überzeugung des Gerichts ist dies bei den „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ unbeschadet der Vielgestaltigkeit ihres Auftretens der Fall. Die Annahme einer Staatsangehörigkeit des Königreichs Preußen, wie vom Kläger am 7. Juli 2014 bekundet, ist mit der Existenz des republikanischen Staatsverbands der Bundesrepublik Deutschland schlechterdings nicht zu vereinbaren, die wiederholte Renitenz bei der Geltendmachung vermeintlicher Rechtspositionen war auf ein fortlaufendes Untergraben gerichtet.

Randnummer22
b. Es bedarf indes keiner Entscheidung, ob nun in Fällen wie dem des Klägers die absolute Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG a.F. oder die Regelvermutung einer Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG a.F. anzunehmen ist, denn im Fall des Klägers ist zur Überzeugung des Gerichts, die es durch die Bekundungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, davon auszugehen, dass er sich von seinem Auftreten als „Reichsbürger“ unmissverständlich und beharrlich distanziert hat (vgl. BVerwG vom 19. Juni 2019, juris Rn. 36). Hinsichtlich der Anforderungen an eine glaubhafte Distanzierung kann aufgrund der identischen sicherheitsrechtlichen Schutzrichtung – Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – die ausländerrechtliche Rechtsprechung zu § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entsprechend herangezogen werden. Dementsprechend ist für eine glaubhafte Distanzierung zu verlangen, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Betroffene seine innere Einstellung verändert hat. Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es, dass der Betroffene in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit den einschlägigen sicherheitsrechtlichen Tatbestand erfüllt zu haben. Ohne Einsicht des Betroffenen in die Unrichtigkeit des ihm vorgeworfenen Handelns hat die Ankündigung einer Verhaltensänderung keine glaubwürdige Grundlage (vgl. VG München, Urteil vom 4. März 2020 – M 7 K 18.2530 – juris Rn. 34 m.w.N.). Der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, selbst dann, „wenn sich jemand (glaubhaft) selbst nicht als diesem Spektrum zugehörig betrachtet oder in einzelnen – auch wesentlichen – Bereichen von dort anzutreffenden Thesen nachvollziehbar und glaubhaft distanziert“, sei „[k]eine andere Beurteilung ... gerechtfertigt“ (Beschluss vom 3. Dezember 2018 – 7 B 11152/18 –, juris, Rn. 23), kann in dieser Pauschalität nicht gefolgt werden.

Randnummer23
Das Gericht ist davon überzeugt, dass dem Kläger durch das Einleiten des Widerrufsverfahrens mit Schreiben vom 16. August 2018 anschaulich und bewusstgeworden ist, wie sehr sein Renommee – auf das er ebenso in geschäftlicher Hinsicht angewiesen ist – unter seinem Auftreten als „Reichsbürger“ in der Zeit zwischen dem 15. Mai 2013 und dem 4. Dezember 2014 gelitten hatte und dass es beim Auftreten als „Reichsbürger“ nicht um eine Argumentation geht, mit der Verwaltung in der Legitimität ihres Handelns quasi spielerisch hinterfragt werden kann. Soweit der Kläger davon ausging, neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch die Staatsangehörigkeit des „Königreichs Preußen“ zu haben, steht dies im Widerspruch zu § 1 StAG, der von einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit ausgeht. Ungeachtet eines Interesses am eigenen Herkommen und früheren staatsrechtlichen Zuordnungen sind gängige „Reichsbürger“-Argumentationen staats- und verfassungsrechtlich nicht vertretbar.

Randnummer24
Die Anforderungen, die an den Nachweis einer Abkehr zu stellen sind, hängen von der Ausprägung der Zuordnung zum problematischen Personenkreis ab. Da es bei „Reichsbürgern“ (wie „Selbstverwaltern“) zuvörderst um eine Art des Auftretens geht, ist unabdingbare Voraussetzung, dass das einschlägige Verhalten strikt beendet wird. Dies ist bei dem Kläger, soweit für das Gericht aufgrund der Erkenntnislage ersichtlich, seit dem 4. Dezember 2014 der Fall. Die nicht erfolgte Rückgabe – auch – des vom 19. März 2008 bis zum 18. März 2018 gültigen Reisepasses (vgl. Bl. 89 BA I) genügt dafür freilich nicht. Darüber hinaus muss vielmehr – da es sich hier regelmäßig um Strukturen handelt, die kaum fassbar sind und aus denen man sich deshalb nicht durch eine formale Austrittserklärung verabschieden kann – die Abkehr durch weitere Umstände nach Außen erkennbar werden. Im vorliegenden Fall hat der Kläger durch die Wiederbeantragung eines Reisepasses, der vom 10. November 2017 bis 9. November 2027 gültig ist (vgl. Bl. 96 BA), sowie eines Personalausweises, der dem Kläger am 3. Januar 2019 ausgestellt wurde (Widerspruchsbescheid S. 6 = Bl. 14 = 36 d.A.), aber auch dadurch, dass er im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren nicht mit gängiger „Reichsbürger“-Argumentation die Legitimität des Beklagten bestritten hatte (vgl. schriftliche Bestätigung des E-Mail-Verkehrs durch Schreiben vom 23. August 2018, Bl. 110 f. BA I), sich distanziert. Zudem räumt der Kläger – auch im gerichtlichen Verfahren – ein, in den Jahren 2013 und 2014 mit reichsbürgertypischen Theorien und Anschauungen in Kontakt gekommen zu sein, bezeichnet diese jedoch rückblickend wörtlich als „Irrglauben“ und „haarsträubenden Unsinn“ (Klagebegründung vom 2. Oktober 2019 S. 5, 6, Bl. 52, 53 d.A.). Weiterhin betont er: „Was er seinerzeit zu Papier gebracht hat, sei ihm heute in höchstem Grade unangenehm und peinlich“ (Bl. 53 f. d.A.). Der Kläger hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf Befragen des Gerichts wiederholt, dass ihm rückblickend sein Verhalten peinlich und er einem Irrtum erlegen ist. Auf Grundlage des Auftretens des Klägers in der mündlichen Verhandlung und der nach Außen bekundeten Anerkennung des deutschen Rechtsstaates hat das Gericht keine Veranlassung, an der Glaubhaftigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Schließlich blieb die Anfrage des Gerichts beim Landesamt für Verfassungsschutz Hessen vom 4. Oktober 2019 im Hinblick auf etwaige Erkenntnisse über den Kläger unbeantwortet (Bl. 64 d.A.). Schon im Vorfeld des Widerrufsverfahrens kam es zu keiner Übermittlung etwaiger Erkenntnisse (vgl. Bl. 92 BA I). Aus dem in der mündlichen Verhandlung von dem Beklagten vorgelegten Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz Hessen vom 26. Mai 2020 ergibt sich lediglich, dass „der Sachverhalt dem Landesamt für Verfassungsschutz Hessen aus dem Informationsaustausch mit dem Hessischen Landeskriminalamt (HLKA) zwar bekannt ist, hier aber keine eigenen bzw. darüber hinaus gehenden Erkenntnisse vorliegen“ (Anlage zur Sitzungsniederschrift). Eine Anfrage beim Schützenverein (Bl. 80 BA I) ergab ebenfalls keine Auffälligkeiten, sondern eine reguläre Beteiligung des Klägers.

Randnummer25
Dem Beklagten bleibt es unbenommen, gegebenenfalls erneut ein Widerrufsverfahren einzuleiten, sollte das künftige Verhalten des Klägers hierzu Anlass bieten.

Randnummer26
2. Durch den Widerruf der Waffenbesitzkarte wird der Kläger jedenfalls in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt.

II.

Randnummer27
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen, weil er unterlegen ist. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären.

III.

Randnummer28
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 i.V.m. § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 709 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 6 500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes. Danach hat das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, den Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Das Gericht folgt dabei – wie in der vorläufigen Streitwertfestsetzung durch Beschluss vom 8. August 2019 – Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs 2013 (abrufbar über https://www.bverwg.de/user/data/media/streitwertkatalog.pdf) und setzt den Auffangwert in Höhe von 5000 Euro zuzüglich 750 Euro je weitere Waffe an. Die von dem Widerruf notwendig zugleich betroffene Munitionserwerbsberechtigung bleibt dabei streitwertmäßig unberücksichtigt (VG Frankfurt, Beschluss vom 14. November 2019 – 5 K 1230/19.F – ECLI:DE:VGFFM:2019:1114.5K1230.19.F.00)
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https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE200001028
Merke: Es genügt natürlich nicht, dämlich zu sein. Es soll schon auch jeder davon wissen!

„Nur weil es Fakt ist, muß es noch lange nicht stimmen!“ (Nadine, unerkannte Philosophin)
 
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