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Wenn man mehr liest als die ersten paar Zeilen und sich die üblichen Jura-Zauberformeln wegdenkt, bleibt eine ziemlich sachliche Grundlage des Urteils übrig: Die seinerzeit angewendete Rechtsgrundlage lässt umfangreiche und lang andauernde Kontaktverbote für alle nicht zu.
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Die alte Fassung des IfSG ging offenbar nicht von einer exponentiell verlaufenden Pandemie, sondern von einem mäßigen Infektionsgeschehen aus, bei dem man die gesundheitlichen Beeinträchtigungen einzelnen Individuen zuordnen kann. Folglich war der § 28 IfSG nicht eindeutig und überzeugend formuliert. Die Frage, ob man unter "ansteckungsverdächtig" ganze Bevölkerungen subsummieren kann, hätte in Anbetracht der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Übertragungswegen der Pandemie bereits im Frühjahr einer Antwort des Gesetzgebers bedurft.
Wobei sich die Frage stellt, ob der Gesetzgeber mit der Formulierung des § 28 Abs. 1 IfSG tatsächlich einen konkreten Zusammenhang zwischen den als "Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider" identifizierten Personen und denen, denen er die im weiteren Verlauf aufgezählten "notwendigen Schutzmaßnahmen" auferlegen läßt, herstellen wollte.
Denn der Rechtsfreund liest weiter: "... sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. ... Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes), der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt."
Da steht halt nichts davon, daß Veranstaltungen nur verboten werden sollen, wenn "Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider" daran teilnehmen wollen oder Badeanstalten erst dann geschlossen werden sollen, wenn "Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider" unmittelbar im Anmarsch sind ...
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Was ist ein Ansteckungsverdächtiger?
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Jemand, der in einer Situation war, in der er sich nach epidemiologischen Gesichtspunkten betrachtet anstecken konnte? Gäbe es Infektionen in einem Ferienlager, würde man demnach alle Teilnehmer unter Quarantäne stellen und nicht nur die Mibewohner von den betroffenen Bungalows.
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Die drei anderen könnte kann man medizinisch definieren (über Test und/oder Sympthome).
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Darüber hinaus wird nicht definiert, dass ein Ansteckungsverdächtiger selbst beweisen muss, dass er nicht ansteckend ist. In dem Fall (in dubio pro reo) gilt, dass die Behörde in meinen Augen diesen Ansteckungsverdacht belegen oder die Annahme desselben glaubhaft darlegen muss. Gibt es eine Quarantäneanordnung wegen Kontaktperson 1./2. Grades ist die Annahme in meinen Juralaienaugen glaubhaft dargelegt. Bei "random people" eher nicht.
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Das ist eben der Punkt, an dem das Konzept des IfSG ausweislich der §§ 29 bis 31 IfSG nicht auf Covid 19 und womöglich auch nicht auf zukünftige Pandemien ähnlicher Art zu passen scheint. Man hätte erwarten dürfen, daß der Gesetzgeber die Pandemie zum Anlaß nähme, Mängel zu beseitigen. Warum man sich beim schon beim beginnenden Abklingen dieser Pandemie (wenn es keine bundesweite Ausbreitung, aber noch lokale "Glutnester" gäbe und von "nationaler Tragweite" nicht mehr die Rede sein könnte) oder spätestens bei der nächsten wieder in dieselbe Situation bringen will
§ 28a IfSG
(1) Notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) können für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag insbesondere sein
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ist mir ein Rätsel. Es bräuchten nur die im UK oder die in Südafrika beschriebenen Mutanten wissenschaftlich als "Covid 20" bezeichnet werden und schon hätte der Gesetzgeber in den 14 Monaten seit Beginn der Pandemie faktisch nichts auf die Reihe gebracht.
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Allenfalls zum Eigenschutz der Personen, aber das wäre nun wirklich grundrechtlicher Overkill und so im Text auch nicht vorgesehen. Der Gesetzestext geht richtigerweise von einer Grundrechtsbeschneidung zum Wohle der Allgemeinheit bei Personen aus, die infektiös sind. Darin spiegelt sich auch wider, dass man bisher die Ausbruchsherde relativ schnell und begrenzt erkennen und eindämmen konnte.
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Man hat es zumindest geglaubt. In Wirklichkeit dürfte sich das bisherige Virus dreist in der jüngeren Bevölkerung verbreitet haben, ohne die Gesundheitsämter bei seiner Entscheidung zu beteiligen.
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Das Gesetz in seiner alten Fassung ist daher Resultat einer bis dahin relativ wirkungsvollen Epidemie-Bekämpfung,
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Nein. Wobei sich die Frage nach dessen Entstehungsgeschichte nicht stellt. Tatsache ist, daß die Bundesrepublik mit ihrer Rechtsgrundlage ebenso wenig wie Schweden auf eine Erkrankung dieser Art vorbereitet war, obwohl sie das nach den Erfahrungen der Asiaten mit Sars 1 vermutlich hätte sein können. Nach dem, was die "allwissende Müllhalde" dazu schreibt, wären nach 2002 allgemeine Kontaktbeschränkungen kein fernliegendes Mittel zur Eindämmung einer Epidemie gewesen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schweres_akutes_AtemwegssyndromMan hätte nur § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG neu zu fassen gehabt, indem man das Tragen von PSA in die Aufzählung der Maßnahmen aufnimmt und den Kreis zu schließender Einrichtungen nicht mehr nur auf Badeanstalten beschränkt.