In Weinheim sind wohl mal wieder die Drucker von ein paar "Reichsbürgern" heiß gelaufen und man hat "Aufklärungsflyer" gedruckt.
Die "Lügenpresse" versucht zu recherchieren. Es bleibt aber bei einem Versuch.
Spoiler
Reichsbürger-Post in Weinheimer Briefkästen?
Weinheim, 11.04.2018
Weinheim. Ein zweiseitiges, anonymes Schreiben, eng bedruckt, überschrieben mit dem Wort „Aufklärung“ landete vergangene Woche in zahlreichen Briefkästen in der Stadt. Zwei Seiten vollgepackt mit Text, Linkstipps zu unterschiedlichen Internetseiten, Youtube-Videos und Buchempfehlungen, sprachlich gut ausformuliert.
Nun könnte man das tun, was man mit anonymen Schreiben normalerweise tun sollte – sie in den Mülleimer werfen. Manchmal lohnt sich aber ein zweiter Blick. Was sind das für Links? Wo führen sie hin? Was will der Verfasser damit sagen?
Die Redaktion hat sich das Schreiben genauer angesehen und auf Spurensuche im Internet begeben. Gelandet ist sie in einem schier unendlichen Dschungel aus Verschwörungstheorien auf rechten und rechtsradikalen Internetseiten, in einer virtuellen Parallelgesellschaft, in der Menschen das Rechtssystem und weit mehr infrage stellen. Der Verfasser ist unter anderem Anhänger der Theorie, es gäbe einen sogenannten Kalergi-Plan. Dahinter steckt die Überzeugung, dass die „Flüchtlingskrise“ ein von „langer Hand“ eingefädelter Plan der sei, um die westliche Bevölkerung durch andere „Rassen“ zu ersetzen. Letztere sollen dann – weil weniger intelligent – leichter von den „führenden Mächten“ zu steuern sein, so die Theorie.
Ganz weit vorne bei diesen sogenannten „führenden Kräften“ sind für die Anhänger dieser Idee „die Juden“, gerne personalisiert durch den US-amerikanischen Investor George Soros. Die Theorie des Kalergi-Plans ist also nicht nur zutiefst rassistisch, weil hier die Behauptung aufgestellt wird, die weiße, westliche Bevölkerung sei intelligenter, als andere Bevölkerungsgruppen, sondern auch von Grund auf antisemitisch, weil sie das Bild des „strippenziehenden Juden“ bemüht. Aber das ist nicht alles. Offensichtlich gehört der anonyme Schreiber zu jenen die den deutschen Rechtsstaat in Gänze infrage stellen. Unter dem Punkt „Staatsangehörigkeit“ wird vom Autor indirekt empfohlen, sich einen Staatsangehörigkeitsausweis zu besorgen, den so genannten „Gelben Schein“. Und diesen „Gelben Schein“ besorgen sich mit Vorliebe so genannte Reichsbürger.
Das sind Menschen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als souveränen Staat bestreiten und behaupten, dass das Deutsche Reich weiterhin fortbestehe. Sie schwören auf dieses amtliche Dokument, weil es letztlich auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 zurückgeht, als es die Bundesrepublik Deutschland noch nicht gab.
Vier Anträge beim Landratsamt
Aber gibt es tatsächlich Reichsbürger in Weinheim? Die Redaktion hat im Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises nachgefragt, ob es Weinheimer gibt, die so einen „Gelben Schein“ beantragt haben.
Und tatsächlich. Es gibt vier Anträge von Bürgern der Stadt Weinheim auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises, „die inhaltlich einen ersten Verdacht auf die Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene begründen, da sie sich auf das Deutsche Kaiserreich, das Königreich Preußen beziehungsweise auf das Großherzogtum Baden beziehen“, heißt es aus der Pressestelle des Landratsamtes. Die Ausweise wurden auch ausgestellt. Man benötigt sie allerdings zu gar nichts. Und warum gibt es sie dann? „Vorschrift“, heißt es aus dem Amt.
Erwiesen sei damit die Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene allerdings noch nicht. Auch die Redaktion kann freilich nicht beschwören, dass es sich bei dem anonymen Schreiben um ein Schreiben aus der Feder eines überzeugten Reichsbürgers handelt, auch wenn vieles dafür spricht.
Sicher ist: Der Verfasser glaubt zwar nicht an den Rechtsstaat, dafür aber felsenfest an die Existenz von Chemtrails und okkulten Symbole auf dem Personalausweis. Er schaut gern esoterische Online-Fernsehesender und liest mit Vorliebe Bücher aus dem Kopp-Verlag, einem Verlag, der jahrelang Ufo-Bücher veröffentlichte, aber inzwischen zusätzlich eine Vielzahl von rechten und verschwörungstheoretischen Werken verlegt. Und all diese Informationen legt er unter dem Titel der „Aufklärung“ auch seinen Flugblatt-Lesern ans Herz. Nun mag der eine oder andere Leser vielleicht schmunzeln über all das. Auch deshalb lohnt ein Blick in den aktuellen Verfassungsschutzbericht zum Thema Reichsbürger.
500 bis 600 Rechtsextreme
Dort heißt es: „Die Szene umfasst gegenwärtig rund 10 000 Personen, davon 500 bis 600 Rechtsextremisten. Die Reichsbürgerszene hat sich im vergangenen Jahr zunehmend radikalisiert. Die Agitation im Internet sowie in sozialen Netzwerken hat sich zunehmend enthemmt. 700 Personen haben eine waffenrechtliche Erlaubnis.“ shy