Spoiler
„Regierungsgeschäfte“ im Fantasiestaat
Von Sebastian Lipp
20.09.2017 -
Der ehemalige „Innenminister“ der „Republik Freies Deutschland“ wurde am Dienstag als Passfälscher verurteilt.
„Amtliche“ Dokumente der „Republik Freies Deutschland“ ausgestellt; (Screenshot: S.L.)
„Papier anfassen, das war meine Mitarbeit.“ Mehr will der ehemalige Leiter des „Passamtes“ der „Republik Freies Deutschland“ (RFD) nicht zur Herstellung von Dokumenten beigetragen haben, die der Fantasiestaat als vermeintliche Reisepässe, Ausweise und Führerscheine herausgegeben hat. Dennoch musste sich Thomas N. am 19. September vor dem Amtsgericht Memmingen wegen Urkundenfälschung verantworten.
Seit 2011 bezweifelt der Angeklagte, ob Deutschland wohl ein richtiger Staat sei. Im Jahr zuvor verlor der heute 50-Jährige seine Anstellung in seinem Ausbildungsberuf als Maschinenbautechniker. Seit dem lebt er von Zuwendungen seiner Eltern, sagt er. Zweifel an der Existenz Deutschlands als Staat – das ist auch das Lieblingsthema so genannter „Reichsbürger“, die die Bundesrepublik gerne etwa als Firma im Griff dunkler Mächte vorstellen oder sie anderweitig verschwörungsideologisch verklären. Für den Angeklagten sei Deutschland „de facto“ ein echter Staat, das sei nicht zu leugnen. Das jedenfalls erklärt der Verteidiger des Angeklagten für seinen Mandanten. Er selbst äußert sich öffentlich nicht dazu, das Etikett „Reichsbürger“ weist er vehement von sich. Man darf davon ausgehen, dass die Formulierung des Berliner Juristen ganz bewusst für den Angeklagten gewählt wurde.
Putsch in der „Republik Freies Deutschland“
Die Betreiber des „1. echten Staates auf deutschen Boden, nach 1945“, als die sie die „Republik Freies Deutschland“ verstanden, verkündeten einst auf ihrer Homepage, das Deutsche Reich bestehe „völkerrechtlich“ weiter. Man habe „einen Staat gegründet, damit Deutschland nach fast 70 Jahren endlich frei werden kann“ – in den Grenzen von 1937 versteht sich. Der Leipziger „Mentaltrainer“ und Verschwörungsideologe Peter Frühwald, der sich zuerst unter „staatliche Selbstverwaltung“ gestellt haben will, startete das „Reichsbürger“-Projekt am 1. Mai 2012 und ließ sich zum „Kommissarischen Präsidenten“ ernennen. Frühwald wurde aber bereits am 17. September 2012 wieder abgesetzt. Er reagierte mit einer Meldung, die „Putschisten“ aus der Regierung zu entlassen und die Republik als „Freies Deutschland“ ohne den Zusatz „Republik“ weiter zu führen. (bnr.de berichtete)
Im Folgejahr machte sich die Staatsschutzabteilung der Memminger Kriminalpolizei daran, diese „Parallelwelt“ zu „beleuchten“. So schilderte es der 48-Jährige Kripo-Beamte M. am Dienstag vor Gericht. 2013 sei seine Abteilung erstmals auf die RFD aufmerksam geworden. Als die Polizei einen der Anhänger des Schein-Staates mit einem der gefälschten Dokumente aufgriff, begannen die Ermittlungen. „Damals waren die ‚Reichsbürger‘ noch nicht so der Hype wie jetzt“, erklärt der Polizist, für den sich das Phänomen der Staatsleugner und -gründer zu der Zeit noch „im Verborgenen“ abspielte. Also begann er zu recherchieren – und fand den öffentlichen Internetauftritt der „Republik Freies Deutschland“. Über eine auf der Homepage angegebene Telefonnummer nahm die Polizei erstmals Kontakt zu einer der Betreiber auf. Sie lieferte offenbar Hinweise auf weitere Beteiligte.
„Kabinettsitzungen“ im Internet-Chat
In der Folge durchsuchten Ermittler mehrere über das Bundesgebiet verstreute Objekte, in denen die „Regierungsgeschäfte“ abgewickelt wurden – darunter das vom „Staatssekretär Haushalt“ geleitete „Bürgeramt Allgäu“ im schwäbischen Krumbach und die Anschriften vom „Minister für Haushalt und Finanzen“ sowie einer Buchhalterin der RFD. Schriftverkehr, diverse Siegel, Dokumentenpapier, Vordrucke und falsche Ausweise füllten mehrere Kisten. Das Material war derart umfangreich, dass die Ermittler eine Digitalisierung der Asservate veranlassten. Um nicht jedes Dokument lesen zu müssen, durchsuchten die Sachbearbeiter der Memminger Kripo die Daten zur Auswertung nach Schlagworten.
Nach dem Ausscheiden von Peter Frühwald haben die „Putschisten“ die „Regierungsgeschäfte“ offenbar weitergeführt. Im Internet-Chat von Teamspeak besprach das „Kabinett“ des Fantasiestaates die Herstellung von Führerscheinen, Ausweis- und Passdokumenten. An den „Kabinettssitzungen“ nahm auch der Angeklagte als „Innen-“ und „Verkehrsminister“ teil. „Alle Pässe müssen bei Interpol registriert werden um einen einwandfreien Ablauf an Flughäfen und Grenzen zu gewährleisten“, heißt es in einem von der Polizei zu den Asservaten genommenen Protokoll. Auch den Vereinigten Nationen (UN) hat der Fantasie-Staat demnach angehören wollen.
Die Ansprüche an die Dokumente waren hoch, also musste eine professionelle Druckerei gefunden werden. Fündig wurden die vermeintlichen Staatsgründer im niederbayerischen Landkreis Regen. Die Besucherin einer Veranstaltung der RFD berichtete ihrem Lebensgefährten Michael H. vom Bedarf der „Republik“. Dieser fand das Konzept „sehr interessant“, wie er als Zeuge vor Gericht sagte und bot die Dienste seines Unternehmens an. Als Auftraggeber und Abnehmer sei der Angeklagte in Vertretung der RFD aufgetreten. Zunächst wurden 8000 so genannte KfZ-Scheine als Blanko geordert. Auch Reisepässe sollten hergestellt werden. Thomas N. hat das Papier dafür ausgesucht. Eine Lieferung will der Zeuge persönlich zu N. nach Nürnberg ausgeliefert haben.
Indizien für Druckerei in Österreich
Mit der Ausführung des Auftrages war man bei der RFD aber unzufrieden und verweigerte die Zahlung. Man habe keine „Spielzeugausweise“ bestellt. Der Drucker indes will absichtlich penibel darauf geachtet haben, dass die Dokumente nicht zu echt wirken. Das sei schließlich verboten. Spätere Aufträge wurden über eine Druckerei abgewickelt, die offenbar zufrieden stellende Ergebnisse lieferte. Die Polizei konnte sie nicht ermitteln, wertet aber die Erwähnung einer „Österreichische Staatsdruckerei“ und die dokumentierten Fahrten des Angeklagten als Indizien für einen Druckstandort in der Alpenrepublik.
Die Vereinigung hat offenbar viel Geld umgesetzt. Für Beträge von 50 Euro und mehr wurden die Druckerzeugnisse über die Homepage der RFD vertrieben. In der Anklageschrift sind beinahe 100 solcher Fälle erfasst. Eine Zeugin berichtete der Polizei von einer Art monatlicher Steuer. Jedes Mitglied, von denen es laut Verteidigung rund 240 gegeben haben soll, habe 10 Euro pro Monat an den „Staat“ abführen sollen.
In alledem sah die Staatsanwaltschaft eine Reihe gewerbsmäßiger Urkundenfälschungen und beantragte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und eine Geldauflage von 2000 Euro. Die Reisepässe aus der niederbayerischen Druckerei bewertete die Anklagebehörde wegen der minderen Qualität als versuchte Urkundenfälschung. Die Richterin konnte die Gewerbsmäßigkeit nicht mit letzter Sicherheit feststellen und verhängte zehn Monate Freiheitsstrafe plus 200 Stunden gemeinnützige Arbeit. Die Strafe wurde auf drei Jahre Bewährung ausgesetzt. Der Verteidiger hätte gerne eine Geldstrafe für seinen Mandanten erstritten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Ob sich irgendeiner von denen mal wirklich fragt, warum es Frühwald selbst nie richtig an den Kragen geht?