"Four corners rule" ist eine Metapher, d. h. ein bildhafter Ausdruck des Rechtsenglischen. Bildhafte Ausdrücke sind keine Besonderheit der englischen Rechtssprache, sondern sind auch im Deutschen durchaus üblich. So spricht man z. B. vom rechtlichen Gehör, obwohl dieses außerhalb des Strafverfahrens weitgehend schriftlich gewährt wird, oder auch von der "Waffengleichheit" der Parteien in einem Prozess, sogar von "gleich langen Spießen" für diese u. dgl. mehr.
Gerade im angelsächsischen Rechtskreis umfassen Verträge oft mehrere Seiten bzw. Blätter, somit kann streng genommen nicht von den vier Ecken eines Papiers gesprochen werden. Der Sinn ist einfach der, dass eben ein Vertrag (oder eine andere Rechtsschrift) nach ihrem Wortlaut verstanden und ausgelegt werden muss, nicht nach irgendwelchen nicht vorliegenden oder nicht schriftlich festgehaltenen Abreden.
Hintergrund dieser Doktrin ist, dass im angelsächsischen Rechtskreis die Rolle des geschriebenen Rechts, aber etwa auch von AGB eine andere ist als im europäischen Rechtsleben.
Durch Abschneiden einer Ecke gewinnt man allerdings nichts und fügt auch nichts hinzu. Es gilt der Wortlaut eines Vertrages oder sonstigen Rechtsdokuments. Das wird auch bei einer Kreditkarte so sein, denn wenn man z. B. mit den auf einer Kreditkarte enthaltenen Angaben eine Bestellung im Internet aufgibt, gilt nach dem Kreditkartenvertrag die Bestellung als rechtskräftig, ebenso die Ermächtigung zur Zahlung mittels Belastung auf die Kreditkartenrechnung als erteilt. Dass die Karte eine Ecke ab hat, bekommt weder der Transaktionspartner noch das Kreditkartenunternehmen mit.
Die Sache ist aber aus einem anderen Grund bescheuert. Durch abschneiden einer Ecke kann man eine Kreditkarte u. U. unbrauchbar machen. Fehlt eine Ecke, ist es ggf. nicht mehr möglich, diese an einem Automaten, einem Kassenterminal o. dgl. einzusetzen. Aber schlimmer noch: Es gilt als anerkannt und ist zumindest teilweise ausdrücklich in einschlägigen Verträgen, AGB oder sogar in Gesetzen geregelt, dass man Kreditkarten, Schecks, Wechsel, Ausweise und Papiergeld durch Zerschneiden, Zerteilen oder Lochen ungültig macht. Die Kreditkartenverträge fordern zum Teil sogar ausdrücklich dazu auf, eine Karte in gewissen Fällen unbrauchbar zu machen und zu diesem Zweck zu zerschneiden. Das Abschneiden einer Ecke könnte dafür schon genügen.
Dies ist nun in der Tat kein RD-Mythos, sondern ein täglich geübter Rechtsbrauch, der auch durch Verträge, Gesetze und Rechtsprechung anerkannt wird.
Mit einer ungültig gemachten Kreditkarte kann auch ein RD keine Transaktionen mehr abwickeln. Ecke abschneiden, um nicht zahlen zu müssen, kann also, um es mit einer Metapher auszudrücken, nach hinten losgehen.