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Das Leben des Beowulf von P. verlief in geregelten Bahnen. Familie und ein Traumberuf als Forstingenieur in den bayerischen Wäldern. Doch ein Arbeitsunfall machte das zunichte, er geriet mit dem Gesetz in Konflikt und jetzt sitzt er auf der Anklagebank des Bezirksgerichts im schweizerischen Rheinfelden. Vorgeworfen werden ihm unter anderem der illegale Aufenthalt in der Eidgenossenschaft und das Fälschen von Ausweisen und Autokennzeichen.
Gerichtspräsident Christoph Lüdi hat es nicht leicht in diesem Prozess der etwas anderen Art. Denn der Angeklagte verfolgt zwei Ziele: Seine Anerkennung als politisch Verfolgter und die Erstellung eines Gutachtens, das klären soll, dass der Freistaat „Freie Stadt Danzig“ nach wie vor existiert. Er selbst bezeichnet sich als dessen „Senatspräsident“, und der VW Golf, der im Juni 2012 einem Beamten der Regionalpolizei in der Rheinfelder Roberstenstraße aufgefallen war, trug die ungewöhnlichen Kennzeichen FDA-01 DA. Die Zulassungsbescheinigung, die der Angeklagte wenige Tage später vorlegte, war von der „Verwaltungsgemeinschaft Freie Stadt Danzig“ ausgestellt, ebenso wie der Reisepass, mit dem sich der „Senatspräsident“ schon ein halbes Jahr zuvor bei einer Polizeikontrolle in Urdorf ausgewiesen hatte.
„Was ist daran falsch?“, fragt Beowulf von P. am Ende der Verhandlung den Gerichtspräsidenten, schließlich hat er zuvor doch aus seiner Sicht klar nachgewiesen, dass die Freie Stadt Danzig nach wie vor existiert, wozu er nicht zuletzt eine Veröffentlichung des Zürcher Professors Urs Saxer heranzieht. Als Beweis für die Existenz der Freien Stadt nennt er den Friedensvertrag von Versailles aus dem Jahr 1919, und auf den Einwand des Gerichtspräsidenten, dass es seitdem doch erhebliche politische Umwälzungen gegeben habe, fragt von P.: „Welche?“
Bundesrepublik schuldet ihm angeblich 403 Millionen Euro
Der Angeklagte selbst hat zwar Danzig noch nie gesehen, und sein Vater, als dessen Erbwalter er sich sieht, war Engländer und lebte ebenfalls nur zwei Jahre in Danzig. Trotzdem glaubt er, Reparationsansprüche gegenüber der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 40 bis 80 Millionen Euro zu haben, und auch die Reparationsansprüche der Freien Stadt will er durchsetzen, „bevor es die Polen und die Griechen und andere tun und nichts mehr übrig ist“.
Auch sonst glaubt der Angeklagte, dass die Bundesrepublik ihm einiges an Geld schuldet: 403 Millionen Euro etwa für die Zeit, die er seiner Ansicht nach unschuldig in deutschen Gefängnissen verbracht hat. Denn dort war er gelandet, als er sich nach seinem Ausscheiden aus dem bayerischen Forstdienst als Unternehmensberater und Makler verdingte und vom Landratsamt Coburg wegen Betrugs angezeigt wurde. Er wurde verurteilt, ebenso wegen illegalen Waffenbesitzes, was er bestreitet. Er erkennt die Urteile nicht an, kontert mit Strafanzeigen wegen der Verfolgung Unschuldiger, gründet 2006 den „Bund für das Recht“, der sich wiederum als Sachwalter der Freien Stadt Danzig sieht.
Wie viele Mitglieder diesem Bund angehören, will er auch dem Berichterstatter in einer Verhandlungspause nicht verraten. Nur soviel: Nachdem sich auf eine Stellenausschreibung niemand meldete, habe er sich gezwungen gesehen, das Amt des „Senatspräsidenten“ zu übernehmen.
Als solcher setzte er sich 2009 in die Schweiz ab, stellte zwei Anträge auf Aufenthaltsbewilligung, die aber beide abgelehnt wurden. Dennoch lebt er seit Jahren in Schweizer Rheinfelden, ein Auslieferungsersuchen der bayerischen Justiz wurde 2014 „aufgrund fehlender beidseitiger Strafbarkeit“ abgelehnt, woraus von P. einen Status als politisch Verfolgter ableitet. Und beim Zitieren aus einem Schriftstück muss Gerichtspräsident Lüdi den Angeklagten darauf hinweisen, dass dieser vorlesen solle, „was da steht, und nicht, was Sie glauben, dass da steht“.
Die Anwälte des 63-Jährigen in den bisherigen Verfahren haben ihr Mandat bisher nie lange ausgeübt, weshalb er seine Verteidigung selbst übernimmt. Dabei vermischt er vor dem Hintergrund seines politischen Anliegens immer wieder die verschiedenen Verfahren in Deutschland und der Schweiz, weshalb Lüdi mehrfach klarstellt: „Wir klären hier ab, was in der Schweiz war.“
Geldstrafe zu 120 Tagessätzen zur Bewährung
Am Ende der über vierstündigen Verhandlung verurteilt der Gerichtspräsident den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 40 Schweizer Franken, die Strafe wird auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Die Durchsetzung politischer Rechte müsse auf politischem Weg erreicht werden und nicht „durch die Ausstellung von Ausweisen einer selbst ernannten Gruppierung“, stellt Lüdi klar. Was das Urteil für den weiteren Aufenthalt des „Senatspräsidenten“ bedeutet, müssen die Migrationsbehörden klären. Aber, wie sagt Beowulf von P.: „Wir Danziger sind Weltbürger.“