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Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 8. März 2019 ist gegenstandslos.
Gründe
I.
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a) Das Landgericht München II verurteilte den Betroffenen am 25. Februar 2009, rechtskräftig seit dem 5. August 2009 (Az.: 2 KLs 11 Js 42142/07), wegen Volksverhetzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren. Des Weiteren verurteilte das Landgericht Potsdam am 11. März 2009, rechtskräftig seit dem 18. August 2009 (Az.: 24 KLs 4/06, 1654 Js 25729/02), den Verurteilten wegen Volksverhetzung in 19 Fällen zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen von 2 Jahren 4 Monaten und von 2 Jahren 10 Monaten. Die Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 4 Monaten wurde wegen Volksverhetzung in 15 Fällen unter Einbeziehung der Entscheidungen des Amtsgerichts Mainz vom 9. September 2002 (3613 Js 25487/01) und des Landgerichts Hamburg vom 20. Januar 2005 (708 Ns 179/04) gebildet. Wegen weiterer 4 Taten der Volksverhetzung erkannte das Landgericht Potsdam auf eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 10 Monaten.
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Das Landgericht München II hat mit Gesamtstrafenbeschluss vom 15. April 2010, rechtskräftig seit dem 22. Juli 2010 (Az.: 2 KLs 11 Js 42142/07), aus den Strafen aus dem Urteil des Landgerichts München II vom 25. Februar 2009 (6 Jahre Freiheitsstrafe, Az.: 2 KLs 11 Js 42142/07) sowie aus der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Erding vom 28. April 2008 (10 Monate Freiheitsstrafe wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Volksverhetzung und mit Beleidigung und mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, Az.: 2 Ds 2 Js 36110/07) und aus den Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Potsdam vom 11. März 2009 (Az.: 24 KLs 4/06) betreffend die vier Taten der Volksverhetzung aus der Zeit von Februar 2005 bis März 2005 (2 Jahre 10 Monate Gesamtfreiheitsstrafe) nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 10 Monaten gebildet. Daneben ließ das Landgericht München II die Gesamtstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten wegen der Straftaten aus dem Zeitraum Dezember 2002 bis 16. Januar 2005 (15 Fälle der Volksverhetzung) und der Straftaten aus den vom Landgericht Potsdam einbezogenen Entscheidungen des Amtsgerichts Mainz vom 9. September 2002 (3613 Js 25487/01) und des Landgerichts Hamburg vom 20. Januar 2005 (708 Ns 179/04) bestehen.
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Wegen der jeweiligen Tatfeststellungen im Einzelnen wird auf die vorgenannten Urteile und wegen der Gesamtstrafenbildung auf den vorbezeichneten Beschluss des Landgerichts München II vom 15. April 2010 (Az.: 2 KLs 11 Js 42142/07) verwiesen.
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b) Der Verurteilte befand sich aufgrund des Haftbefehls des Landgerichts München II vom 25. Februar 2009 von diesem Tag an bis zum 4. August 2009 in Untersuchungshaft und seit der am 5. August 2009 eingetretenen Rechtskraft der Entscheidung des Landgerichts München II vom 25. Februar 2009 (Az.: 2 KLs 11 Js 42142/07) in Strafhaft. Seit dem 6. Oktober 2009 ist der Verurteilte in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel inhaftiert, wo er sich in der Zeit vom 26. Juli 2012 bis zum 23. Mai 2013 im offenen Vollzug befand. Die Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten ist inzwischen vollständig vollstreckt. Das Terminsende ist auf den 27. Oktober 2020 notiert.
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c) Nachdem dem Verurteilten am 14. Juli 2015 der linke Unterschenkel amputiert werden musste, hat die Staatsanwaltschaft München II mit Verfügung vom 17. Juli 2015 und mit Wirkung ab dem selben Tag die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Landgerichts München II vom 15. April 2010 unterbrochen. In der folgenden Zeit setzte sich der Verurteilte, nachdem die Staatsanwaltschaft München II mit Verfügung vom 30. März 2017 die Unterbrechung der Vollstreckung wegen erneuter Straffälligkeit des Verurteilten widerrufen hatte, nach Ungarn ab, wo er am 15. Mai 2017 festgenommen wurde. Nach seiner Auslieferung durch die ungarischen Behörden befindet sich der Verurteilte wieder in der JVA Brandenburg. Seit dem 24. Oktober 2018 ist er ununterbrochen in medizinischen Einrichtungen untergebracht, seit dem 14. Januar 2019 in der Krankenabteilung der JVA Brandenburg. Am 4. Dezember 2018 wurde ihm sein zweiter Unterschenkel amputiert. Der Verurteilte leidet zudem an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus, einer chronischen Niereninsuffizienz im Stadium III, einer arteriellen Hypertonie sowie an einem permanenten Vorhofflimmern bei Verdacht auf eine koronale Herzerkrankung. Nach ärztlicher Stellungnahme vom 8. April 2019 befindet sich der Verurteilte in einem stabilen Allgemeinzustand, aufgrund seiner Gangunsicherheit bestehe indes Sturzgefahr und er benötige dauerhaft pflegerische Hilfestellungen.
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d) Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel hat unter dem 6. November 2018 für den Verurteilten die Unterbrechung der Strafvollstreckung wegen Vollzugsuntauglichkeit gemäß § 455 Abs. 4 Nr. 3 StPO beantragt, welchem sich der Verurteilte angeschlossen hat.
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Diesen Antrag hat die Staatsanwaltschaft München II mit Bescheid vom 22. November 2018 abgelehnt.
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Seinen hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 26. November 2018 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam mit Beschluss vom 8. März 2019 als unbegründet zurückgewiesen.
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Gegen diesen ihm am 11. März 2019 zugestellten Beschluss hat der Verurteilte mit Verteidigerschriftsatz vom 12. März 2019 sofortige Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 27. Mai 2019 begründet.
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Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
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Die nach §§ 462 Abs. 3 Satz 1, 311 Abs. 2 StPO zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Die sofortige Beschwerde ist prozessual überholt, nachdem die Vollstreckungsbehörde auf der Grundlage geänderter Verhältnisse am 6. Mai 2019 neu entschieden hat, die Vollstreckung der gegen den Verurteilten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe wegen dessen Erkrankung nicht zu unterbrechen.
Durch sein Rechtsmittel kann der Verurteilte nämlich nicht mehr erreichen, dass die Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft München II vom 22. November 2018 wegen mutmaßlicher Ermessensfehler erneut getroffen werden müsste, da die Vollstreckungsbehörde inzwischen eine neue Ermessensentscheidung getroffen hat. Die prozessuale Überholung ist auch erst nach der Einlegung der Beschwerde eingetreten, so dass keine Verwerfung der Beschwerde als unzulässig in Betracht kommt.
Wiederholt hat die Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel die Unterbrechung der Vollstreckung der gegen den Verurteilten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe wegen dessen Erkrankung bei der Vollstreckungsbehörde angetragen, zuletzt unter dem 9. April 2019.
Zwar dürfte die Justizvollzugsanstalt nicht berechtigt sein, eine Vollzugsunterbrechung gemäß § 455 Abs. 4 StPO bei der Vollstreckungsbehörde zu beantragen, es steht ihr indes frei bzw. in ihrer Pflicht, bei der Strafvollstreckungsbehörde anzuregen, die Vollstreckung zu unterbrechen, wenn nach ihrer Ansicht bei dem Verurteilten Vollzugsuntauglichkeit gemäß § 455 Abs. 4 vorliegt und eine Verlegung nach den Maßgaben der §§ 58, 65 StrVollzG nicht in Betracht kommt (vgl. Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Auflage § 65 Rn. 94 ff; in analoger Anwendung für den Fall menschenunwürdiger Haftbedingungen BGH NJW-RR 2010, 1465).
Die Staatsanwaltschaft München II, die zunächst nach der jeweils neuen Sachlage wiederholt an ihrer Ablehnungsentscheidung vom 22. November 2018 festgehalten hat, hat auf die letzte Anregung der Justizvollzugsanstalt vom 9. April 2019 mit Verfügung vom 5. Mai 2019 „die Unterbrechung auch unter Berücksichtigung des neuerlichen Vorbringens zum jetzigen Zeitpunkt“ abgelehnt. Als Grundlage für ihre Entscheidung hat sie die ärztliche Stellungnahme des Anstaltsarztes Dr. Zeh vom 8. April 2019 herangezogen.
Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Rechtsschutz nach Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzzieles zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gibt keinen Anlass zu einer anderen Entscheidung. Ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung kann nach Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Insofern entfällt das Rechtsschutzinteresse nicht, wohl aber ändert sich der Prozessgegenstand. Dies ist der Fall, wenn das gerichtliche Verfahren dazu dienen kann, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen (BVerfG NJW 2006, 40).
Da der Ermessensentscheidung der Strafvollstreckungsbehörde über einen Antrag des Verurteilten oder eine Anregung der Vollzugsanstalt zur Unterbrechung der Vollstreckung gemäß § 455 Abs. 4 Nr. 3 StPO jeweils der aktuelle Gesundheitszustand des Verurteilten zugrunde zu legen ist, ist eine Wiederholungsgefahr nicht zu befürchten. Auch eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen beendeten Eingriff liegt erkennbar nicht vor, da die Vollstreckung noch andauert. Ein Anspruch auf nachträgliche gerichtliche Prüfung der Rechtsmäßigkeit der Entscheidung der Vollstreckungsbehörde besteht hiernach nicht.
Gegen die letzte Entscheidung der Vollstreckungsbehörde kann der Verurteilte nunmehr erneut gemäß § 458 Abs. 2 StPO Einwendungen erheben, über die zunächst die Strafvollstreckungskammer zu entscheiden haben wird.
Die Sachlage ist danach die, dass die in diesem Falle (völlig zu Recht hartleibige) Vollstreckungsbehörde aufgrund einer neuen Unterbrechungsanregung durch die Anstalt eine neue Ermessensentscheidung getroffen hat, wodurch die "alte" Entscheidung, die den Gegenstand des Verfahrens bildete, überholt ist. Das von H.M. erwähnte Schreiben der StA vom 18.02.2019 an die Vollstreckungskammer wird in dem Beschluss nicht erwähnt. Es handelt sich aber wohl auch nicht um eine eigenständige Entscheidung in Form eines "Verwaltungsakts", die hier Gegenstand des Verfahrens sein oder gar einen Vertrauenstatbestand begründen könnte.
Die Ausführungen des Insassen gehen daher wohl an der Sache vorbei. Nicht unproblematisch - völlig unabhängig von diesem Einzelfall - ist allerdings, dass die Behörde aufgrund einer neuen Anregung der Anstalt durch eine neue Ermessensentscheidung das Verfahren zur Erledigung bringen kann. Im Verwaltungsrecht werden neue Ermessenserwägungen infolge einer veränderten Sach- oder Rechtslage schlicht in das laufende Verfahren einbezogen (§ 114 Abs. 2 VwGO). Warum dies bei der Strafvollstreckung anders sein sollte, mit der Folge der Möglichkeit einer Verhinderung (ober-) gerichtlicher Entscheidungen durch immer neue Ermessensentscheidungen, erschließt sich mir nicht. Lässt man das Mimimi und Gepöbel von H.M. außer Betracht, so erheben sich unabhängig von dem hier Betroffenen doch noch ein paar Fragen. Vielleicht weiß dazu jemand von den Strafrechtlern noch was beizutragen. Auf vorangegangene Rechtsprechung beruft sich das OLG jedenfalls nicht.