Noch ein Artikel zum Prozessbeginn.
Spoiler
„Mein Wort ist hier Gesetz“
Justiz Verschwörungstheoretiker, Neonazis oder einfach Spinner? Die Bewegung der „Reichsbürger“ wurde lange nicht ernst genommen. Bis Wolfgang P. in Georgensgmünd einen Polizisten erschoss. Kommende Woche beginnt der Prozess Von Bernard Darko und Aleksandra Bakmaz, dpa
Georgensgmünd/München Die Grenzen des „Regierungsbezirks Wolfgang“ sind noch da. Um sein Grundstück hat der Hausherr lange gelbe Linien gezogen, gewissermaßen sein Revier abgesteckt. Und wer die Botschaft noch immer nicht verstanden hat, dem sei ein Blick auf den Briefkasten empfohlen. Auf einem angenagelten Schild steht unter einem Hinweis auf die Territorialverhältnisse eine ziemlich klare Ansage: „Mein Wort ist hier Gesetz!“
Als der deutsche Staat Mitte Oktober 2016 in Form der Polizei anrückt und ihm seine Waffen abnehmen will, sieht Wolfgang P. rot. Aus dem Haus heraus feuert er mehrere Schüsse auf Beamte ab, einer wird tödlich getroffen, zwei verletzt.
Gut zehn Monate nach dem Drama im südlich von Nürnberg gelegenen Georgensgmünd startet am kommenden Dienstag der Prozess gegen P. Vorwurf: Mord und versuchter Mord sowie gefährliche Körperverletzung. Und wenn er vor Gericht steht, wird einmal mehr eine Bewegung in den Fokus rücken, die lange kaum jemand auf dem Zettel hatte: die „Reichsbürger“.
Für sie ist die Bundesrepublik eine Art Fata Morgana, kein souveräner Staat. Vermeintliche Belege dafür finden „Reichsbürger“ zuhauf. Einige sagen, Deutschland sei noch im Krieg und werde von den Siegermächten kontrolliert. Andere erklären, das Grundgesetz sei keine Verfassung – und basteln sich ihre eigene Grundordnung samt dazugehörigen Ausweispapieren.
Vor dem verlassenen Haus des Angeklagten steht Peter Bauer und rätselt, wie es mit seinem Bekannten so weit kommen konnte. Bauer wohnt ein paar Häuser weiter. P. kenne er schon von Kindesbeinen an. Jahrelang habe er ein Kampfsportstudio betrieben und für die Gemeinde und Schulen im Ort Selbstverteidigungskurse angeboten – das habe er schon „fast als Friedensbotschaft“ verstanden.
Doch wie wurde dann aus einem Friedensbotschafter ein Gewalttäter? Das könne wohl nur der Schütze selbst beantworten, sagt Bauer. Es habe keine Hinweise gegeben, dass er aggressiv werden könnte. Einmal habe P. sich heftig gegen eine Abwasserabgabe der Gemeinde gewehrt. Zwar klage jeder mal über Steuern, sagt Bauer. Aber im Rückblick werde ihm einiges klar.
„Er hat sich so definiert“, fasst Bauer zusammen: „Er hat seinen eigenen Staat mit seinen eigenen Gesetzen. Und die Bundesrepublik Deutschland hat auf seinem Staatsgebiet nichts verloren und darf dementsprechend keine Steuern gegen ihn erheben.“ Der Nachbar kann nur den Kopf darüber schütteln. „Er hat sich da eben seine Theorie zusammengeschustert.“
Es ist nicht nur die Theorie von Wolfgang P. Für das erste Quartal 2017 geht der Bundesverfassungsschutz von deutschlandweit rund 12600 Anhängern der „Reichsbürger“-Szene aus. Seit Ende 2016 – damals wurde das Potenzial auf rund 10000 geschätzt – habe sich deren Zahl damit um etwa ein Viertel erhöht. Die Ermittlungen sind aber noch nicht abgeschlossen. Die Zahl der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ dürfte also noch steigen.
In Bayern geht das Landesamt für Verfassungsschutz von mindestens 3000 „Reichsbürgern“ aus. Mit zwei von ihnen hat Roland Frick schon Bekanntschaft gemacht. Frick ist Bürgermeister der oberbayerischen Gemeinde Pliening – dem Sitz der „administrativen Regierung“ des „Bundesstaats Bayern“. „Reichsbürger“ lenken von dort aus die Geschicke ihrer fiktiven Regierung. Ein kleines Einfamilienhaus im Ortsteil Landsham mit kleinem Garten und noch kleinerer Auffahrt soll das „Innenministerium“ sein. Auf dem Briefkasten steht „Poststelle“ – mehr deutet nicht auf die vermeintliche Hoheit des Ortes hin.
Im Sommer 2014 kamen zwei „Reichsbürger“ zum ersten Mal in Fricks Büro und legten ihm ihre Weltanschauung dar. „Sie wollten ihre Ausweise abgeben, weil sie den Staat nicht anerkennen“, berichtet Frick. Die Ausweise warf das Paar in den Gemeinde-Briefkasten. Aber sonst seien die beiden unauffällig, nicht bösartig. Und im Gemeindeleben spielten sie keine Rolle.
Doch seit dem Vorfall in Georgensgmünd schaue er genauer hin, sagt Frick. Der Bürgermeister war bei der Kripo. „Seit das mit dem Kollegen war, ist das Thema nicht nur stärker präsent, sondern ich würde das auch nicht mehr abtun als Spinnerei.“ Auch der Staat schaut nun genauer hin: Seit Georgensgmünd gab es viele Razzien gegen mutmaßliche Anhänger der Szene.
Aber wie umgehen mit dem Gesamtphänomen „Reichsbürger“? Das kommt wohl ganz darauf an, wen man vor sich hat. Denn „Reichbürger“ ist nicht gleich „Reichsbürger“, wie der Verfassungsschutz in Bayern erklärt. Es handele sich um eine Splitterbewegung, der ganz unterschiedliche Menschen angehören. In den einschlägigen Milieus fänden sich etwa Neonazis, die die ehemaligen ostdeutschen Gebiete im heutigen Polen und Russland zurückhaben wollten, sagt Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung in Nürnberg. Es gebe zudem Leute mit Finanznöten, die im Internet nach Lösungen suchten, dann jedoch an „Scheinangebote“ sogenannter Reichsbürger gerieten. Aber auch psychisch Kranke tummelten sich in der Bewegung. Und so mancher Querulant.
Gerichtsvollzieher gehören zu den wenigen in der Justiz, die sich der direkten Konfrontation mit den „Reichsbürgern“ aussetzen müssen. Wie gefährlich so ein Zusammentreffen werden kann, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2012: In Sachsen wird ein Gerichtsvollzieher beim Eintreiben von Steuern festgehalten und schikaniert – vom sogenannten „Deutschen Polizei Hilfswerk“, einer „Reichsbürger“-Polizei.
Sobald Waffen ins Spiel kommen, kann es gefährlich werden. Das zeigte sich schon vor dem Fall Wolfgang P.: Im August 2016 schoss ein „Reichsbürger“ in Sachsen-Anhalt auf Polizisten, die bei einer Zwangsräumung helfen sollten. Im Oktober soll der Prozess gegen den Schützen Adrian U. beginnen, einem früheren Mister Germany. Pikantes Detail: Nach Informationen von RBB und MDR soll Wolfgang P. Kontakt zu U. gehabt haben.
Die Gemeinde Georgensgmünd bekommt es offiziell Ende 2015 zum ersten Mal mit P. zu tun. Damals habe er zunächst einen Abstammungsnachweis verlangt, sagt Bürgermeister Ben Schwarz. Daran sei nichts verdächtig, schließlich kämen solche Anfragen auch von Leuten, die Familienforschung betrieben. Einige Zeit später habe P. aber dann im Beisein zweier Zeugen im Einwohnermeldeamt seinen Personalausweis abgegeben.
„Sonderbar“ habe P. gewirkt, sagt Schwarz. Der Bürgermeister holt ein Dokument hervor, eine „Lebenderklärung“, die offenbar von P. stammt und in einem Lokalblatt als Inserat auftaucht. In Handschrift heißt es, er, P., sei „der lebendige beseelte und selbstbewusste Manne aus Fleisch und Blut nach der päpstlichen Bulle von 1540 (…)“. Und an anderer Stelle: „Ich bin immer noch am Leben und weder auf hoher See, noch sonst irgendwo im Universum verschollen.“ Unterschrieben ist die Erklärung von zwölf Zeugen, die samt Verfasser ihre Fingerabdrücke in roter Farbe hinterlassen haben.
Im Frühjahr 2016 wird das Landratsamt auf den Hobby-Jäger aufmerksam, nachdem ein Vollstreckungsversuch der Zoll- und Steuerbehörde keinen Erfolg hat. Später wird der Besitzer von rund 30 Waffen als nicht länger zuverlässig eingestuft, verweigert aber im Sommer mehrmals der Polizei und Waffenkontrolleuren den Zutritt zu seinem Grundstück. Irgendwann steht dann ein Spezialeinsatzkommando vor der Tür. Die Lage eskaliert – und der „Regierungsbezirk Wolfgang“ wird zum Tatort. Von Bernard Darko und Aleksandra Bakmaz, dpa