So. Die "große" NPD-Demo heute in Wittenberg hat gerade mal 250 Mantschkerln zusammen bekommen
Wenn das überhaupt so viele waren. Wenn ich -wie sage ich- alle die abziehe, die ich vom Sehen kenne und auch noch die, die sich mal die Verrückten ansehen wollten, dann werden das 100 bis 150 echte Demonstranten gewesen sein. Zudem hatte die AfD wenige Tage zuvor eine Demonstration zu der die gingen, die "besorgte Bürger" sind, sich aber von der NPD fernhalten wollen, das waren etwa 400 Bürger. Bezogen auf 50000 Einwohner ist das alles nicht die Welt.
Die Gegendemo (Bürgerfest) zu der auch Ministerpräsident Haseloff angetreten war kann man mit etwa 400 Teilnehmern nun auch nicht groß nennen aber es war eindeutig die interessantere und erfolgreichere Veranstaltung.
Es war regnerisch. Gut, das zählt nicht, 100 Meter weiter bei den Neonazis war es auch regnerisch. Es ist auch die Frage, wie man Teilnehmer zählt, wenn eine Veranstaltung von 13 bis 18 Uhr geht. Ein weiterer Grund war, dass das Thema erst wenige Tage zuvor wirklich Thema wurde: Es lag keinem daran, hordenweise rechte und linke Extreme aufmerksam zu machen, wir haben durchaus lokale Erfahrung mit dem Schwarzen Block.
Von Verhältnissen wie in manch östlicheren Gefilden ist Wittenberg also erfreulicherweise sehr weit entfernt.
Ein Wittenberger bekommt Martin Luther, Philipp Melanchthon und die Reformation bereits mit der Muttermilch eingetrichtert. sodass der durchschnittliche, atheistische Wittenberger durchaus stolz auf seine Stadt und deren Geschichte ist. Das war selbst im Sozialismus so. Und das half über die Wende: Während andere krampfhaft Identität suchten da die DDR ja weg war, hatten Wittenberger das Problem nicht: Die Identität war "Lutherstadt Wttenberg". Heute sieht der Wittenberger in der Innenstadt täglich Ausländer: Touristen, Studenten, zeitweilig Beschäftigte. Wir sind nicht der Ort, der erstmals mehr als zwei Ausländer sieht.
Es gibt einen breiten bürgerschaftlichen Konsens: Wir leben von und mit Luther und der Reformation, das ist der Kern der Stadt. Das lassen wir uns nicht kaputtmachen. Und wenn man zwei 15jährige Rotzlöffel zu zwei chinesischen Mädchen Buhh! rufen, ist das hier (anders als in anderen Städten) schon großes Thema, wird öffentlich verhandelt. Andererseits weiß ich natürlich nicht, wie breit der Konsens wirklich ist: Ängste gibt es natürlich aus, nicht ganz wenige.
Wittenberg hat eine weitere Besonderheit: Die Pegida-AfD-Wutbürger-besorgte-Bürger-Bewegung wird nach meiner Beobachtung in weiten Teilen von Rentnern getragen. Diese Zielgruppe ist in Wittenberg aber deutlich schwächer ausgeprägt: Der normale DDR-Bürger hatte keine Kontakte zu Ausländern. In Wittenberg war das anders, da wurde ab 1972 das Nordwerk aufgebaut, in den 1970er Jahren waren bis zu 2000 Ausländer (Algerier, Ägypter, Syrer, Franzosen, Japaner) in der Stadt. Als Garnisonsstadt waren weiterhin ständig sowjetische Offiziere und ihre Frauen präsent. Der Rentner-Zielgruppe in Wittenberg sind Ausländer nicht neu.