Spoiler
Xavier Naidoo macht es seinen Kritikern leicht. Verschwörungstheorien, Elitenhass und Sympathien für Reichsbürger-Positionen ziehen sich seit Jahren durch sein Werk und seine Äusserungen. Im März tauchte ein vielfach als rassistisch bewertetes Video auf, in dem er sich über Migranten auslässt, worauf ihn der Fernsehsender RTL aus der Jury der Sendung «Deutschland sucht den Superstar» warf. Auch zur Corona-Pandemie hat sich Naidoo eingelassen und stellte ganz grundsätzlich die Existenz von Viren infrage.
Weil die Entgleisungen bei Naidoo mittlerweile System haben, will die Stadt Dortmund einen Auftritt von ihm verhindern, der dort für Anfang September geplant ist. Naidoos Konzert sei nicht vereinbar mit dem Charakter einer weltoffenen und toleranten Stadt, heisst es in einer Pressemitteilung. Die Stadt wirft dem Sänger Kontakte zur rechtsradikalen Identitären Bewegung vor und bezichtigt ihn, sich mit «rassistischer und antidemokratischer Tendenz» zu äussern.
«Wir wollen Xavier Naidoo nicht in unserer Stadt»
Bedenken gegen geplante Konzerte von Naidoo gibt es auch in anderen deutschen Städten, aber in Dortmund hat Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) das Thema zur Chefsache gemacht. «Wir wollen Xavier Naidoo nicht in unserer Stadt und auch nicht jene Anhänger seiner Musik, die seine Positionen teilen», sagte er. «Naidoo und seine Äusserungen passen nicht hierher.»
Eigentlich sollte der Sänger am 5. September im Westfalenpark auftreten. Dieser ist im Besitz der Stadt. Für das Konzert hat ein externer Veranstalter den Park gemietet. Den Namen des Veranstalters will die Stadt nicht nennen, angeblich aus Datenschutzgründen. Man seit mit diesem im Gespräch und wolle gemeinsam ausloten, wie sich eine Absage regeln lasse, heisst es. Dabei gehe man davon aus, dass der Veranstalter die Position der Stadt teile. Die städtische Pressestelle konnte auf Nachfrage keinen Gesprächspartner aus der Stadtverwaltung zu dem Thema vermitteln. Die Dortmunder CDU-Fraktion wollte sich dazu ebenso wenig äussern wie der deutsche Städte- und Gemeindebund. Auch das Management von Naidoo ignorierte alle Anfragen.
«Ungeheuerlicher Vorgang»
Bisher stellte sich Naidoo bei Kritik stets als Missverstandener dar. Im März teilte er per Facebook mit, er sei kein Rassist, sondern nur falsch interpretiert worden. Auch andere fragwürdige Aussagen und Auftritte hatte er nachträglich zu relativieren versucht. Als er im Jahr 2014 am Tag der Deutschen Einheit bei einer Reichsbürger-Demonstration in Berlin auftrat, stellte er dies als spontane Aktion dar. Unterstützung erhält Naidoo aus der AfD. Alice Weidel, die Co-Chefin der Bundestagsfraktion, liess kürzlich Sympathien für den Sänger erkennen. Angesichts der Pläne, dessen Auftritt in Dortmund zu verhindern, sprach der AfD-Bundestagsabgeordnete Thomas Ehrhorn von einem «ungeheuerlichen Vorgang» und fühlte sich an «schlimmste DDR-Zeiten» erinnert.
Der Zuspruch für Naidoo scheint nicht nur rechts, sondern auch weit rechts der Mitte zu wachsen. Das rechtsradikale «Compact»-Magazin stilisiert ihn zum Helden und wird bald eine Naidoo-Biografie veröffentlichen. Der Preis des Buches beträgt für Vorbesteller 8 Euro 80. Ein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke wird zum selben Preis angeboten. Die Zahlenfolge 88 ist eine bei Neonazis beliebte Chiffre für den Nazi-Gruss «Heil Hitler», dessen Anfangsbuchstaben jeweils an achter Stelle im Alphabet stehen. Wenn sich Naidoo nicht schon selbst aus dem ernstzunehmenden öffentlichen Diskurs ausgeklinkt hätte, würden dies spätestens seine neuen Sympathisanten erledigen, von denen er sich nie glaubhaft distanziert hat.
Wo endet die Kunstfreiheit?
Der harte Kurs der Stadt Dortmund gegen sein Konzert wirft dennoch Fragen auf: Zum einen ist es wegen der Corona-Pandemie unklar, ob im September überhaupt Grossveranstaltungen stattfinden dürfen. Bis Ende August sind diese untersagt, eine Verlängerung des Verbots ist durchaus möglich. Insofern hätten die Verantwortlichen warten können, bis sich das Konzert mit einiger Wahrscheinlichkeit von selbst erledigt. Drängender ist aber die Frage, ob eine Stadt den Auftritt eines Künstlers verhindern darf, weil man sich an dessen weltanschaulichen Äusserungen stört. So abwegig diese sein mögen, gelten auch für Naidoo Meinungs- und Kunstfreiheit – zwei Grundrechte, denen die deutsche Verfassung ausserordentliches Gewicht beimisst.
Der Jura-Professor Friedhelm Hufen von der Universität Mainz beschäftigt sich seit langem mit den Grenzen der Kunstfreiheit und hält eine verfassungsrechtliche Bewertung des Falls für kompliziert. Viele von Naidoos Texten stünden offenbar im Widerspruch zu Grundwerten der Verfassung, wie Menschenwürde und Toleranz, sagte Hufen der NZZ. Die Frage sei aber, ob ein Konzert des Sängers als Verstoss gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Menschenwürde gewertet werden könne.
Der Fall könnte zur Zwickmühle werden
Entscheidend sei, ob dabei die Gefahr strafbarer Handlungen bestehe, wie Volksverhetzung, Verherrlichung von Gewalt oder persönliche Beleidigungen. In diesem Fall müsse ein Konzert verboten werden, und Naidoo könne sich nicht mehr auf die Kunstfreiheit berufen. Hufen findet es aber falsch, wenn Städte nun Druck auf die Veranstalter ausüben. Zuständig für solche Fragen seien Ordnungs- und Jugendschutzbehörden oder auch die Staatsanwaltschaft.
Die Stadt Dortmund könne sich durchaus mit dem Veranstalter einigen, den Mietvertrag für das Konzert im Westfalenpark aufzuheben, meint der Karlsruher Jura-Professor und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Christian Kirchberg. Wenn sich der Veranstalter aber gegen die Kündigung wehre, habe die Stadt ein Problem. In diesem Fall könne sie den Vertrag nur kündigen, «wenn mit hinreichender Sicherheit angenommen werden könne, dass bei dem Konzert Ordnungswidrigkeiten oder Straftatbestände verwirklicht werden» – wie zum Beispiel Volksverhetzung oder Beleidigung. Fragliche Textzeilen oder Aussagen müssten dann allerdings darauf geprüft werden, ob sie nicht womöglich von der Kunstfreiheit gedeckt seien.
In Dortmund spielten auch andere umstrittene Musiker
Die Rechtslage ist also unklar, und darüber hinaus bleibt die Frage, wieso sich Dortmund auf Naidoo einschiesst, traten doch die Rapper Kollegah und Farid Bang ebenfalls in der Stadt auf. Beide äussern sich seit Jahren frauenverachtend, verherrlichen Gewalt und Kriminalität. Wegen ihrer antisemitischen Texte kam es bei der Verleihung des Musikpreises Echo im Jahr 2018 zum Eklat. Ein Jahr später war Kollegah ausgerechnet in Dortmund in eine Schlägerei verwickelt, die mit einen grossen Polizeieinsatz endete.
Auch die umstrittene Band Feine Sahne Fischfilet spielte vor ein paar Monaten in Dortmund. Die Band wurde wegen linksradikaler Hasstexte gegen Polizisten vom Verfassungsschutz beobachtet. Bis heute hat sich die Gruppe inhaltlich nicht davon distanziert. In Dortmund traten somit in den vergangenen Jahren mehrfach Künstler auf, gegen die sich ebenfalls moralische Bedenken anführen liessen, ohne dass sich die Stadtverwaltung oder der Oberbürgermeister daran gestört hätten.