In Anbetracht der nun aufstehenden Grundsatzdiskussionen um das "Faktenchecken" an sich ist zu befürchten, daß Correctiv.org das für sich selbst Wesentliche aus dem Auge zu verlieren und an dieser Aufgabe erneut zu scheitern droht.
Das Problem an einem "Faktencheck" ist, dass schon über die "Fakten" gestritten werden kann, ein Faktenchecker aber eine objektive Wahrheit reklamiert, was es erforderlich macht, sich auf das Unstreitige zu beschränken. Das tut correctiv.org aber nicht. Vielmehr erfolgen Wertungen. Ich habe mir mal beispielhaft den Artikel bei correctiv.org über die Rechtmäßigkeit der "Corona-Maßnahmen" angesehen.
https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2020/05/15/rechtsstaat-ende-juristen-corona-massnahmenDer Artikel bemüht sich erkennbar um eine ausgewogene Darstellung des Meinungsbildes. Insoweit ist daher irrelevant, dass ich die extrem apologetischen Ausführungen der zitierten Rechtsanwältin, die diese in einem SPON-Interview getätigt hat
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/coronavirus-anwaeltin-ueber-behoerdenrecht-ziel-ist-der-schutz-der-gemeinschaft-a-20456e8a-90b5-41d6-b50c-da41cb58483dfür teilweise problematisch halte. Der rechtliche Rahmen wird in dem Artikel jedenfalls zutreffend skizziert. Auch wird auf die (m.E. berechtigte) Kritik etwa von C. Möllers auf verfassungsblog.de hingewiesen (da finden sich allerdings auch noch reichlich andere Beiträge u.a. von U. Volkmann und O. Lepsius). Tendenziell ist mir der Beitrag zwar zu unkritisch, aber grundsätzlich kann man mit der Wertung leben.
Indes:
1. Die rechtspolitische "Wertung" etwa der Änderung des IfSG ist (unstreitig) die, dass diese nicht den Untergang des Abendlandes / Rechtsstaats bewirkt. Die Gegenauffassung, die in grenzwertigen und / oder nicht ernst zu nehmenden Statements einzelner Juristen (zB B. Bahner) vertreten wird, ist schon in ihrer alarmistischen Grundhaltung abwegig. Alles andere sind eben Wertungen. Den Wertungen in dem Beitrag von correctiv.org würde ich aber nicht durchgängig beitreten wollen (das würde aber hier jetzt zu weit führen, verwiesen sei auf die im "Corona-Faden" Anfang April geführte Diskussion). Unstreitige "Fakten" sind die Ergebnisse des Artikels daher nicht.
2. Am Ende des Beitrags heißt es:
Anmerkung 18. Mai: In einer früheren Version des Artikels stand, das Gesundheitsministerium werde mit dem Infektionsschutzgesetz dazu ermächtigt, selbst Gesetze zu erlassen. Es handelt sich aber nur um Verordnungen, nicht um Gesetze. Die Gesetzgebungskompetenz wird nicht an die Exekutive abgetreten. Wir haben das präzisiert.
Das ist (jedenfalls) eine heftige Verschlimmbesserung des Artikels und im Grunde unter jedem denkbaren Aspekt falsch, weil es (a) zwei verschiedene Gesetzesbegriffe (den formellen und den materiellen) durcheinanderwirft und (b) die Abweichungsbefugnis ignoriert:
a) Mit einer Verordnungsermächtigung wird die Verwaltung immer ermächtigt, ein "Gesetz" zu erlassen. Ob man das Gesetz dann "Verordnung" nennt, ist gleichgültig. Die Wirkungen unterscheiden sich nicht von einem (förmlichen) Gesetz, denn auch Verordnungen sind Rechtsnormen (und deshalb Gesetze im materiellen Sinne). Ob der Gesetzgeber dem Bürger eine Pflicht auferlegt, oder der Verordnungsgeber (man denke an die StVO), ist daher im Ergebnis gleichgültig. Auf die Befugnis zum Erlass von förmlichen Gesetzen kann der Gesetzgeber (das Parlament) hingegen gar nicht verzichten, denn das förmliche Gesetz ist gerade dadurch definiert, dass es vom Parlament erlassen wird. Nur hat der parlamentarische Gesetzgeber dazu keine Veranlassung mehr, wenn er die Regelungsbefugnis an die Exekutive übertragen hat.
b) Hinzu kommt der rechtsstaatliche (und in dieser Form beispiellose) "Sündenfall", dass der Gesetzgeber dazu ermächtigt hat, durch Verordnungen nach § 5 IfSG von Gesetzen abzuweichen (es gibt noch ein paar entsprechende, aber eher periphere Ermächtigungen im Umweltrecht, die aber von deutlich abgesenkter Grundrechtsrelevanz sind). Mit derartigen Regelungen hat man schon in der Weimarer Republik schlechte Erfahrungen gemacht, eine solche Selbstentmachtung des Parlaments ist auch überhaupt nicht nötig (und mE aus Gründen der sog. "Wesentlichkeitstheorie" unzulässig). Diese Problematik wird bei correctiv.org vollständig verfehlt.
3. Insgesamt sollte man vielleicht die Finger davon lassen, verfassungsrechtliche Wertungen einem "Faktencheck" unterwerfen zu wollen.