Was soll das? Selbstverständlich war die Volkskammer berechtigt, den Beitrittsbeschluss zu fassen und den Einigungsvertrag zu ratifizieren. Sie hielt nämlich rein rechtlich die gesamte Macht in der DDR in der Hand; die Gewaltenteilung ging dort nicht so weit wie im Westen. Sie konnte auch die DDR abschaffen.
Solange das Volkseigentum in der Verfassung festgeschrieben war, wären Rechtsakte, mit denen das Volk sein Eigentum verkauft hätte, verfassungswidrig und folglich unwirksam gewesen. Dem wurde mit Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 17. Juni 1990 Rechnung getragen. Außerdem wurde damit Artikel 106 der Verfassung der DDR neu gefaßt:
Artikel 9. Neufassung.
Artikel 106 der DDR-Verfassung wird wie folgt gefaßt:
»Artikel 106. Die Verfassung kann nur von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik durch Gesetz geändert werden, das ausdrücklich als Verfassungsgesetz bezeichnet ist. Staatsverträge der Deutschen Demokratischen Republik und andere völkerrechtliche Verträge sind, soweit durch sie Verfassungsgegenstände berührt werden, durch ein ausdrücklich als Verfassungsgesetz bezeichnetes Gesetz zu bestätigen, das der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder der Volkskammer bedarf.«
http://www.verfassungen.de/ddr/verfassungsgrundsaetze90.htmDie letzte Volkskammer hatte, wie bis 1963 schon, 400 Abgeordnete. Damit reichten die 299 Ja-Stimmen für die Ratifizierung des Einigungsvertrages für die Genehmigung eines Staatsvertrages mit verfassungsändernder Wirkung aus. Bliebe lediglich die rein theoretische Frage, ob dem Formerfordernis Rechnung getragen und der Einigungsvertrag, mit dessen Art. 8 die Rechtsordnung der BRD auf dem Gebiet der DDR eingeführt und somit beiläufig auch deren Verfassung außer Kraft gesetzt wurde, irgendwo im Text als "Verfassungsgesetz" bezeichnet ist.
Was die Gewaltenteilung anbelangt, so nahm im April 1990 mit dem neuen Art. 75a der DDR-Verfassung das Präsidium der Volkskammer die verfassungsrechtliche Stellung des Staatsrates als kollektives Staatsoberhaupt ein, die Funktion des Vorsitzenden des Staatsrates ging auf die Volkskammerpräsidentin Bergmann-Pohl über. Das kann man für ein Provisorium halten.
Auch der Art. 1 Abs. 3 des o. Gesetzes (Zitat: "Das zuständige Gericht kann zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze und anderen Rechtsakte angerufen werden. Näheres regelt ein Gesetz.") läßt vermuten, daß zur Rechtsordnung in der BRD äquivalente Institutionen geschaffen werden sollten und sich das mit dem bevorstehenden Anschluß erübrigte. Ein Verfassungsgericht, vor dem man die Ratifizierung des Einigungsvertrages hätte anfechten können, hatte die DDR nicht. Die Zuständigkeiten des Obersten Gerichtes der DDR entsprachen denen des BGH.