In den USA ist ein solches Urteil üblicherweise eher als Einstieg in eine Verhandlung zu verstehen. In der Berufung wird die Zahlung fast immer reduziert und ansonsten ist den Klägern klar, dass diese Summe nie zu holen ist.
Die Kläger haben hier zum Beispiel 8,5 Millionen Dollar für zehn Jahre, also gesamt 85 Millionen Dollar, geboten. Alex Jones hat 55 Millionen Dollar mit 4 Millionen Dollar für zehn Jahre und dem Rest einmalig dagegen geboten, aber die Kläger haben abgelehnt. Alex Jones ist auch in Berufung gegangen, aber das erstinstanzliche Urteil ist in den USA ohne Sicherheitsleistung sofort vollstreckbar.
Das Insolvenzrecht ist dafür deutlich schuldnerfreundlicher als hier. Wer in Privatinsolvenz geht, darf üblicherweise die Altersvorsorge und beliebig viele Autos behalten, in vielen Bundesstaaten auch den Hauptwohnsitz, und teilweise sechsstellige Summen an weiterem Vermögen. Eine Wohlverhaltensphase gibt es nicht (alles, was man danach einnimmt, bleibt einem) und Gehälter und Renten dürfen meist nur für bestimmte Arten von Schulden (Kindesunterhalt und Studentenkredite) gepfändet werden.
Allerdings ist das auch kein normaler Prozess. In den zwei Prozessen, um die es hier geht, weigerte sich Alex Jones, an der Untersuchung zu beteiligen (normalerweise muss in einem amerikanischen Zivilprozess jede Seite die Dokumente herausgeben, die die andere Seite anfordert, wenn sie irgendwie relevant sind oder sein könnten, und auch für Befragungen zur Verfügung stehen). Das führte einerseits zu einer Geldstrafe für ihn und seinen Anwalt und andererseits zu Versäumnisurteilen.
Der Prozess hätte mit einer entsprechenden Verteidigung durchaus durch Alex Jones gewonnen werden können. Für eine erfolgreiche Verleumdungsklage in den USA braucht man nämlich aufgrund des hohen Stellenwerts der Redefreiheit drei Elemente: Den Beweis, dass die Aussagen falsch sind (hier kein Problem), den Beweis, dass einem dadurch ein finanzieller Schaden entstanden ist (könnte für manche Kläger schon schwieriger sein) und den Beweis, dass der Beklagte entweder wusste, dass die Aussagen falsch waren oder dies grob fahrlässig in Kauf genommen hat. Und gegen Letzteres kann die Verteidigung, dass man wirklich so dumm ist und den Mist selbst glaubt, durchaus helfen.
Ansonsten ist aber bei Urteilen die Jury nicht an angefragte Summen gebunden, sondern nur an die Grundlage der Forderungen. Ein Versäumnisurteil bedeutet, dass die Jury die Forderung dem Grunde nach anerkennen muss, aber die Schadensersatzsumme frei festsetzen kann. Und in diesem Fall forderten die Kläger etwa 150 Millionen Dollar, aber die Jury sprach ihnen 1,1 Milliarden Dollar zu.