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"Reichsbürger", das sind drollige Online-Spinner, die sich gegenseitig Pässe ausstellen, lautet eine gängige Einschätzung. Doch wer so denkt, verharmlose damit ein Milieu, das sich nach außen abschottet und nach innen radikalisiert, sagt Journalist Andreas Speit.
Seit vielen Jahren befasst sich der Journalist und Sozialökonom Andreas Speit mit dem rechtsextremen Milieu. Jetzt hat er den Band "Reichsbürger – Die unterschätzte Gefahr" herausgegeben. "Reichsbürger" nennt sich eine rechtsextreme Strömung, die die Bundesrepublik Deutschland als souveränen Staat nicht anerkennt. Laut Speit teilt sich diese in mehrere unterschiedliche Milieus auf, die insgesamt etwa 13.000 Personen umfassen. So gebe es zum Beispiel die "Souveränitisten", die denken, dass die Bundesrepublik "kein realer Staat" oder "eine Firma vielleicht sei. Und dann haben wir die Selbstverwalter. Das sind diejenigen, die in den letzten Jahren begonnen haben, eigene Reiche zu gründen, Königreiche zu gründen. Und auch eigene Staaten, in denen sie nach ihren Gesetzen und Normen leben wollen."
Unterschiedliche Beweggründe - gemeinsame Ressentiments
Unterschätzt werde die "Reichsbürger"-Bewegung nach Ansicht Speits insbesondere von den hiesigen Sicherheitsbehörden, die die Szene nicht hinreichend wahrgenommen habe. Und das, obwohl sie bereits seit 1945 in der extremen Rechten eine, wenn auch nicht immer die wichtigste, Rolle gespielt habe, wie Speit im Deutschlandfunk Kultur erklärt.
Seit den 80ern sei ein Zustrom von Leuten zu beobachten, die zuvor nicht in rechtsextremen Zusammenhängen aufgefallen seien. Zwar gebe es laut Speit im Einzelnen unterschiedliche, oft aus persönlichen Krisen resultierende Beweggründe für die Entscheidung, sich der "Reichsbürger"-Ideologie anzuschließen. Doch gemein ist allen, im übrigen vorwiegend männlichen, "Reichsbürgern" neben der Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland eine tief verankerte anti-moderne, anti-emanzipatorische Einstellung. Traditionelle Geschlechterbilder und die Sehnsucht nach einer vormodernen Gemeinschaftsform seien für diese Bewegung kennzeichnend.
Von der "Veschwörung gegen Deutschland" zum offenen Antisemitismus
Angesichts des gegenwärtigen politischen Rechtsrucks sie die Gefahr, die von diesem Milieu ausgeht, nicht leichtfertig zu schultern, sagt Speit, zumal sich weite Teile der Bewegung als überaus offen für antisemitische Denkmuster erweisen: Von der Vorstellung einer "Verschwörung gegen Deutschland" sei der Schritt zum Antisemtismus nicht weit, so Speit. Unter Verweis auf die tödlichen Schüsse, die ein "Reichsbürger" 2016 auf einen Polizeibeamten abgegeben hat, erklärt Speit: "Ein Teil von denen hat längst zu den Waffen gegriffen."
Auch Steuer- und Vollstreckunsgsbeamte klagen Speit zufolge seit geraumer Zeit über tägliche Auseinandersetzungen mit "Reichsbürgern". Hier sei eine Radikalisierung zu beobachten, bei der der Schritt von der Selbstermächtigung zur "Selbstverteidigung" nur noch ein kleiner sei. Wer die "Reichsbürger" als "verwirrte Spinner" abtue, mache es sich zu leicht und handele fahrlässig, sagt Speit.
Für Argumente kaum zugänglich
Zivilgesellschaftliche Auseinandersetzungen mit den "Reichsbürgern" gestalten sich als schwierig, so Speit. Man habe oft den Eindruck, "das sind schon monologisierende, in sich geschlossene Persönlichkeiten. … Eine Diskussion, ein Dialog auf Augenhöhe ist da nicht möglich. Weil die Anderen annehmen, wir haben es noch immer nicht verstanden. Die Bundesrepublik ist eine GmbH oder ein besetztes Gebiet. Und solange wir das nicht verstehen, werden wir höflich belächelt von denen – das ist die nette Variante. Die unschöne Variante ist, wenn man verbal angegriffen wird oder gar auch körperlich."
(thg)
Andreas Speit (Hg.): "Reichsbürger - Die unterschätzte Gefahr"
Ch.Links Verlag, Berlin
216 Seiten, 18 Euro