Es geht deswegen keine Gefahr von der "Reichsbürgerideologie" aus, da es eine solche - bei genauerer Betrachtungsweise - nicht gibt. Was es tatsächlich gibt, sind Bürgerinnen und Bürger, welche mit der abgelieferten Leistung aus Verwaltungen und/oder Behörden nicht zufrieden sind und deren Handeln (Tun oder Unterlassen) immer mehr in Frage stellen; Teilweise völlig zu Recht und teilweise auch zu Unrecht. Hunderttausende fehlerhafte SGBII Bescheide, BER oder Stuttgart 21, erschlichene akademische Grade (alles nur beispielhaft und in der Anzahl beliebig verlängerbar) nebst den ca. 170.000 Stimmen für die AfD sprechen hier eine deutliche Sprache.
Soll heißen, so einfach funktioniert die Welt nicht.
Ich gebe Dir in der Sache uneingeschränkt Recht, finde aber, dass man zumindest nicht alle Beispiele, die Du bringst, so stehen lassen kann.
"Stuttgart 21" ist aus meiner Sicht zuerst ein
politisches Problem, kein Problem der Leistung von Verwaltung/Behörden. Es geht da um die Akzeptanz einer Infrastrukturmaßnahme. Da kann man dagegen sein oder dafür aus unterschiedlichen Gründen. Man kann auch bezweifeln, dass die Begründung für die Maßnahme korrekt ist (Fahrzeitverkürzung usw.) Dass der Konflikt letztlich so eskaliert ist, ist die Schuld von
politisch Verantwortlichen, die die maßgeblichen Entscheidungen getroffen haben (inklusive dem Volksentscheid und dem Riesenbohei drumherum). Der kleine Planungsbeamte aus dem Stadtentwicklungsamt kann nichts dafür, wenn der Ministerpräsident die Wasserwerfer auffahren lässt, um ein umstrittenes Projekt durchzuprügeln. Dazu gab s ja auch dann den einen oder anderen Untersuchungsausschuss und Herr Mappus ist längst auf dem Abstellgleis (zwar nicht im Wesentlichen deswegen, aber trotzdem zu Recht). Da kann die Republik übrigens froh sein, dass dieser Kelch an ihr vorbeigegangen ist. Nicht auszudenken, wie der sich in der Flüchtlingskrise an die Seite von Seehofer gestellt und die nationale Tröte ausgepackt hätte ("keine Syrer im Schwobeländle, die klauet uns na noch die Mauldascha"). Der wurde von interessierten konservativen Kreisen ja auch schon als Kanzler gehandelt.
Die falschen SGB-Bescheide sind ein Elend, da stimme ich Dir zu 100% zu. Peinlicher geht es eigentlich für einen Sozial- und Rechtsstaat nicht - er bekommt nicht mal hin, die Grundsicherung so zu organisieren, dass man nicht dauern zum Gericht rennen muss.
BER ist aus meiner Sicht etwas komplett Anderes, das ist ein Vollversagen von Politik und Verwaltung, keine Frage - aber auch der
Privaten, welche beteiligt sind. Ich glaube nicht, dass BER als gutes Beispiel dafür taugt, dass der Staat nichts hinbekommt und die Welt viel besser wäre, wenn man die Konzerne einfach machen ließe (dieses Argument hört man zu BER doch recht häufig). Ich finde übrigens interessant, dass BER viel häufiger als schlechtes Beispiel angeführt wird als die Elbphilharmonie in Hamburg, wo das Zehnfache (!) der geplanten Kosten versenkt wurde. So weit sind wir glaube ich in Berlin noch nicht (OK, das Ding ist ja auch noch nicht fertig). Im Übrigen sollte man sich immer vor Augen führen, dass das die Extremfälle sind. Korruption und Versagen gibt es landauf, landab in unterschiedlichen Größen und Formen. Trotzdem ist für mich das Glas halb voll: Schaut man in die vielen kleinen Gemeinden und Kreise, sieht man, dass in der weit überwiegenden Zahl die Strukturen sehr gut funktionieren und die Leute sich mit Leidenschaft in ihre Jobs hängen. Ich möchte zum Beispiel mit keinem der tausenden ehrenamtlichen Bürgermeistern im Osten* tauschen, die nicht mal einen feuchten Händedruck dafür bekommen, dass sie den Laden schmeißen. Ich bin auch der Meinung, dass der weit überwiegende Anteil von Geschäftsstellenmitarbeitern in den deutschen Gerichten einen sensationellen Job machen, genauso wie die Berater beim Arbeitsamt, die Leute in den Finanzämtern usw. Der Staat spart hier alles zusammen und plant immer enger, aber im Großen und Ganzen funktioniert das System. An dieser Stelle übrigens nochmal ein extra Dankeschön an die Chemtrails-Abteilung (SG45) - weiter so, Jungs!
* Ich nehme hier ausdrücklich Lutherstadt Wittenberg, die städtischste Schönkleinheit der Welt [tm], aus. Das ist ein schönes Beispiel für
Totalversagen - aber auch nur, was das Königreich Deutschland** angeht. Im Organisieren von evangelischen Stadtfesten sind sie wiederum Spitze! Außerdem ist der OB nicht ehrenamtlich.
** Ist das jetzt schon eine Anerkennung, wenn ich die Anführungszeichen weglasse?