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Drohbriefe an Merkel, Scholz und Elon Musk: Babelsbergerin als Reichsbürgerin verurteilt
Eine 70-Jährige trat als „Landesherrin“ der verbotenen Vereinigung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ auf. Von Rassismus und terroristischen Zielen will die Impfgegnerin nichts gewusst haben.
Von Klaus D. Grote
Eine 70-jährige Babelsbergerin wurde am Dienstag (15. April) vom Landgericht Potsdam wegen der Mitgliedschaft in einer verbotenen Gemeinschaft der Reichsbürgerszene und des Verwendens verfassungsfeindlicher Kennzeichen zu einer Geldstrafe verurteilt. Staatsanwaltschaft und Verteidigung verzichteten bereits auf Rechtsmittel. Damit ist das Urteil rechtskräftig.
Die Impfgegnerin Annelies O. trat zwischen Januar 2021 und September 2022 als „Landesherrin Brandenburg“ der verbotenen Vereinigung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ auf. Sie unterschrieb, stempelte und verteilte deren Briefe, die unter anderem an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gerichtet waren.
Die damalige Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), wurde aufgefordert, ein Grundstück im Hansaviertel in Tiergarten herauszurücken. Von Tech-Milliardär Elon Musk wurde in einem Schreiben mit dem Datum der eigenen Zeitrechnung vom 7. Tag des 8. Mondes im zweiten Jahr des Friedens gefordert, sein gerade gebautes Tesla-Werk „auf unserem Heimatboden“ in Grünheide wieder abzureißen.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte den 2013 gegründeten Verein „Geeinte deutsche Stämme und Völker“ am 21. April 2020 verboten. Als Vereinigung machten die Mitglieder einfach weiter. Gründungsmitglied und Rädelsführerin Heike Werding war 2022 vom Landgericht Lüneburg unter anderem wegen Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot sowie Volksverhetzung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden.
Holocaust geleugnet
Die rechtsextreme, ausländerfeindliche, antisemitische und islamfeindliche Gruppierung schrieb jedoch nicht nur komisch erscheinende Briefe. Mitglieder hatten Geheimgerichte gegründet, um nach einem Umsturz Unwillige bestrafen zu können. Gefordert wurde ein Deutsches Reich mit den Grenzen von 1914. Die Bundesrepublik wurde als Firma bezeichnet, ihre Organe waren von den Mitgliedern der Gruppierung nicht anerkannt. Die staatliche Ordnung galt ihnen als zu überwindende Fehlentwicklung.
Die Vereinigung schickte Drohbriefe an Amtsträger, verlangte den Abbau von Mahnmalen und Stolpersteinen, leugnete den Holocaust, verwendete Runen und forderte die Freilassung des Rechtsextremisten Horst Mahler, wie der Vorsitzende Richter der ersten Strafkammer im Landgericht, Boris Wermelskirchen, vorlas.
Wer sind die Reichsbürger?
Die selbst ernannten Reichsbürger glauben, die Bundesrepublik gebe es nicht. In Wahrheit sei der Staat eine Firma. Einige Reichsbürgergruppierungen schaffen ihre eigenen „Hoheitsgebiete“ und rufen Scheinstaaten aus, in denen sie vorgeben, ihre eigenen Herrscher zu sein.
Laut Bundeszentrale für politische Bildung kann die Ideologie gefährliche Auswüchse für die Allgemeinheit hervorbringen. So gab es bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Polizei oder Pläne für Umstürze und Entführungen von Politikern.
Nur wer über drei Generationen väterlicherseits seine deutsche Abstammung bezeugen könne, besitze ein Heimat- und Wahlrecht und das Recht auf Grundbesitz, so die Gruppe. Annelies O., die im Bürgeramt ihren Pass abgab, will von all dem nichts gewusst haben. Die aus Niederoderwitz in der Oberlausitz stammende Mutter zweier Töchter, die bei der Reichsbahn gelernt und studiert hatte, sagte, sie habe die von Werding verfassten Briefe nie gelesen, lediglich mit dem Namen Rosalinda Loretta Christoph unterschrieben, mit dem Lebensbaum-Wappen gestempelt und überbracht.
200 Euro erhielt Annelies O. für ihre Dienste
Selbst der Hinweis eines Polizeibeamten des Bundeskanzleramts, wo sie einen Brief abgab, auf das Verbot der Vereinigung hielt die Rentnerin nicht davon ab, die Botengänge fortzusetzen. Die Kinder hätten damit kein Problem gehabt. „Ich durfte weiterhin zu Familientreffen kommen“, sagte die 70-Jährige. Vor einer polizeilichen Hausdurchsuchung, mit der sie lange gerechnet habe, hatte sie Akten und den Wappenstempel im Hausmeisterbüro ihres Mannes versteckt.
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Insgesamt 200 Euro Honorar erhielt sie für ihre Dienste. Die Lebenbekundung, eine Art Geburtsurkunde der Stämme-Vereinigung mit Fingerabdruck, kostete Annelies O. 500 Euro. Heike Werding hatte sie zusammen mit ihrem Mann 2020 bei den Impfgegner-Demos in Potsdam kennengelernt. Die Frau sei charismatisch, ihre Ansichten schlüssig gewesen, sagte die Rentnerin, die sich einmal in der Woche um ein Kind mit Behinderung kümmert.
Die Angeklagte, seit drei Wochen Witwe, beteuerte vor Gericht ihr Bedauern. In ihrer Lebensleistung sollten die zwei Jahre als Reichsbürgerin nicht zu stark bewertet werden, forderte ihr Anwalt, der für eine Geldstrafe auf Bewährung plädierte. Das Gericht folgte der Forderung der Staatsanwaltschaft. O. muss 2450 Euro Strafe zahlen und für die Prozesskosten aufkommen.