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Ende September, zwei Tage vor der vergangenen Nationalratswahl, fand in Wien ein Begräbnis statt. Verabschiedet wurde ein deutschnationaler Burschenschafter und einstiger FPÖ-Politiker, gekommen sind etliche seiner Bundesbrüder, Führungskader der Identitären Bewegung und freiheitliche Funktionäre. Die letzte Ehre wurde dem Verstorbenen mit einem historisch belasteten Lied erteilt, das auch die nationalsozialistische Schutzstaffel (SS) zu ihrem "Treuelied" machte. DER STANDARD berichtete damals über das Begräbnis auf dem Hernalser Friedhof auf Basis eines heimlich aufgenommenen Videos, das die Vorgänge auf der Beisetzung festhielt. Wie über diese Trauerzeremonie berichtet werden darf, darüber wird in mehreren Verfahren vor Gericht gestritten.
Am Mittwoch hat nun das Oberlandesgericht Wien (OLG) die Klagen dreier FPÖ-Politiker abgewiesen und das medienrechtliche Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen von Mitte Jänner aufgehoben. In seiner Erläuterung betonte das OLG den Charakter eines Begräbnisses, das sich wesentlich von anderen Veranstaltungen wie etwa einem Konzert oder einer Party unterscheide. Ein Begräbnis während laufender Zeremonie zu verlassen hätte einen "kleinen Skandal" verursacht. Daher sei der Vorwurf, die FPÖ-Politiker seien auf der Verabschiedung geblieben, obwohl ein historisch belastetes Lied angestimmt worden war, nicht als ehrenrührig auszulegen, begründete das OLG seine Entscheidung.
Die STANDARD-Leserinnen und -Leser würden die im Artikel detailliert beschriebene Situation differenziert sehen und die "wahrnehmbare Zwickmühle" der FPÖ-Politiker verstehen. "Wenn das Lied am Parteitag angestimmt worden wäre, und die Antragsteller hätten diesen nicht verlassen, wäre es etwas anderes", sagte das OLG.
STANDARD: "Keine Narrenfreiheit für Rechtsextreme"
Geklagt hatten die FPÖ-Politiker Martin Graf, Norbert Nemeth und Harald Stefan. Alle drei sind Nationalratsabgeordnete der FPÖ, Stefan war bis wohl 2017 Mitglied der Burschenschaft Olympia, Graf und Nemeth sind es mutmaßlich bis heute. Auch der Verstorbene war Mitglied der Olympia, die stets ein Bindeglied zwischen Rechtsextremen, der Neonaziszene und der FPÖ war.
STANDARD-Chefredakteur Gerold Riedmann zeigte sich in einer ersten Reaktion erfreut. Es sei nun auch gerichtlich bestätigt, dass es in diesem Land "keine Narrenfreiheit für Rechtsextreme" gebe. "Mutiger Aufdeckerjournalismus hat die Aufgabe, klar zu benennen, was passiert ist: dass FPÖ-Mandatare bei der Beerdigung eines Kameraden waren, bei der ein SS-Lied angestimmt wurde", kommentiert Riedmann.
Nicht mitgesungen
Die drei FPÖ-Mandatare sahen in der Berichterstattung eine "infame Unterstellung", wie FPÖ-Anwalt Christoph Völk im Laufe des Verfahrens dargelegt hatte. Der Artikel habe vermittelt, dass "genau die Version der Nationalsozialisten bei diesem Begräbnis zweimal gesungen worden" sei. Das sei aber nicht korrekt.
DER STANDARD hingegen argumentierte in seiner Berufung, dass den Antragstellern ausdrücklich nicht unterstellt wurde, sie hätten ein unehrenhaftes oder gar strafbares Verhalten gesetzt, da ihnen nicht vorgeworfen worden war, selbst beim historisch belasteten Lied mitgesungen zu haben. Dass sie das Begräbnis nicht verlassen hätten, als das Treuelied angekündigt und schließlich gesungen wurde, sei eine "zulässige Kritik", argumentierte STANDARD-Rechtsanwalt Michael Pilz in der Berufung.
Zur Entscheidung sagte Anwalt Pilz: "Mit diesem Urteil bestätigt das OLG Wien, dass die Berichterstattung über das unerhörte Absingen eines SS-Liedes auf einem Begräbnis von Anfang an zulässig und rechtmäßig war." Das Gericht habe den FPÖ-Politikern mitgeteilt, überempfindlich reagiert zu haben und dem STANDARD eine differenzierte Berichterstattung attestiert. Auch die Leserinnen und Leser würden diese Berichterstattung verstehen, sagte Pilz.
Streit um Liedversionen
Im Laufe des Verfahrens wurde die Geschichte des belasteten Liedes ausführlich erörtert. Bei der Trauerfeier im vergangenen September kündigte der Redner das von Max von Schenkendorf verfasste Lied mit dem Titel Treuelied an – und nicht mit der eingängigen Anfangszeile Wenn alle untreu werden, unter der das Lied im 19. Jahrhundert bekannt war, also lange vor der NS-Zeit.
Auch nach 1945 ist dieser Titel in den Liederbüchern zahlreicher Burschenschaften wiederzufinden. Im SS-Liederbuch hingegen wurde das Lied unter dem Titel Treuelied an prominenter dritter Stelle aufgeführt – allerdings in einer gekürzten Fassung, in der eine Strophe der Originalversion fehlte. Diese fehlende Strophe wurde beim Begräbnis jedoch gesungen.
Diesen Umstand sah auch das Erstgericht Mitte Jänner als Grund, um den STANDARD nicht rechtskräftig zu rund 20.000 Euro Entschädigung an die drei Antragsteller zu verurteilen. Dieses Urteil wurde nun vollumfänglich aufgehoben. Nach dem erstinstanzlichen Urteil stellte auch der Ex-FPÖ-Politiker Johann Gudenus medienrechtliche Anträge, die ebenfalls in erster Instanz Erfolg hatten. Die Berufung läuft. Weiters sind zivilrechtliche Klagen anhängig, auf die das OLG-Urteil vermutlich Einfluss haben wird. (Laurin Lorenz, 30.7.2025)
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