Wenn eine neue Regierung beginnt, den Staat umzubauen, achtet sie üblicherweise darauf, zumindest oberflächlich die bisherigen Strukturen und Möglichkeiten nur leicht zu verändern statt komplett neu zu starten. Dies hilft dabei, dass die eigene Vorgehensweise durch Beamte und Bevölkerung als legitim angesehen wird, weil es scheinbar genauso weitergeht wie es bekannt war.
Sogar die Nazis, die sich gerne als Revolutionäre sahen, gingen so vor. Auch wenn man heute Begriffe wie "Schutzhaft", "Ermächtigungsgesetz" und "Notverordnung des Reichspräsidenten" mit den Nazis assoziiert, die Vorgehensweise war älter.
Schon im Königreich Preußen, aber auch in der Weimarer Republik, konnte die Exekutive Menschen ohne Anklage und ohne Haftbefehl in "Schutzhaft" nehmen. "Ermächtigungsgesetze", die mit 2/3-Mehrheit im Reichstag Macht auf die Reichsregierung übertrugen, gab es bereits 1919, und auch Präsidialkabinette waren bereits drei Jahre alt (und bezogen sich ihrerseits auf frühere Notverordnungen).
Natürlich haben die Nazis die Instrumente massiv umgebaut: Die ursprüngliche "Schutzhaft" dauerte wenige Tage und wurde in einem normalen Gefängnis vollzogen, nicht jahrelang in einem Folter-KZ; die ursprünglichen "Ermächtigungsgesetze" wurden von einem frei gewählten Reichstag beschlossen, ermöglichten kein Abweichen von der Verfassung, waren auf kurze Zeiträume und einzelne Themen beschränkt und der Reichstag konnte die Verordnungen wieder aufheben, und die früheren Notverordnungen wurden in echten Notsituationen angewendet und hoben die Grundrechte nicht auf.
Aber auf den ersten Blick konnte man denken, dass man alle diese Instrumente schon aus früheren Zeiten kannte. Das verschaffte Legitimität.
Es erklärt auch einige Bestimmungen im Grundgesetz, alle erwähnten Punkte sind nun explizit verboten (nach Ablauf des folgenden Tages richterliche Entscheidung über Freiheitsentzug, Ewigkeitsklausel, Änderung des GG nur durch Änderung des Texts, nicht durch verfassungsdurchbrechendes Gesetz mit gleicher Mehrheit, kaum Rechte für den Bundespräsidenten und keine Notverordnungen).
Auch bei den heutigen Staatsumbauten war es nicht anders: In Polen lieferte die Vorlage für die Ausschaltung des Verfassungsgerichts, dass die frühere PO-PSL-Koalition vor der PiS-Regierung ein Gesetz beschloss, das den in der Verfassung nicht ausdrücklich geregelten Wahlzeitpunkt vorverlegte, um fünf statt drei Verfassungsrichter noch in ihrer Amtsperiode wählen zu können. Die PiS-Regierung nannte das illegitim und wählte dann ihrerseits fünf Verfassungsrichter, obwohl sie selbst nach alter Gesetzeslage nur zwei hätte wählen dürfen. Damit war die Staatskrise perfekt. In Ungarn nutzte Orban die Corona-Pandemie, die auch in anderen Ländern mit einer Machtverschiebung zur Exekutive einherging, um sich erhebliche Vollmachten vom Parlament übertragen zu lassen, und stellte mit einer Verordnung die "Verbreitung von Falschnachrichten" unter hohe Strafe.
Wenn ein solcher Staatsumbau durchgeführt wird, werden die Gewalten nicht gleichzeitig umgebaut, sondern die Exekutive ist mit dem Amtsantritt sofort in den Händen der Rechtsextremisten und hat Zugriff auf einen erheblichen Apparat, der schnell dienstbar gemacht werden kann, in der Legislative gibt es aber meist noch eine Koalitionsregierung, mehrere Lesungen und öffentliche Debatten und die Judikative kann nur schrittweise umgebaut werden, da Richter meist weisungsfrei und nicht absetzbar sind oder zumindest lange Amtsperioden haben. Insofern sind gerade Exekutivbefugnisse am kritischsten zu sehen.
Jetzt ist es so, dass diese Aktionen, selbst wenn sie später für rechtswidrig erklärt werden, durch die Durchführung bereits eine große Auswirkung haben, und Gerichte langsam sind. Es gibt jetzt mehr als vier Jahre später noch letztinstanzliche Urteile, dass eine bestimmte coronabedingte Verordnung aus dem Frühjahr 2020 entweder rechtskonform oder rechtswidrig war - aber eigentlich ist es egal, was rauskommt, weil es bis auf die Verteilung der Gerichts- und Anwaltskosten heute keine Auswirkungen mehr hat. Und genau das könnte sich bei anderen Themen auch ein AfD-Minister zu Nutze machen.
Was sollte man also tun? Beim Thema Vereinsverbot gibt es in anderen Ländern andere Herangehensweisen. Zum Beispiel entscheidet direkt ein Gericht über das Vereinsverbot, entweder ein Strafgericht, das den Verein und seine Mitglieder durch ihre Verurteilung zur kriminellen Vereinigung erklären kann, oder ein Zivil- bzw. Verwaltungsgericht, das auf ein Vereinsverbot erkennen kann. Durch eine Änderung des Vereinsgesetzes könnte man auch in Deutschland einen ähnlichen Prozess einführen.