Die Berliner Zeitung widmet dem Verfahren gegen Correctiv einen ungewöhnlich langen Artikel.
„Geheimtreffen“ wird schon gleich mal in Anführungszeichen gesetzt.
Wenn behauptet wird, Correctiv wolle „zentrale Thesen so nicht gemeint haben“, greift man allerdings nicht auf Aussagen von Correctiv zurück, sondern auf die WELT. Interessant.
„Aussage gegen Aussage“ stehe es bei den EV (Anwalt Jun hat ja kurz und präzise ausgeführt, was es damit auf sich hat).
Der Correctiv-Chef „verstieg“ sich zu einem Vorwurf gegen die Berliner Zeitung (aha, darum geht es hier also eigentlich!), sein Vorwurf wirke allerdings nicht nur „unsouverän“, sondern sogar „zutiefst unsouverän“.
Spoiler
Vosgerau hat dem Gericht zudem mehrere eidesstattliche Versicherungen von Teilnehmern des Treffens vorgelegt, in denen sie die Kernvorwürfe des Correctiv-Berichts bestreiten. Sie sind seinem Verfügungsantrag beigefügt und dienen als Glaubhaftmachungsmittel. Als Reaktion haben anschließend auch die Journalisten von Correctiv gegenüber dem Gericht mehrere eidesstattliche Versicherungen abgegeben, in denen sie an der Richtigkeit der Angaben ihrer Quellen festhalten.
In der Gerichtsverhandlung werden zwar vordergründig nur einige Absätze verhandelt, in denen sich die beiden Kläger falsch dargestellt fühlen. Doch eigentlich geht es um viel mehr: Nicht nur um eine Medienplattform, die mehrere Formulierungen in der Recherche klarstellen muss. Sondern auch um eine Bundesregierung, die bereitwillig den Correctiv-Bericht auf ihren Social-Media-Kanälen aufgriff, ohne die Recherche zuvor auf ihre Stichhaltigkeit überprüft zu haben. Und die sich erklären müsste, sollten sich die Kernthesen des Artikels entweder als strittige Wertungen oder sogar als falsche Tatsachenbehauptungen herausstellen.
Jetzt will Correctiv zentrale Thesen so nicht gemeint haben
Das Medienhaus Correctiv, dessen Führungskräfte teils auch als Redner auf Demonstrationen gegen Rechtsextremismus gesprochen hatten, will vieles plötzlich nicht mehr so gemeint haben. So ist laut einem Bericht der Welt im Schriftsatz des Correctiv-Anwalts Thorsten Feldmann zu lesen, das Medienhaus habe nie geschrieben, in Potsdam sei davon gesprochen worden, „unmittelbar und sofort ‚deutsche Staatsbürger mit deutschem Pass auszuweisen‘“.
Vielmehr treffe die Angabe in den eidesstattlichen Versicherungen der Teilnehmer zu, dass sie „nicht über eine rechts-, insbesondere grundgesetzwidrige Verbringung oder Deportation deutscher Staatsbürger gesprochen haben“. Feldmann spricht stattdessen von einer geplanten Gesetzesreform in Sachen doppelte Staatsbürgerschaft, die die Teilnehmer des Potsdam-Treffens besprochen hätten. So soll demnach der deutsche Pass bei doppelten Staatsbürgerschaften leichter entzogen werden können.
Sollte das stimmen, wäre diese Idee der Teilnehmer des Potsdam-Treffens schon politisch fragwürdig genug. Aber kann dann noch von Plänen zur massenhaften Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aufgrund rassistischer Kriterien gesprochen werden – „egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht“?
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von „abstoßenden Umsiedlungsplänen“
Die Reaktionen vonseiten der Bundesregierung waren indes eindeutig. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach noch am 19. Januar in einer Videobotschaft von „abstoßenden Umsiedlungsplänen“, die Extremisten auf einer „Geheimkonferenz“ besprochen hätten. Sie wollten „unseren Zusammenhalt“ zerstören, so der Bundeskanzler.
Mehr als zwanzig Millionen Bürger mit Migrationsgeschichte in Deutschland fühlten sich von diesem „teuflischen Plan direkt betroffen“, so Scholz weiter – nur um danach für eine Erleichterung des Staatsbürgerschaftsrechts zu werben. Die Demonstrationen fände er „richtig und gut“, und er ergänzte: „Wenn etwas in Deutschland nie wieder Platz haben darf, dann ist es die völkische Rassenideologie der Nationalsozialisten.“ Alle seien gefordert, „klar und deutlich Stellung zu beziehen“.
Die Berliner Zeitung wollte wissen: Handelte es sich bei diesen Aussagen des Bundeskanzlers zur „Geheimkonferenz“ in Potsdam um Tatsachenbehauptungen oder um Wertungen? Und hält er an seiner bisherigen Einschätzung fest? „Die Worte des Kanzlers stehen für sich“, teilt ein Regierungssprecher auf Anfrage mit. Im Übrigen teile man nicht die Annahmen, die den Fragen der Berliner Zeitung zugrunde lägen.
Faeser-Aussagen „unabhängig von einzelnen Medienberichten“
Und Faeser? Sie kündigte unter Erwähnung der vom Correctiv-Bericht ausgelösten Demonstrationen ein neues Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus an. Die Kundgebungen seien ihr dafür „Ermutigung und Auftrag zugleich“, so die Bundesinnenministerin während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang (CDU) und dem BKA-Präsidenten Holger Münch.
Die Kompetenzen des Verfassungsschutzes sollen Faeser zufolge maßgeblich erweitert werden: So soll etwa kein Verhetzungs- oder Gewaltbezug mehr vorliegen müssen, um die Finanzströme rechtsextremer Organisationen auszutrocknen. Allein das Potenzial einer Gefährdung würde ausreichen. Mitglieder von Organisationen, die vom Verfassungsschutz lediglich als „Verdachtsfälle“ eingestuft werden, könnte der Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis drohen – ein rechtliches Novum.
Faeser drohte: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ Sie warb zudem im Einklang mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) für eine schnellere Verabschiedung des Demokratiefördergesetzes, das die zukünftige Finanzierung für Projekte wie „Demokratie leben!“ sowie für diverse zivilgesellschaftliche Nichtregierungsorganisationen sicherstellen soll. Kritiker werfen Faeser und Paus vor, sie finanzierten damit jene Vorfeldorganisationen, die ihre Parteien für den nächsten Wahlkampf bräuchten – ein Wahlkampf, in dem sie sich auch gegen eine erstarkende AfD behaupten müssten.
Die Berliner Zeitung fragte beim Bundesinnenministerium an: Könnte ein für Correctiv nachteiliges Gerichtsurteil zu einer Revision von Faesers Plänen führen? Ein Sprecher teilt mit, sie betone bereits seit Amtsantritt, „dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Demokratie darstellt“. Bei der Vorstellung des Maßnahmenpakets habe sie deutlich gemacht, „dass sich eine offene Gesellschaft gegen diese Gefahr verteidigen, die wehrhafte Demokratie sich Extremisten entgegenstellen müsse“. Nur in diesem Zusammenhang seien für Faeser die „Proteste Hunderttausender in den letzten Wochen Ermutigung und Auftrag zugleich“, so das Ministerium.
Diese Aussagen Faesers würden „unabhängig von einzelnen Medienberichten“ gelten, so der Sprecher weiter. Zumal die „Bedrohung durch den Rechtsextremismus und durch rechtsextremistische Netzwerke“ im Übrigen „hinlänglich durch Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden belegt“ sei. Hätte sich die Ministerin den Verweis auf die Demonstrationen dann nicht einfach sparen können?
Eidesstattliche Versicherungen: Jetzt steht Aussage gegen Aussage
Correctiv hat derweil seine jüngsten eidesstattlichen Versicherungen durchaus kämpferisch flankiert. Geschäftsführer David Schraven teilte in einer Pressemitteilung mit, man garantiere die Richtigkeit der Recherche „mit unserer persönlichen Freiheit und dem Medienhaus Correctiv als Sicherheit“ – falsche eidesstattliche Versicherungen sind immerhin strafbar. Auf dem sozialen Netzwerk LinkedIn prahlte Schraven: „Sieben eidesstattliche Versicherungen? Pah. Wir haben acht.“
In den acht eidesstattlichen Versicherungen halten die Journalisten laut einem Bericht der Welt daran fest, der Rechtsextremist Martin Sellner habe in Potsdam über die „Remigration“ von Nichtdeutschen und Deutschen mit Migrationshintergrund referiert, und zwar mithilfe „maßgeschneiderter Gesetze“. Sie versichern damit die Richtigkeit der Angaben ihrer Quellen. Nur: Welche Version der Ereignisse stimmt?
Das wird sich ohne weiteres nicht überprüfen lassen. Ob die eidesstattlichen Versicherungen von Vosgeraus Mitstreitern der Wahrheit entsprechen, ist ohne Tonmitschnitt nicht nachzuprüfen – einen solchen will Correctiv aber angeblich nicht gemacht haben. Ebenso wenig ist es möglich, die Aussagen der Quellen von Correctiv einer kritischen Prüfung zu unterziehen – denn hier gilt der Quellenschutz.
Sellners „Musterstaat in Nordafrika“, Deportationen und ein „Waschzettel“
Fest steht: Viele Menschen hatten den Correctiv-Bericht so verstanden, dass es den Teilnehmern des Treffens von Potsdam um nichts Geringeres ging als die Vertreibung – wenn nicht gar Deportation – von Millionen von Menschen. Die Analogien zum Nationalsozialismus, die Correctiv rückblickend ebenfalls nicht als Tatsachenbehauptungen verstanden wissen will, erzeugten also die nötige Schockwirkung.
Um welche Analogien es geht? Martin Sellner, Aktivist der vom Verfassungsschutz beobachteten und als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung, soll beim Treffen in Potsdam die Idee eines „Musterstaats in Nordafrika“ vorgebracht haben. „Sellner erklärt, in solch einem Gebiet könnten bis zu zwei Millionen Menschen leben. Dann habe man einen Ort, wo man Leute ‚hinbewegen‘ könne“, so Correctiv.
Das wiederum erinnere an eine „alte Idee“, und zwar: „1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren.“ Es sei jedoch „unklar“, ob Sellner „die historische Parallele im Kopf“ habe, schieben die Autoren ergänzend hinterher. Und dass sich die Konferenz-Villa der Rechten acht Kilometer entfernt vom Haus der Wannsee-Konferenz befinde, auf der die Nazis den Holocaust koordinierten, sei „womöglich auch Zufall“. Der Eindruck, den dieser Absatz beim Leser hinterlässt: Sellners Remigrationskonzept steht in Kontinuität zum Nationalsozialismus.
Ende Januar kam es im ARD-Presseclub zur Konfrontation: Dort warf die freie Journalistin Sabine Rennefanz Politikern, die die AfD mit den Nazis gleichsetzten, eine Verharmlosung des Nationalsozialismus vor. Und sie kritisierte Correctiv dafür, es habe das Treffen in Potsdam durch seine Berichterstattung „gleich in die Nähe von der Wannseekonferenz 1942“ gerückt.
Die stellvertretende Correctiv-Chefredakteurin Anette Dowideit fiel ihr direkt ins Wort: „Aber wir haben das nicht geschrieben, ’ne?“ Und sie ergänzte: „Wir haben auch nicht von Deportationen gesprochen.“ Das sei vielmehr so vonseiten der Leser interpretiert worden, behauptete sie. Dass Correctiv womöglich genau diese Interpretation beabsichtigt haben könnte, um die maximale Außenwirkung zu erzeugen, wollte sie nicht zu Protokoll geben.
Nach dem Auftritt Dowideits im ARD-Presseclub tilgte der Correctiv-Verlag, ein Tochterunternehmen des Medienhauses, den Begriff „Deportation“ aus der Ankündigung zum demnächst erscheinenden Buch „Der AfD-Komplex“. Aus den Plänen „zur Deportation Millionen Deutscher mit Migrationshintergrund“ wurden Pläne zur „Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund“. Nach einer dritten Änderung ist jetzt nur noch von Plänen „zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland“ die Rede.
Die Erklärung von Correctiv, warum man den sogenannten Waschzettel zum Buch geändert hat, wirkt einigermaßen dürftig. Bei der Verwendung des Begriffs „Deportation“ ohne „den entsprechenden Kontext“ sei dem Correctiv-Verlag eine „Ungenauigkeit“ unterlaufen, „die wir vermeiden wollten“, heißt es auf der Webseite.
Und Sellners Aussage zum „Musterstaat in Nordafrika“, die Correctiv mit dem Madagaskar-Plan der Nazis in Verbindung setzt? Die sei nicht im Zusammenhang mit seinem „Masterplan“ gefallen, ist an anderer Stelle bei Correctiv zu lesen. Man möchte fragen: In welchem Zusammenhang denn sonst?
Apple Watch: Correctiv-Chef bringt Correctiv in Bedrängnis
Bereits anlässlich der „Waschzettel“-Affäre hatte Correctiv als Reaktion auf die Kritik auf sozialen Medien darauf hingewiesen, der Correctiv-Verlag gehöre „organisatorisch nicht zur Redaktion“ und unterstehe „nicht der Verantwortung der Chefredaktion“. Mutter- und Tochterunternehmen haben jedoch einen gemeinsamen Geschäftsführer: David Schraven.
Der brachte Correctiv ohne Not in Bedrängnis, als er sich gegenüber dem amerikanischen Online-Portal Semafor.com etwas salopp über die Recherchemethoden von Correctiv geäußert hatte. Der Kern seiner Aussagen: Correctiv habe einen Reporter in das „Landhaus Adlon“ eingeschleust, der verdeckt mit einer Apple Watch „Ton-, Videoaufnahmen und Fotos“ angefertigt hatte. Und zwar indem er mit einem leeren Becher die Gänge des Hauses entlang schlurfte und verschlossene Räume betrat – unter dem Vorwand, er suche nach Kaffee.
Der Haken: Die Apple Watch verfügt nicht über eine Kamera, sondern nur über ein Mikrofon. Unerlaubte Audiomitschnitte will Correctiv jedoch nicht gemacht haben – die sind in Deutschland übrigens ausnahmslos verboten. Dass Schraven die Quelle für diese Angaben war, ist aus dem Bericht von Semafor nicht ersichtlich gewesen.
Erst auf Nachfrage des Medien-Portals Übermedien nannte ihn die Journalistin, die mit ihm gesprochen hatte, als Quelle. Dann fragte Übermedien auch Schraven an – und der wollte alles im Nachhinein so nicht gemeint haben. Er teilte dem Portal mit, für ihn sei „Apple Watch“ ein Synonym für „Smart Watch“. Genau wisse er es nicht. Er könnte auch die Journalistin von Semafor mit seinem schlechten Englisch verwirrt haben, so Schraven weiter gegenüber Übermedien. „Jedenfalls habe man tatsächlich Video aufgenommen mit der Uhr und nicht Ton“, fasst Übermedien seine Ausführungen zusammen.
Anette Dowideit stellte gegenüber Übermedien klar, der Reporter habe mit einer speziellen Armbanduhr lediglich verwackelte Bilder aus der Hotel-Lobby aufgenommen, die so bereits in einer Sendung des ARD-Magazins „Kontraste“ zu sehen waren. Dann änderte Semafor den Online-Eintrag: Jetzt ist nur noch von einem Reporter zu lesen, der „Videos und Fotos“ mit einer „Armbanduhr“ angefertigt habe. Also: Missverständnis ausgeräumt?
Für Übermedien reicht das Problem tiefer. Das Portal führt die Versuche der AfD, ihrer „Anhänger“ und „medialen Verbündeten“ an, die Berichterstattung von Correctiv zu diskreditieren, und stellt die naheliegende Frage: „Ist es angesichts dessen nicht erstaunlich, wie nonchalant die Journalisten hier mit den Widersprüchen und Fehlern umgehen?“
Correctiv komme es anscheinend wenig darauf an, „bei der nachträglichen Schilderung der Recherche (und beim Prahlen mit dem Erfolg)“ genau zu sein, so Übermedien weiter. Die Journalisten täten wenig, um „einem kritischen, unvoreingenommenen Beobachter das Gefühl zu geben, ihnen im Detail vertrauen zu können“.
David Schraven sieht hinter Presseanfragen „gesteuerte Kampagne“
Symptomatisch für diesen Befund ist auch der Umgang des Correctiv-Geschäftsführers mit Presseanfragen, die die von Vosgerau vorgebrachten eidesstattlichen Versicherungen betreffen. Presseanfragen von „AfD-nahen Autoren“ rund um diese Versicherungen der Teilnehmer dienten laut Schraven dem Zweck, „uns zu diskreditieren sowie die Diskussion auf Nebenschauplätze abzulenken“, schrieb er auf LinkedIn.
Noch mehr: Für ihn sehe „das“ aus wie „eine aus interessierter Richtung gesteuerte – recht teure Litigation-PR-Kampagne mit der Kanzlei Höcker im Zentrum“. Unter Litigation PR versteht man gemeinhin eine Art der anwaltlichen Öffentlichkeitsarbeit, die auf die Wiederherstellung des guten Rufs eines Mandanten abzielt.
Unterstellt also Schraven Journalisten, die bezüglich der eidesstattlichen Versicherungen der Potsdam-Teilnehmer kritisch nachfragen, sie dienten der Kanzlei Höcker als Erfüllungsgehilfen? Falls ja, dann wöge dieser Vorwurf sehr schwer: Wie soll Pressearbeit anders möglich sein, ohne Statements von allen beteiligten Parteien zu einem laufenden Verfahren einzuholen?
Auch die Berliner Zeitung war im Zusammenhang mit Correctiv ins Visier von Schraven geraten. Als erstes deutsches Medium hatte sie über mehrere Treffen von Correctiv mit Regierungsvertretern berichtet, die einer breiteren Öffentlichkeit zuvor nicht bekannt waren. Der erste Bericht der Berliner Zeitung basierte auf der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Bundestags-Vizepräsidenten Wolfgang Kubicki (FDP), der zweite auf der Antwort auf eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Leif-Erik Holm.
Bericht der Berliner Zeitung: Schraven kontert mit kuriosem Vorwurf
Vor Veröffentlichung des ersten Artikels teilte Schraven der Berliner Zeitung auf Anfrage mit, man führe über derartige Treffen „kein Buch“. Es handle sich um unverbindliche Gespräche. Die Presseanfrage der Berliner Zeitung zum zweiten Artikel konnte Schraven nicht innerhalb der gesetzten Frist beantworten.
Stattdessen verstieg sich der Correctiv-Chef nach Veröffentlichung des Artikels auf Instagram zur Unterstellung, die Berliner Zeitung versuche, ihn persönlich „und auch Correctiv auf Veranlassung der AfD zu diskreditieren“, nur weil er „mit Menschen in der Regierung gesprochen“ habe. So kommentierte er seine verspätete Antwort auf die Presseanfrage, deren Text er in Screenshots online stellte.
Ein Vorwurf, der zutiefst unsouverän wirkt. Zum einen besteht ein breites öffentliches Interesse an diesem Thema, wie nicht zuletzt die Reichweite beider Artikel und eines daran anschließenden Berichts des Online-Portals Nius belegen. Der Grund: Correctiv erhält unter anderem staatliche Fördergelder. Insofern steht auch der Vorwurf einer allzu großen Nähe zum Staat im Raum.
Zum anderen fällt auf, dass Schraven der Berliner Zeitung anlässlich des ersten Berichts, der auf Grundlage einer Frage des FDP-Politikers Kubicki zustande kam, nicht unterstellt hatte, sie versuche ihn oder Correctiv auf Veranlassung der FDP zu diskreditieren. Gelten für die Berichterstattung über parlamentarische Anfragen von AfD- beziehungsweise FDP-Politikern unterschiedliche Standards?
Debatte um Deutungshoheit: Correctiv geht bemerkenswert unernst vor
Bald wird das Landgericht Hamburg über die Verfügungsanträge der Kläger entscheiden, die gegen Correctiv vor Gericht ziehen. Dabei wird es auch die eidesstattlichen Versicherungen einbeziehen müssen, die beide Parteien abgegeben haben.
Der Kampf um die Deutungshoheit geht derweil in den sozialen Medien weiter – und zwar auf eine Art, bei der sich viele fragen dürften, wie ernst es Correctiv mit der eigenen Recherche noch meint. Auf dem Kurznachrichtendienst X hatte Anette Dowideit die Pressemitteilung von Correctiv zu den eigenen eidesstattlichen Versicherungen mit den Worten geteilt: „Der Hausjurist der AfD will in Potsdam nichts Rassistisches gehört haben. Wir (haben) dazu eine Stellungnahme veröffentlicht.“ Als „Hausjuristen“ der AfD bezeichnet sie ihn deshalb, weil er die Partei in der Vergangenheit als Prozessbevollmächtigter vertreten hatte.
Rechtsanwalt Carsten Brennecke, der Vosgerau und einen anderen Kläger vertritt, drehte kurzerhand den Spieß um und antwortete, es handle sich bei diesen eidesstattlichen Versicherungen um „irreführende Litigation PR“. Was ihm wiederum von Dowideit den Vorwurf einbrachte, er halte es nicht mit der Wahrheit: „Hoffe für Sie, Sie konnten für diesen Tweet wenigstens einen weiteren schönen Stundensatz abrechnen“, schrieb sie, und schob ein Zwinker-Emoji hinterher. Eine bemerkenswert unvorsichtige Aussage von der stellvertretenden Chefredakteurin eines Portals, das nicht nur durch Spenden, sondern auch durch Steuergelder finanziert wird.
Kernthesen von Correctiv nur „Wertungen“? Das hätte Konsequenzen
Dabei ist die Fallhöhe für Correctiv groß – und für Regierungspolitiker wie Nancy Faeser genauso. Denn auch wenn Faeser ihrem Ministerium zufolge ihr Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus völlig unabhängig vom Correctiv-Bericht vorgestellt haben will: Sollten sich vor Gericht sämtliche Tatsachenbehauptungen von Correctiv gegen die Teilnehmer des Treffens in Potsdam als falsch erweisen, wäre das nicht nur für das Medienportal, sondern auch für die Politikerin ein schwerer Reputationsschaden. Wertungen sind äußerungsrechtlich zulässig, falsche Tatsachenbehauptungen sind es nicht.
Dass sich Correctiv derart grobe Patzer geleistet hat, gilt aber als unwahrscheinlich. Immerhin hat Correctiv laut dem Rechtsmagazin Juve die Recherche und auch das presserechtliche Lektorat „frühzeitig und umfassend durch anwaltliche Berater begleiten lassen“.
Es ist eher mit einem anderen Szenario zu rechnen: Was die Öffentlichkeit als Kernthese des Correctiv-Berichts wahrgenommen hatte – dass Rechte auf dem Treffen in Potsdam Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aufgrund rassistischer Kriterien vertreiben wollten, darunter auch deutsche Staatsbürger – könnte das Gericht auch als bloße Wertung der Autoren einstufen. Und das hätte Folgen.
Correctiv-Bericht hat die politische Spaltung noch verschärft
Weniger für den Text des Artikels: Der dürfte weiter weitgehend unverändert online bleiben. Überzeugte Correctiv-Leser dürften sich an dem Urteil wohl auch nicht stören. Der Skepsis gegenüber der Presse und der Politik in der Breite der Bevölkerung könnte ein solches Urteil jedoch weiter Vorschub leisten.
Immer mehr Menschen dürften sich fortan fragen: Wie lassen sich für juristische Laien noch Tatsachenbehauptungen und Wertungen in politisch heiklen Recherchen voneinander unterscheiden? Haben Regierungspolitiker lediglich auf Grundlage strittiger Wertungen in einem Medienbericht zu einem neuen „Aufstand der Anständigen“ geblasen? Und falls ja, als wie glaubwürdig kann eine solche Bundesregierung noch gelten?
Die politische Spaltung im Land dürfte der Correctiv-Bericht bereits jetzt verschärft haben. In den kommenden Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob das Medienhaus mit seiner Recherche zu hoch gepokert hat – und ob es möglicherweise politische Mechanismen in Gang setzte, die sich nicht mehr einfangen lasse.