Ein Ex(?)-NPDler stand ja kürzlich einem Reporter der "Zeit" Rede und Antwort, trotzte dem Regen (wir erinnern uns). Der Artikel ist jetzt draußen und stellt die richtige Frage: "Warum darf der noch vor dem Reichstag stehen?"
Weil er unwichtig ist, aber das ist nur meine Meinung.
Spoiler
Reichsbürger: Wie es zum Sturm auf den Reichstag kam
Dominik Lenze29. August 2023, 18:08 Uhr
Die Flaggen des Kaiserreichs wehen vor dem Bundestag. Hunderte Menschen stürmen am 29. August 2020 brüllend die Treppen zum Reichstagsgebäude hinauf. Erst sind es nur fünf Polizisten und eine Polizistin, die sich der aufgepeitschten Menge entgegenstellen. Als die Beamten sie von den Treppen verdrängen, rufen sie "Widerstand". Da sind die Bilder schon längst dabei, zu einer schaurigen Ikone der Aktivitäten von Rechtsextremen, Reichsbürgern und Corona-Leugnern zu werden.
Der Tag vor drei Jahren war ein Großevent der Querdenken-Bewegung: Rund 38.000 Menschen kamen zu ihrer Demonstration nach Berlin. Anlass für die Gründung von Querdenken waren die Corona-Schutzmaßnahmen. Doch die Protestgruppe und auch ihre Großkundgebungen entwickelten sich rasch zu einem Treffpunkt für Reichsbürger und Verschwörungsgläubige. Inmitten dieser Melange haben Teilnehmer aus dem Reichsbürger-Milieu offenbar gezielt ein Gerücht gestreut, wie Recherchen von ZEIT und ZEIT ONLINE nahelegen: Donald Trump sei da und warte nur auf ein Zeichen. Die Geschichte ließ eine aufgebrachte Menge vor das Parlament ziehen – und einige von ihnen am frühen Abend die gesperrten Treppen stürmen.
Besonders Rechtsextreme haben dem Tag aufgeregt entgegengefiebert. So auch Rüdiger Hoffmann: Der Ex-NPD-Kader demonstriert seit 2013 mit seinem selbst gegründeten Verein regelmäßig vor dem Bundestag. Immer wieder forderte er dort den Sturm des Parlaments. Als die Querdenken-Demonstration für Berlin angekündigt war, meldete er eine Dauerkundgebung vor dem Bundestag an.
"Kommt auf diesen Platz, sonst sind wir tot!"
Die Kundgebung war einer der skurrileren Schauplätze an diesem ohnehin bemerkenswerten Tag. Auf der Bühne sprachen der Verschwörungserzähler Attila Hildmann und der Holocaustleugner Nikolai Nerling, eine andere Rednerin trug ein Engelskostüm. "Das war wie ein bizarrer Jahrmarkt", sagt Sarah Müller (Name geändert). Sie dokumentiert seit über zehn Jahren rechtsextreme Aktivitäten in Berlin, auch beim Sturm auf den Reichstag war sie am Ort des Geschehens. "So euphorisch wie an diesem Tag habe ich Hoffmann selten erlebt", sagt sie. Die Querdenken-Demo habe ihm Publikum beschert: Nie zuvor habe er seine kruden Thesen vor so vielen Menschen ausbreiten können, sagt Müller.
Das machte sich Hoffmann zunutze. Er rief dazu auf, "Massen" vor den Bundestag zu bringen. Dabei wurde er immer energischer: "Kommt auf diesen Platz, sonst sind wir tot!", brüllte er ins Mikrofon.
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Nicht nur Hoffmann stachelte das Publikum an: Gunar Wünsch, ein Mitglied der Reichsbürger-Gruppe Gelbwesten Berlin, verbreitete die Behauptung, dass Trump in Berlin sei, via Megafon auf der Kundgebung. Ähnliches tat Tamara Kirschbaum, eine Heilpraktikerin aus der Eifel. Sie war es, die an diesem Tag um 19 Uhr von der Bühne aus dazu aufrief, auf die Parlamentstreppen zu stürmen. Kurz zuvor hatte die Berliner Polizei noch eine größere Gruppe Menschen, zahlreiche davon mit Reichs- und QAnon-Fahnen in den Händen, auf den Platz gelassen. Teile dieser Gruppen standen wenige Minuten später fahnenschwenkend auf den Treppen des Reichstags.
Ausgerechnet Hoffmann, der seit Jahren den Parlamentssturm herbeisehnte, verließ den Platz mindestens eine halbe Stunde zuvor, wie Foto- und Videoaufnahmen zeigen. Nach Informationen von ZEIT ONLINE war er zu diesem Zeitpunkt bei Querdenken-Chef Michael Ballweg. Ballweg bestätigt das auf Anfrage und sagt, Hoffmann habe ihn gebeten, eine Durchsage zu machen und Querdenken-Anhänger zum Reichstag zu bewegen. "Er war sehr aufgeregt", erinnert sich Ballweg. Die Durchsage habe er nicht gemacht. 20 Minuten nach Beginn der Aktion war Hoffmann wieder da.
Drei Jahre später, ein Samstag im Juli: Zwischen Reichstag und Bundestagswiese steht inzwischen eine Baustelle, die Wiese ist etwas abgetretener als noch vor drei Jahren. Vor dieser Kulisse steht ein Mann, der viel redet, laut redet und dabei energisch mit einer kleinen Deutschland-Flagge wedelt. Es ist Rüdiger Hoffmann.
Reichsbürger bestreitet Beteiligung
Eine Sprecherin der Berliner Polizei teilt mit, sie könne "nicht eindeutig sagen", dass Hoffmanns Verein für das Geschehen Ende August 2020 verantwortlich war. Über 20-mal habe Hoffmann seitdem vor dem Gebäude demonstriert. Auflagen oder Einschränkungen wegen des Reichstagssturms hat es demnach nie gegeben. Die Kundgebungen seitdem seien allesamt störungsfrei verlaufen.
"Ich finde es unmöglich, dass er nach alldem immer noch seine Fantasiehetze abziehen darf, hier vor diesem renommierten Gebäude", sagt Sarah Müller. Der Sturm auf den Reichstag sei für Rechtsextreme von großem Symbolwert gewesen. "Für die ist in diesem Moment ein Traum in Erfüllung gegangen", sagt sie. Den Rahmen dafür habe überhaupt erst Hoffmanns krude Kundgebung geschaffen.
Hoffmann bestreitet energisch, etwas mit dem sogenannten Reichstagssturm zu tun zu haben. Seine offenkundigen Mitstreiter Wünsch und Kirschbaum kenne er nicht einmal. Doch Videos zeigen, wie Wünsch und Kirschbaum am Tag des Sturms immer wieder an Hoffmanns Bühne waren. Sie hielten ein Transparent der Gelbwesten hoch, während Hoffmann nach den "Massen" verlangte. Auch mit den Gelbwesten habe er nichts zu tun, sagt Hoffmann. Doch auf einer Visitenkarte, die er dem ZEIT-Reporter zugesteckt hat, steht: "Gelbe Westen Befreiungsbewegung Deutschland".
Bei Querdenken-Mann Ballweg habe er bloß "eine Veranstaltung meines Vereins bewerben wollen". Und was, wenn wirklich Tausende Querdenken-Anhänger zum Reichstag gekommen wären? "Dann hätten wir ihnen erklärt, was hier in diesem Deutschland los ist", sagt er.
Doch anders als im Sommer 2020 interessiert sich kaum jemand mehr dafür. Bloß ein paar Touristen bleiben verdutzt stehen, schießen ein Foto und gehen dann weiter. Gewitterwolken ziehen auf und es beginnt zu regnen. Hoffmann weist zwei Mitstreiter an, Technik und die zahlreichen Flaggen zu verstauen. Die nächste Kundgebung ist schließlich schon angemeldet.