Prozess gegen südbadischen Reichsbürger wegen versuchten Polizistenmords

[Anmaron]

Und so erfahre ich, dass das beschauliche kleine Land Rheinland-Pfalz zwei Oberlandesgerichte hat. Wahrscheinlich aus historisch-territorialgeographischen Hintergründen?

[Tuska]

Wahrscheinlich aus historisch-territorialgeographischen Hintergründen?

Vermutlich. (siehe auch)

[Rabenaas]

Ist so. Siehe auch Niedersachsen: die 3 OLG gehen auf die obersten Gerichte des Königreichs Hannover, des Herzogtums Braunschweig und des Großherzogtums Oldenburg zurück.

[Reichskasper Adulf Titler]

Nach nochmaliger Durchsicht meiner handschriftlichen Aufzeichnungen (Katastrophe) entnehme ich dem wilden Gekrakel einen nicht unwesentlichen Punkt, den ich im Prozessbericht nicht erwähnt habe. Auf die Frage nach den Personalien antwortet der Angeklagte natürlich nicht Vorname – Nachname, sondern mit "Manfred aus der Familie Jenne", was aber vom Richtertisch aus nicht weiter kommentiert wird.

[Judge Roy Bean]

Und so erfahre ich, dass das beschauliche kleine Land Rheinland-Pfalz zwei Oberlandesgerichte hat. Wahrscheinlich aus historisch-territorialgeographischen Hintergründen?

Genau! Rheinland-Pfalz ist ja ein zusammengewürfeltes Gebilde aus dem nordwestlichen Teil der französischen Besatzungszone nach dem 2. Weltkrieg. Zweibrücken bedient den ehemals bayerischen Teil, also die Pfalz, Koblenz den Rest. Der Berufspfälzer Kurt Beck wollte in seiner Zeit als Ministerpräsident einmal das OLG Koblenz (aus Gnatz) auflösen, da war aber was los.

[Rechtsfinder]

Jurist, deshalb vertiefend: Nach Para. 120 Gerichtsverfassungsgesetz gibt es nur einen Staatsschutzsenat pro Bundesland, und zwar bei dem Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat.

Manchmal Möchtegern-Jurist, daher noch etwas vertiefender: Die OLGs üben hier Bundesgerichtsbarkeit aus.

Der Begriff ist mir eigentlich nur im Zusammenhang mit Krimi-Serien aus den USA geläufig, wenn es darum geht irgendwelchen Leuten mit den Bundesgerichten zu drohen, die auf irgendwelche Bundesverbrechen brutalstmögliche Strafen ausurteilen sollen, oder so.

Das gibt es aber auch in Deutschland.

Art. 96 Abs. 5 Nr. 5 GG
Für Strafverfahren auf den folgenden Gebieten kann ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates vorsehen, dass Gerichte der Länder Gerichtsbarkeit des Bundes ausüben:
(...)
5. Staatsschutz.

Wenn der Bund seine Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Staatsschutzes ausübt (= Generalbundesanwalt klagt an), dann müsste er das vor einem Bundesgericht tun. Ein Bundesgericht erster Instanz in Strafsachen gibt es aber nicht (zum Glück zu wenig Fälle...), weshalb es in Art. 96 V Nr. 5 GG die "Vertretungsregelung" gibt, wonach die Gerichte der Länder dann Bundesgerichtsbarkeit ausüben. Ich glaube das verfassungsrechtliche Stichwort hierzu wäre "Organleihe", da bin ich mir aber spontan nicht hundertprozentig sicher (siehe auch das "Möchtegern" in "Möchtegern-Jurist"). Das fragliche Bundesgesetz dazu wäre dann der von @Judge Roy Bean zitierte § 120 GVG.

Randnotiz zur Randnotiz: Die Länder Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein haben meines Wissens nach per Staatsvertrag gemeinsame Staatsschutzsenate in Berlin respektive Hamburg errichtet. Diese Möglichkeit dürfte meines Erachtens deswegen bestehen, weil in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 3 GG die Gerichtsverfassung eine konkurrierende Gesetzgebung ist, d.h. durchaus eine Landeskompetenz zur Errichtung bestimmter Gerichte besteht (vgl. auch das Bayerische Oberste Landesgericht).

Hach, was ist unser Rechtssystem für ein wunderbar gefertigtes Räderwerk, in dem zuweilen die einzelnen Rädchen gar meisterhaft ineinandergreifen.

[Froschkönig]

Randnotiz zur Randnotiz: Die Länder Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein haben meines Wissens nach per Staatsvertrag gemeinsame Staatsschutzsenate in Berlin respektive Hamburg errichtet.

Ich finde es verwunderlich, dass noch niemand auf irgendeiner Webseite diese Zuständigkeiten zusammengefasst und durchsuchbar gemacht hat. Wollte das jetzt recherchieren, aber man findet nur Bruchstücke. Wäre mal eine Aufgabe für die zwei Leute, die sowohl Juristerei als auch IT können.

Was ich aber aus den Medien weiß: Der Attentäter von Halle wurde vor dem Staatsschutzsenat des OLG Naumburg angeklagt. Den gemeinsamen Staatsschutzsenat der drei Länder gab es wohl mal, aber jetzt nicht mehr. Berlin und Brandenburg haben aber wohl noch einen gemeinsamen in Berlin, genauso wie Koblenz auch für das Saarland zuständig ist. Und bei den Nordländern ist noch Bremen dabei.

[Reichskasper Adulf Titler]

Wer kommt denn am Freitag?

[Sandmännchen]

Wäre mal eine Aufgabe für die zwei Leute, die sowohl Juristerei als auch IT können.

Juristen verstehen nichts von IT, ITler nichts von Recht, und die Leute, die beides können, fragen erst mal nach dem Budget

[Sandmännchen]

Interessierter Student, daher ahnungslos nachschlagend -fragend:

Jurist, deshalb vertiefend: Nach Para. 120 Gerichtsverfassungsgesetz gibt es nur einen Staatsschutzsenat pro Bundesland, und zwar bei dem Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat.

In einer Klausur stände zu "§ 120" nach der Korrektur ein genauer! Abs. 4 S. 2! 

Mir scheint das aber nicht als Zahlenangabe gemeint zu sein, sondern nur als unbestimmter Artikel, im Deutschen leider häufig gleichlautend.

Laut Bayerischer Staatszeitung leistet sich Bayern inzwischen 4 Staatsschutzsenate.

Wobei Bayern ja sich immer gerne etwas größer macht und sich auch wieder ein Oberstes Landesgericht leistet ... hat damit aber anscheinend nichts zu tun.

[Judge Roy Bean]

Ich wollte für das geneigte Publikum nicht zu sehr ins Detail gehen mit den Absätzen und Sätzen, schließlich bin ich ich hier nicht mit Klausurprüfern konfrontiert, sondern nur mit der Frage des interessierten Laien, warum jemand nicht vor seinem Heimat-OLG (in dessen Bezirk ja auch die Tat begangen wurde) angeklagt wird, sondern im fernen Stuttgart.

Ich gebe zu, mich auch undeutlich ausgedrückt zu haben. Also: Es gibt pro Bundesland maximal ein OLG mit Staatsschutzsenaten. An diesem einen OLG können aber mehrere Staatsschutzsenate eingerichtet sein, beim OLG München sind es also deren vier.

Das sollte jetzt aber genügen, zumal ich im praktischen Leben weniger mit Staats- als vielmehr mit Mieterschutz beschäftigt bin (und manchmal sogar mit Miederschutz, wenn man sich um das Eigentum an einer sorbischen Tracht streitet - ist schon vorgekommen).

Ich kann am Freitag nicht nach Stuttgart kommen - viel zu abgelegen.

[Sandmännchen]

Ein bisschen kniefieseln musst Du einem klausurkorrekturgeplagten Studenten, der gerade eine Hausarbeit rausbekommen hat, nachsehen. 

Spoiler

So oft habe ich die Gelegenheit ja nicht. 

[close]

[Reichskasper Adulf Titler]

Mir ist heute ein Termin dazwischen gekommen. Werde also nicht erneut zur Verhandlung fahren können.

[Reichsschlafschaf]

Der heutige Bericht der FAZ verbirgt sich hinter einer Paywall, wird aber auch nicht besser sein als der Rest aus der Qualitätspresse?

PROZESS GEGEN „REICHSBÜRGER“

Wenn das Auto zur Waffe wird
VON RÜDIGER SOLDT, STUTTGART-AKTUALISIERT AM 18.11.2022-20:47
Politischer Korrespondent in Baden-Württemberg.

Ende einer Verfolgungsjagd: Der angeklagte mutmaßliche „Reichsbürger“ vor dem Beginn des Prozesses
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Ein „Reichsbürger“ lässt sich von der Polizei nicht kontrollieren, am Ende soll er auf einen Beamten zugefahren sein und ihn schwer verletzt haben. In Stuttgart muss er sich vor Gericht verantworten.

Für den 62 Jahre alten Manfred J. sind Polizisten nur „dreckige Söldner“. Sie halten sich „illegal“ auf deutschem Boden auf und sind „Kombattanten“ einer fremden Macht. Sei Beginn dieser Woche muss sich J. vor dem zweiten Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts wegen versuchten Mordes aus niederen Beweggründen verantworten. Der Angeklagte sieht sich selbst als bekennendes Mitglied der „Reichsbürgerszene“. Der Generalbundesanwalt übernahm den Fall im Ju­ni, weil es sich um einen schweren staatsgefährdenden Gewaltakt handelte.

Am 7. Februar 2022 war der mutmaßliche Täter gegen zehn Uhr abends zufällig in eine Polizeikontrolle geraten. Er fuhr auf der Bundesstraße 3 in Efringen-Kirchen, einer kleinen Gemeinde in Südbaden. Die Polizisten wurden durch den auffälligen Fahrstil auf den Mann aufmerksam, sie vermuteten zunächst ei­nen harmlosen, möglicherweise alkoholisierten Autofahrer. Am Ende der Ver­folgungsjagd fuhr der Mann auf ei­nen Polizisten zu – dieser wurde schwer verletzt, erlitt eine Gesichtsfraktur und ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Er ist bis heute nicht wieder voll dienstfähig, in dem Strafverfahren ist er Nebenkläger.

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/prozess-gegen-reichsbuerger-wenn-das-auto-zur-waffe-wird-18471928.html

[desperado]

also entweder hat @Reichskasper Adulf Titler sich selber zensiert, die Aussagen des Angeklagten fielen in Abschnitte in denen er mal für kleine Königstiger musste oder die Presse war in einem anderen Prozeß/hat iwo her weitergehende Aussagen aus der Vergangenheit. Ist mir persönlich auch recht egal, das hätte ich von der Blöd erwartet! Auch wenn der Angeklagte sein Deppentum mit "adF" kurz zeigte (lt. Bericht des werten Kollegen) hat er sich am ersten Prozesstag doch, für Angehörige seiner Welt sehr "wohlerzogen" verhalten. Man wird sehen, wie er sich im restlichen Prozess macht!

Aber gut, es war lt Anklage ein "staatsgefährdender Gewaltakt", da muß man schon so tun als ob das ein Andreas Baader kurz vor der Rente sitzt!

P.S. Bei Artikeln, die nicht hinter der Paywall landen kann ich ja nachvollziehen, das man Schlagzeilen im Stil der Blöd wählt (clickbait). Aber wenn ich für etwas bezahle, dann erwarte ich doch schon ein wenig weniger Sensation und mehr objektiven Journalismus.