Autor Thema: 1 BvR 208/22 kommunales Verbot unangemeldeter Corona-„Spaziergänge“ bleibt  (Gelesen 600 mal)

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Offline Reichsschlafschaf

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Jedenfalls vorläufig.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung und der Erwägungen hier und nicht im Faden.


Die Lügenpresse:

Zitat
Karlsruhe 

Karlsruhe: Kommunales Verbot von "Spaziergängen" in Kraft
31.01.2022, 16:54 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht hat es abgelehnt, ein kommunales Verbot unangemeldeter Corona-"Spaziergänge" mit sofortiger Wirkung außer Kraft zu setzen. Die Karlsruher Richterinnen und Richter wiesen am Montag den Eilantrag eines Mannes ab, der die Allgemeinverfügung der Stadt Freiburg zu Fall bringen wollte. Sie ließen aber die Frage offen, ob ein vorsorgliches Versammlungsverbot mit der Bedeutung und Tragweite der grundgesetzlich geschützten Versammlungsfreiheit vereinbar sein kann. Die Klärung bleibe dem Hauptverfahren vorbehalten, hieß es in dem Beschluss, der am Nachmittag veröffentlicht wurde. (Az. 1 BvR 208/22)

Das Grundgesetz garantiert in Artikel 8 "das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln". Das Versammlungsgesetz schreibt aber vor, dass "Versammlungen unter freiem Himmel" mindestens 48 Stunden vor Bekanntgabe vom Veranstalter bei den Behörden angemeldet werden müssen. Die "Spaziergänge" von Gegnern der Corona-Maßnahmen sind oft nicht angemeldet, obwohl es vorher Aufrufe gibt. Die Behörden sehen darin den Versuch, Auflagen zu vermeiden und keine Verantwortlichen benennen zu müssen.

Wie etliche andere Kommunen auch hatte die Stadt Freiburg am 7. Januar vorbeugend eine Allgemeinverfügung erlassen, die zum Monatsende wieder außer Kraft treten sollte. Darin wurden "alle mit generellen Aufrufen zu "Montagsspaziergängen" oder "Spaziergängen" in Zusammenhang stehenden, nicht angezeigten und nicht behördlich bestätigten Versammlungen und Ersatzversammlungen" untersagt.

Der Kläger war dagegen erfolglos mit Eilanträgen bei den Verwaltungsgerichten vorgegangen. Deren Entscheidungen seien nicht "offensichtlich fehlsam", schreiben die Verfassungsrichter. Es sei "eine naheliegende Feststellung", dass hier Auflagen umgangen werden sollten. Die Gerichte hätten auch annehmen dürfen, dass die Initiatoren und Teilnehmer solcher "Spaziergänge" überwiegend nicht bereit seien, Schutzmasken zu tragen oder Abstände einzuhalten.

Der Kläger hatte auch deshalb das Nachsehen, weil eine "grundrechtsschonende Begleitung der Versammlung" durch die Gestaltung als "Spaziergang" "gezielt verunmöglicht worden ist", wie es hieß. Dies sei dem Kläger auch "offensichtlich bewusst" gewesen.
https://www.t-online.de/region/karlsruhe/news/id_91581184/karlsruhe-kommunales-verbot-von-spaziergaengen-in-kraft.html



Die Entscheidung:


Zitat
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 208/22 -

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn (...),
- Bevollmächtigter:

(...) -
gegen

a) den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs

Baden-Württemberg vom 24. Januar 2022 - 9 S 178/22 -,

b) den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg

vom 24. Januar 2022 - 4 K 158/22 -

hier:    Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

den Präsidenten Harbarth,

die Richterin Britz

und den Richter Radtke

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 31. Januar 2022 einstimmig beschlossen:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Spoiler
G r ü n d e :
1

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

2

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die der Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 7, 367 <371>; 134, 138 <140 Rn. 6>; stRspr). Erkennbare Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde gegen eine verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung sind zu berücksichtigen, wenn ein Abwarten den Grundrechtsschutz mit hoher Wahrscheinlichkeit vereitelte (vgl. BVerfGE 111, 147 <153>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2018 - 1 BvQ 18/18 -, Rn. 5; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -, Rn. 27; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 29. April 2020 - 1 BvQ 44/20 -, Rn. 7). Bei einem offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. BVerfGE 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; stRspr). Maßgebend für die Beurteilung ist der Verfahrensstand im Zeitpunkt der Entscheidung (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2010 - 1 BvQ 4/10 -, Rn. 14).

3

2. Ausgehend hiervon kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht.

4

a) Die Erfolgsaussichten der mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde sind nicht derart offensichtlich, dass hier allein schon deshalb in der Nichtgewährung von Rechtsschutz ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne von § 32 Abs. 1 BVerfGG läge.

5

aa) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; 111, 147 <154 f.>; 128, 226 <250>). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>; 128, 226 <250>). In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>; 128, 226 <250>). Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen (BVerfGE 87, 399 <407>). Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 87, 399 <407>). Insbesondere Versammlungsverbote dürfen nur verhängt werden, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und soweit der hierdurch bewirkte tiefgreifende Eingriff in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG auch in Ansehung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den ein Verbot zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag (BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30. August 2020 - 1 BvQ 94/20 -, Rn. 16 und vom 21. November 2020 - 1 BvQ 135/20 -, Rn. 6).

6

Bei der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht sind grundsätzlich die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde zu legen. Anderes wäre nur dann geboten, wenn die getroffenen Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam wären oder die Tatsachenwürdigungen unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnormen offensichtlich nicht trügen (BVerfGK 3, 97 <99>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. August 2015 - 1 BvQ 32/15 -, Rn. 1; jeweils m.w.N.).

7

bb) Ob es mit Bedeutung und Tragweite des Art. 8 GG unter bestimmten Voraussetzungen vereinbar sein kann, präventiv ein Versammlungsverbot durch Allgemeinverfügung für eine prinzipiell unbestimmte Vielzahl von Versammlungen im Stadtgebiet zu erlassen, die mit Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ im Zusammenhang stehen, ist eine verfassungsrechtlich offene Frage, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss (siehe dazu einerseits BayVGH, Beschluss vom 19. Januar 2022 - 10 CS 22.162 -, n.v.; andererseits VG Stuttgart, Beschluss vom 12. Januar 2022 - 1 K 80/22 -, Rn. 42, juris).

8

3. Angesichts der nicht offensichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist eine Folgenabwägung vorzunehmen. Diese geht zum Nachteil des Beschwerdeführers aus.

9

Es ist nicht aufgezeigt, dass die fachgerichtliche Würdigung, die Nichtanmeldung der „Montagsspaziergänge“ verfolge offensichtlich den Zweck, vorbeugende Auflagen zu umgehen und es zu vermeiden, Verantwortliche und eine hinreichende Anzahl von Ordnern zu benennen, welche auf die Einhaltung der von der Versammlungsbehörde vorbeugend oder während der Versammlung erlassenen Auflagen hinwirkten, offensichtlich fehlsam ist. Vielmehr handelt es sich um eine naheliegende Feststellung. Hiervon ausgehend durften die Gerichte auch annehmen, dass diejenigen Personen, die zu solchen „Spaziergängen“ aufriefen oder gewillt seien, an diesen teilzunehmen, überwiegend nicht dazu bereit seien, versammlungspolizeiliche, dem Infektionsschutz dienende Auflagen, wie insbesondere das Tragen von Masken oder das Einhalten von Abständen, zu beachten. Die Gerichte durften sich für die vorgenannten Annahmen auch - verfassungsrechtlich unbedenklich - auf Erfahrungen, die auf zwei in der jüngeren Vergangenheit liegenden „Montagsspaziergängen“ in derselben Stadt gewonnen wurden und diese Annahmen belegen, stützen.

10

Von diesen tatsächlichen Erwägungen ausgehend fällt die Folgenabwägung zu Lasten des Beschwerdeführers aus. Wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, sich aber nach Durchführung des Hauptsacheverfahrens herausstellte, dass das Versammlungsverbot verfassungswidrig war, wäre der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG verletzt. Diese Grundrechtsverletzung wäre von erheblichem Gewicht. Erginge demgegenüber eine einstweilige Anordnung und würde sich später herausstellen, dass das Verbot zur Verhinderung der von den Gerichten angenommenen infektionsschutzrechtlichen Gefahren, die nicht in verfassungsrechtlich relevanter Weise in Zweifel gezogen sind, rechtmäßig war, so wären grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Interessen der Allgemeinheit, nämlich der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit, zu dem der Staat auch kraft seiner grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 77, 170 <214>; 85, 191 <212>; 115, 25 <44 f.>), betroffen. Im Rahmen der Folgenabwägung fällt zum Nachteil des Beschwerdeführers insbesondere ins Gewicht, dass durch die Gestaltung der Versammlung als „Spaziergang“ eine Vorfeldkooperation und damit eine gegenüber dem Verbot grundrechtsschonende Begleitung der Versammlung durch die Versammlungsbehörde und die - dezentral agierenden - Organisatoren im Vorfeld gezielt verunmöglicht worden ist, was dem Beschwerdeführer vor dem Hintergrund der Ausgestaltung der Versammlung als unangemeldetem Spaziergang offensichtlich bewusst ist.

11

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Harbarth   Britz   Radtke
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https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2022/01/rk20220131_1bvr020822.html
Merke: Es genügt natürlich nicht, dämlich zu sein. Es soll schon auch jeder davon wissen!

„Nur weil es Fakt ist, muß es noch lange nicht stimmen!“ (Nadine, unerkannte Philosophin)
 
Folgende Mitglieder bedankten sich: Lonovis